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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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den Bau fortgeführt aber mit den Kräften der Ver-
bündeten 74).

Mit dem Bau des Tempels verbindet die Dichtung
die schönen Sagen: von allen Göttern hätten nur allein
Juventas und Terminus verweigert ihre Altäre auf dem
Capitol der Majestät höherer Götter weichen zu lassen;
und die Werkleute hätten im Grunde ein unversehrtes
frischblutendes Menschenhaupt ausgegraben: Andeutun-
gen daß dieser Hügel das Haupt der Welt zu werden be-
stimmt sey: daß die Jugend des Römischen Reichs nicht
verblühen, seine Gränzen nicht zurückweichen würden so
lange der Pontifex mit der schweigenden Jungfrau zum
Capitol die Götter verehrend hinaufsteigen werde. Beyde
Erzählungen haben das Siegel des großen Dichtergeists der
das Tarquinische Epos dichtete: beyde müssen also wohl,
da dieses sehr wenig vom alten König enthalten zu haben
scheint, wie es Livius thut, auf den letzten Tarquinius
bezogen werden. Daß Roms Gränzen nach der Vertrei-
bung der Könige gegen diese Zusage des Schicksals zurück-
wichen, suchten das Gedicht und alle Annalen zu
verhüllen.

Der Umfang des Tempels den auch Sylla bey dem
beobachtete der auf den Grundmauern des im Bürger-
kriege verbrannten Tarquinischen wieder aufgeführt ward,
machte ein Viereck von beynahe gleichen Seiten aus, des-
sen Umfang 800 Fuß betrug. Ein genügendes Bild von
diesem alten Tempel der wie die von Indien und Aegypten
einzig über dürftige Häuser und Hütten hervorgeragt zu

74) Histor. l. III. c. 72.
U 2

den Bau fortgefuͤhrt aber mit den Kraͤften der Ver-
buͤndeten 74).

Mit dem Bau des Tempels verbindet die Dichtung
die ſchoͤnen Sagen: von allen Goͤttern haͤtten nur allein
Juventas und Terminus verweigert ihre Altaͤre auf dem
Capitol der Majeſtaͤt hoͤherer Goͤtter weichen zu laſſen;
und die Werkleute haͤtten im Grunde ein unverſehrtes
friſchblutendes Menſchenhaupt ausgegraben: Andeutun-
gen daß dieſer Huͤgel das Haupt der Welt zu werden be-
ſtimmt ſey: daß die Jugend des Roͤmiſchen Reichs nicht
verbluͤhen, ſeine Graͤnzen nicht zuruͤckweichen wuͤrden ſo
lange der Pontifex mit der ſchweigenden Jungfrau zum
Capitol die Goͤtter verehrend hinaufſteigen werde. Beyde
Erzaͤhlungen haben das Siegel des großen Dichtergeiſts der
das Tarquiniſche Epos dichtete: beyde muͤſſen alſo wohl,
da dieſes ſehr wenig vom alten Koͤnig enthalten zu haben
ſcheint, wie es Livius thut, auf den letzten Tarquinius
bezogen werden. Daß Roms Graͤnzen nach der Vertrei-
bung der Koͤnige gegen dieſe Zuſage des Schickſals zuruͤck-
wichen, ſuchten das Gedicht und alle Annalen zu
verhuͤllen.

Der Umfang des Tempels den auch Sylla bey dem
beobachtete der auf den Grundmauern des im Buͤrger-
kriege verbrannten Tarquiniſchen wieder aufgefuͤhrt ward,
machte ein Viereck von beynahe gleichen Seiten aus, deſ-
ſen Umfang 800 Fuß betrug. Ein genuͤgendes Bild von
dieſem alten Tempel der wie die von Indien und Aegypten
einzig uͤber duͤrftige Haͤuſer und Huͤtten hervorgeragt zu

74) Histor. l. III. c. 72.
U 2
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[307/0329] den Bau fortgefuͤhrt aber mit den Kraͤften der Ver- buͤndeten 74). Mit dem Bau des Tempels verbindet die Dichtung die ſchoͤnen Sagen: von allen Goͤttern haͤtten nur allein Juventas und Terminus verweigert ihre Altaͤre auf dem Capitol der Majeſtaͤt hoͤherer Goͤtter weichen zu laſſen; und die Werkleute haͤtten im Grunde ein unverſehrtes friſchblutendes Menſchenhaupt ausgegraben: Andeutun- gen daß dieſer Huͤgel das Haupt der Welt zu werden be- ſtimmt ſey: daß die Jugend des Roͤmiſchen Reichs nicht verbluͤhen, ſeine Graͤnzen nicht zuruͤckweichen wuͤrden ſo lange der Pontifex mit der ſchweigenden Jungfrau zum Capitol die Goͤtter verehrend hinaufſteigen werde. Beyde Erzaͤhlungen haben das Siegel des großen Dichtergeiſts der das Tarquiniſche Epos dichtete: beyde muͤſſen alſo wohl, da dieſes ſehr wenig vom alten Koͤnig enthalten zu haben ſcheint, wie es Livius thut, auf den letzten Tarquinius bezogen werden. Daß Roms Graͤnzen nach der Vertrei- bung der Koͤnige gegen dieſe Zuſage des Schickſals zuruͤck- wichen, ſuchten das Gedicht und alle Annalen zu verhuͤllen. Der Umfang des Tempels den auch Sylla bey dem beobachtete der auf den Grundmauern des im Buͤrger- kriege verbrannten Tarquiniſchen wieder aufgefuͤhrt ward, machte ein Viereck von beynahe gleichen Seiten aus, deſ- ſen Umfang 800 Fuß betrug. Ein genuͤgendes Bild von dieſem alten Tempel der wie die von Indien und Aegypten einzig uͤber duͤrftige Haͤuſer und Huͤtten hervorgeragt zu 74) Histor. l. III. c. 72. U 2

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/329>, abgerufen am 22.11.2024.