dem Kaiserthum ihrer Zeit eine unveränderte Fortsetzung des alten Reichs der Cäsare sahen. Virgil war Danten ein Lombarde, wie spätere Mahler den Römern ihrer Kunstwerke das Gewand ihrer Tage anlegten: das Volk ehrte Virgils Grab und Andenken als eines mächtigen und wohlthätigen Zauberers. Selbst Petrarca hegt noch, er wohl mit Absicht, die Täuschung einer nur durch die Zeit getrennten Einheit der Nationalität: er sieht in Ste- phan Colonna einen alten Patricier, wie in Rienzi einen Tribun des Volks. Erst im folgenden Jahrhundert schied das Alterthum aus der Vermischung mit der Gegenwart; und bey der ungeheuern Macht, womit damals sich alles entwickelte, erreichten Einzelne schnell die schärfste und lebendigste Anschauung der Eigenthümlichkeit altrömischer Zeiten welche wir im Ganzen zu gewinnen hoffen dürfen, wie vieles auch seitdem an das Licht gebracht ist woran wir genauere Einsicht erwerben können. Aber nach Sigo- nius verdankt die Geschichte des alten Roms den Philolo- gen nur noch wenig: sie entwich ihren Händen, und ward das Eigenthum, in wenigen glücklichen Fällen großer Staatsmänner; meistens aber gewöhnlicher Historiker.
Man darf es nicht verhehlen daß sie in diesen beyden Jahrhunderten, anstatt an Bestimmtheit und Ausbildung zu gewinnen, vielmehr verlohren hat. Jene Italienische Philologen, in ihrem ganzen Wesen vom Geist des alten Roms belebt, vielleicht durch den classischen Boden selbst begeistert und ahndungsvoller gestimmt, hatten das zer- trümmerte Gebäude aus seinen Ruinen begriffen, und, den Schutt aufräumend, in ihrem Geiste hergestellt. Der
dem Kaiſerthum ihrer Zeit eine unveraͤnderte Fortſetzung des alten Reichs der Caͤſare ſahen. Virgil war Danten ein Lombarde, wie ſpaͤtere Mahler den Roͤmern ihrer Kunſtwerke das Gewand ihrer Tage anlegten: das Volk ehrte Virgils Grab und Andenken als eines maͤchtigen und wohlthaͤtigen Zauberers. Selbſt Petrarca hegt noch, er wohl mit Abſicht, die Taͤuſchung einer nur durch die Zeit getrennten Einheit der Nationalitaͤt: er ſieht in Ste- phan Colonna einen alten Patricier, wie in Rienzi einen Tribun des Volks. Erſt im folgenden Jahrhundert ſchied das Alterthum aus der Vermiſchung mit der Gegenwart; und bey der ungeheuern Macht, womit damals ſich alles entwickelte, erreichten Einzelne ſchnell die ſchaͤrfſte und lebendigſte Anſchauung der Eigenthuͤmlichkeit altroͤmiſcher Zeiten welche wir im Ganzen zu gewinnen hoffen duͤrfen, wie vieles auch ſeitdem an das Licht gebracht iſt woran wir genauere Einſicht erwerben koͤnnen. Aber nach Sigo- nius verdankt die Geſchichte des alten Roms den Philolo- gen nur noch wenig: ſie entwich ihren Haͤnden, und ward das Eigenthum, in wenigen gluͤcklichen Faͤllen großer Staatsmaͤnner; meiſtens aber gewoͤhnlicher Hiſtoriker.
Man darf es nicht verhehlen daß ſie in dieſen beyden Jahrhunderten, anſtatt an Beſtimmtheit und Ausbildung zu gewinnen, vielmehr verlohren hat. Jene Italieniſche Philologen, in ihrem ganzen Weſen vom Geiſt des alten Roms belebt, vielleicht durch den claſſiſchen Boden ſelbſt begeiſtert und ahndungsvoller geſtimmt, hatten das zer- truͤmmerte Gebaͤude aus ſeinen Ruinen begriffen, und, den Schutt aufraͤumend, in ihrem Geiſte hergeſtellt. Der
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dem Kaiſerthum ihrer Zeit eine unveraͤnderte Fortſetzung
des alten Reichs der Caͤſare ſahen. Virgil war Danten
ein Lombarde, wie ſpaͤtere Mahler den Roͤmern ihrer
Kunſtwerke das Gewand ihrer Tage anlegten: das Volk
ehrte Virgils Grab und Andenken als eines maͤchtigen
und wohlthaͤtigen Zauberers. Selbſt Petrarca hegt noch,
er wohl mit Abſicht, die Taͤuſchung einer nur durch die
Zeit getrennten Einheit der Nationalitaͤt: er ſieht in Ste-
phan Colonna einen alten Patricier, wie in Rienzi einen
Tribun des Volks. Erſt im folgenden Jahrhundert ſchied
das Alterthum aus der Vermiſchung mit der Gegenwart;
und bey der ungeheuern Macht, womit damals ſich alles
entwickelte, erreichten Einzelne ſchnell die ſchaͤrfſte und
lebendigſte Anſchauung der Eigenthuͤmlichkeit altroͤmiſcher
Zeiten welche wir im Ganzen zu gewinnen hoffen duͤrfen,
wie vieles auch ſeitdem an das Licht gebracht iſt woran
wir genauere Einſicht erwerben koͤnnen. Aber nach Sigo-
nius verdankt die Geſchichte des alten Roms den Philolo-
gen nur noch wenig: ſie entwich ihren Haͤnden, und ward
das Eigenthum, in wenigen gluͤcklichen Faͤllen großer
Staatsmaͤnner; meiſtens aber gewoͤhnlicher Hiſtoriker.
Man darf es nicht verhehlen daß ſie in dieſen beyden
Jahrhunderten, anſtatt an Beſtimmtheit und Ausbildung
zu gewinnen, vielmehr verlohren hat. Jene Italieniſche
Philologen, in ihrem ganzen Weſen vom Geiſt des alten
Roms belebt, vielleicht durch den claſſiſchen Boden ſelbſt
begeiſtert und ahndungsvoller geſtimmt, hatten das zer-
truͤmmerte Gebaͤude aus ſeinen Ruinen begriffen, und,
den Schutt aufraͤumend, in ihrem Geiſte hergeſtellt. Der
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/29>, abgerufen am 22.11.2024.
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