vor Kypselus nach Tarquinii in Etrurien entfloh, wo er schon als seefahrender Kaufmann bekannt war. Hier ver- band er sich mit einer Etruskerinn, und gab den Söhnen die ihm gebohren wurden mit einheimischen Nahmen ein- heimische Erziehung. Aber den Fremden, falls sie auch das Bürgerrecht erhielten, war doch jede Aussicht des Ehrgeizes verschlossen. Lucumo, durch früheren Tod Aruns, des älteren, einziger Erbe des großen Reichthums, fand dies unerträglich, und nahm, ermuntert von seinem Weibe Tanaquil, die als Etruskerin in der Zukunft las, den Entschluß nach Rom auszuwandern. Ein Augurium gab ihr, ehe sie Rom betraten die Zuversicht daß sie das höchste hoffen dürften. Als sie vom Janiculum herab zur Tiber fuhren, ließ sich ein Adler herab, ergriff den Hut des Lucumo, entführte ihn mit sich in die Höhe, senkte sich dann wieder herab und setzte den Hut als Krone auf sein Haupt. Mit dieser Zuversicht galt dem Fremden sein Reichthum nicht als ein zu schonender Besitz, sondern nur als Mittel zur höchsten Macht und Größe. Ancus ertheilte ihm das Bürgerrecht, damals den Wenigen die es wün- schen mochten leicht geschenkt, weil es Tausenden aufge- drungen ward. Cr nannte sich Lucius Tarquinius: die Späteren haben ihm den Beynahmen Priscus gegeben, um ihn von dem Tyrannen seinem Enkel zu unterscheiden, nicht er selbst kann sich so genannt haben, wie es Livius erzählt. Er gewann durch Glanz des Lebens, wie durch Klugheit und Muth die Gunst und das ganze Vertrauen des Königs; die Nation durch Freygebigkeit und große Eigenschaften. Ancus, der seinen Söhnen den Thron
vor Kypſelus nach Tarquinii in Etrurien entfloh, wo er ſchon als ſeefahrender Kaufmann bekannt war. Hier ver- band er ſich mit einer Etruskerinn, und gab den Soͤhnen die ihm gebohren wurden mit einheimiſchen Nahmen ein- heimiſche Erziehung. Aber den Fremden, falls ſie auch das Buͤrgerrecht erhielten, war doch jede Ausſicht des Ehrgeizes verſchloſſen. Lucumo, durch fruͤheren Tod Aruns, des aͤlteren, einziger Erbe des großen Reichthums, fand dies unertraͤglich, und nahm, ermuntert von ſeinem Weibe Tanaquil, die als Etruskerin in der Zukunft las, den Entſchluß nach Rom auszuwandern. Ein Augurium gab ihr, ehe ſie Rom betraten die Zuverſicht daß ſie das hoͤchſte hoffen duͤrften. Als ſie vom Janiculum herab zur Tiber fuhren, ließ ſich ein Adler herab, ergriff den Hut des Lucumo, entfuͤhrte ihn mit ſich in die Hoͤhe, ſenkte ſich dann wieder herab und ſetzte den Hut als Krone auf ſein Haupt. Mit dieſer Zuverſicht galt dem Fremden ſein Reichthum nicht als ein zu ſchonender Beſitz, ſondern nur als Mittel zur hoͤchſten Macht und Groͤße. Ancus ertheilte ihm das Buͤrgerrecht, damals den Wenigen die es wuͤn- ſchen mochten leicht geſchenkt, weil es Tauſenden aufge- drungen ward. Cr nannte ſich Lucius Tarquinius: die Spaͤteren haben ihm den Beynahmen Priſcus gegeben, um ihn von dem Tyrannen ſeinem Enkel zu unterſcheiden, nicht er ſelbſt kann ſich ſo genannt haben, wie es Livius erzaͤhlt. Er gewann durch Glanz des Lebens, wie durch Klugheit und Muth die Gunſt und das ganze Vertrauen des Koͤnigs; die Nation durch Freygebigkeit und große Eigenſchaften. Ancus, der ſeinen Soͤhnen den Thron
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vor Kypſelus nach Tarquinii in Etrurien entfloh, wo er
ſchon als ſeefahrender Kaufmann bekannt war. Hier ver-
band er ſich mit einer Etruskerinn, und gab den Soͤhnen
die ihm gebohren wurden mit einheimiſchen Nahmen ein-
heimiſche Erziehung. Aber den Fremden, falls ſie auch
das Buͤrgerrecht erhielten, war doch jede Ausſicht des
Ehrgeizes verſchloſſen. Lucumo, durch fruͤheren Tod
Aruns, des aͤlteren, einziger Erbe des großen Reichthums,
fand dies unertraͤglich, und nahm, ermuntert von ſeinem
Weibe Tanaquil, die als Etruskerin in der Zukunft las,
den Entſchluß nach Rom auszuwandern. Ein Augurium
gab ihr, ehe ſie Rom betraten die Zuverſicht daß ſie das
hoͤchſte hoffen duͤrften. Als ſie vom Janiculum herab zur
Tiber fuhren, ließ ſich ein Adler herab, ergriff den Hut
des Lucumo, entfuͤhrte ihn mit ſich in die Hoͤhe, ſenkte
ſich dann wieder herab und ſetzte den Hut als Krone auf
ſein Haupt. Mit dieſer Zuverſicht galt dem Fremden ſein
Reichthum nicht als ein zu ſchonender Beſitz, ſondern nur
als Mittel zur hoͤchſten Macht und Groͤße. Ancus ertheilte
ihm das Buͤrgerrecht, damals den Wenigen die es wuͤn-
ſchen mochten leicht geſchenkt, weil es Tauſenden aufge-
drungen ward. Cr nannte ſich Lucius Tarquinius: die
Spaͤteren haben ihm den Beynahmen Priſcus gegeben,
um ihn von dem Tyrannen ſeinem Enkel zu unterſcheiden,
nicht er ſelbſt kann ſich ſo genannt haben, wie es Livius
erzaͤhlt. Er gewann durch Glanz des Lebens, wie durch
Klugheit und Muth die Gunſt und das ganze Vertrauen
des Koͤnigs; die Nation durch Freygebigkeit und große
Eigenſchaften. Ancus, der ſeinen Soͤhnen den Thron
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/236>, abgerufen am 23.11.2024.
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