mischten Formen das unbekannte Urbild zu errathen. Aber solche Zauberbilder sind verschieden von den Träu- men, und nicht ohne einen verborgnen Grund realer Wahrheit. Träumen ähnlich sind die Dichtungen der späteren Griechen als die Tradition erloschen war, und der Einzelne mit launenhafter Willkühr an den alten Sagen änderte; verkennend daß ihre Abweichung und Mannichfaltigkeit das Werk des ganzen Volks gewesen war, und nicht dem einzelnen frey stand.
Daß die Griechen, als das ältergebildete Volk, auch eine frühere historische Nachricht über den Ursprung Roms gehabt haben sollten als sich bey den Römern erhielt; und daß ihre Sage, weil sie weniger mythisch lautet als die Rö- mische, als historischer vorzuziehen sey, läßt sich durchaus nicht einräumen. Es war eine Volksgenealogie, die über- dies willkührlich umgebildet ward, wie denn Kephalon na- mentlich auch die Geschichte ganz heterogener italischer Völker damit in Verbindung setzte, von denen er auch nur Nahmen hatte. Ein merkwürdiges Beyspiel der Verwir- rung aus Italien empfangner Mythen gewährt die Erzäh- lung eines Promathion bey Plutarch 91), worin die Sa- gen über die Geburt des Romulus und des Servius Tul- lius auf die seltsamste Art vermischt sind.
Romulus und Numa.
Also lautete die römische alte Dichtung: Procas Kö- nig der Albaner hinterließ zwey Söhne, Numitor und Amulius, deren ältestem nach dem Erbrecht das Reich ge-
91) Plutarch in Romulo, p. 18.
miſchten Formen das unbekannte Urbild zu errathen. Aber ſolche Zauberbilder ſind verſchieden von den Traͤu- men, und nicht ohne einen verborgnen Grund realer Wahrheit. Traͤumen aͤhnlich ſind die Dichtungen der ſpaͤteren Griechen als die Tradition erloſchen war, und der Einzelne mit launenhafter Willkuͤhr an den alten Sagen aͤnderte; verkennend daß ihre Abweichung und Mannichfaltigkeit das Werk des ganzen Volks geweſen war, und nicht dem einzelnen frey ſtand.
Daß die Griechen, als das aͤltergebildete Volk, auch eine fruͤhere hiſtoriſche Nachricht uͤber den Urſprung Roms gehabt haben ſollten als ſich bey den Roͤmern erhielt; und daß ihre Sage, weil ſie weniger mythiſch lautet als die Roͤ- miſche, als hiſtoriſcher vorzuziehen ſey, laͤßt ſich durchaus nicht einraͤumen. Es war eine Volksgenealogie, die uͤber- dies willkuͤhrlich umgebildet ward, wie denn Kephalon na- mentlich auch die Geſchichte ganz heterogener italiſcher Voͤlker damit in Verbindung ſetzte, von denen er auch nur Nahmen hatte. Ein merkwuͤrdiges Beyſpiel der Verwir- rung aus Italien empfangner Mythen gewaͤhrt die Erzaͤh- lung eines Promathion bey Plutarch 91), worin die Sa- gen uͤber die Geburt des Romulus und des Servius Tul- lius auf die ſeltſamſte Art vermiſcht ſind.
Romulus und Numa.
Alſo lautete die roͤmiſche alte Dichtung: Procas Koͤ- nig der Albaner hinterließ zwey Soͤhne, Numitor und Amulius, deren aͤlteſtem nach dem Erbrecht das Reich ge-
91) Plutarch in Romulo, p. 18.
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miſchten Formen das unbekannte Urbild zu errathen.
Aber ſolche Zauberbilder ſind verſchieden von den Traͤu-
men, und nicht ohne einen verborgnen Grund realer
Wahrheit. Traͤumen aͤhnlich ſind die Dichtungen der
ſpaͤteren Griechen als die Tradition erloſchen war, und
der Einzelne mit launenhafter Willkuͤhr an den alten
Sagen aͤnderte; verkennend daß ihre Abweichung und
Mannichfaltigkeit das Werk des ganzen Volks geweſen
war, und nicht dem einzelnen frey ſtand.
Daß die Griechen, als das aͤltergebildete Volk, auch
eine fruͤhere hiſtoriſche Nachricht uͤber den Urſprung Roms
gehabt haben ſollten als ſich bey den Roͤmern erhielt; und
daß ihre Sage, weil ſie weniger mythiſch lautet als die Roͤ-
miſche, als hiſtoriſcher vorzuziehen ſey, laͤßt ſich durchaus
nicht einraͤumen. Es war eine Volksgenealogie, die uͤber-
dies willkuͤhrlich umgebildet ward, wie denn Kephalon na-
mentlich auch die Geſchichte ganz heterogener italiſcher
Voͤlker damit in Verbindung ſetzte, von denen er auch nur
Nahmen hatte. Ein merkwuͤrdiges Beyſpiel der Verwir-
rung aus Italien empfangner Mythen gewaͤhrt die Erzaͤh-
lung eines Promathion bey Plutarch 91), worin die Sa-
gen uͤber die Geburt des Romulus und des Servius Tul-
lius auf die ſeltſamſte Art vermiſcht ſind.
Romulus und Numa.
Alſo lautete die roͤmiſche alte Dichtung: Procas Koͤ-
nig der Albaner hinterließ zwey Soͤhne, Numitor und
Amulius, deren aͤlteſtem nach dem Erbrecht das Reich ge-
91) Plutarch in Romulo, p. 18.
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/171>, abgerufen am 22.11.2024.
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