ches die Römer von den Aboriginern erzählen: obgleich diese Erzählung dadurch an Gewicht verliert daß die fabel- haften Pelasger mit ihnen genannt werden 40).
Es könnte scheinen daß der Rahme als eine abstrakte Bezeichnung ihnen von späteren römischen Geschichtschrei- bern beygelegt sey: aber er ist viel älter als die Zeit da die Geschichte Roms aus den Windeln einsylbiger Chroniken erwuchs: denn schon gegen das Ende des fünsten Jahr- hunderts war er in Alexandrien bekannt. Kassandra weis- sagt bey Lykophron, Aeneas werde in den Gegenden der Boreigoner dreyßig Thürme gründen, und Kallias soll Latinus König der Aboriginer genannt haben 41).
Varro hat die Städte aufgezählt welche sie in dem östlichen Gebürge des Sabinerlands, von Reate herab, gegen Süden bis Carseoli, und östlich um den See Fuci- nus bewohnt haben sollen. Ihre Hauptstadt Lista sey von den Sabinern aus Amiternum durch Ueberfall eingenom- men, und das ganze Volk nach und nach aus diesen Ge- bürgen verdrängt worden. Varros Autorität über die Lage und Nahmen ganz und in uralten Zeiten verwüsteter Orte ist durch die Sache gering: aber wie viel er auch mit Fug gilt, wo alte urkundenähnliche Nachrichten an das Licht gezogen werden konnten, so sehr steht sein verworre- nes Wissen, und schwankendes Urtheil seinem Ansehen mit Recht im Wege wo helle Beurtheilung allein den Muth entschuldigen kann ohne Führer einen Pfad zu betreten. Jene ursprünglichen Wohnsitze des Volks können jedoch in
40) Philistus bey Dionysius I. c. 22.
41) Lykophron v. 1253. Dionysius I. c. 72.
ches die Roͤmer von den Aboriginern erzaͤhlen: obgleich dieſe Erzaͤhlung dadurch an Gewicht verliert daß die fabel- haften Pelasger mit ihnen genannt werden 40).
Es koͤnnte ſcheinen daß der Rahme als eine abſtrakte Bezeichnung ihnen von ſpaͤteren roͤmiſchen Geſchichtſchrei- bern beygelegt ſey: aber er iſt viel aͤlter als die Zeit da die Geſchichte Roms aus den Windeln einſylbiger Chroniken erwuchs: denn ſchon gegen das Ende des fuͤnſten Jahr- hunderts war er in Alexandrien bekannt. Kaſſandra weiſ- ſagt bey Lykophron, Aeneas werde in den Gegenden der Boreigoner dreyßig Thuͤrme gruͤnden, und Kallias ſoll Latinus Koͤnig der Aboriginer genannt haben 41).
Varro hat die Staͤdte aufgezaͤhlt welche ſie in dem oͤſtlichen Gebuͤrge des Sabinerlands, von Reate herab, gegen Suͤden bis Carſeoli, und oͤſtlich um den See Fuci- nus bewohnt haben ſollen. Ihre Hauptſtadt Liſta ſey von den Sabinern aus Amiternum durch Ueberfall eingenom- men, und das ganze Volk nach und nach aus dieſen Ge- buͤrgen verdraͤngt worden. Varros Autoritaͤt uͤber die Lage und Nahmen ganz und in uralten Zeiten verwuͤſteter Orte iſt durch die Sache gering: aber wie viel er auch mit Fug gilt, wo alte urkundenaͤhnliche Nachrichten an das Licht gezogen werden konnten, ſo ſehr ſteht ſein verworre- nes Wiſſen, und ſchwankendes Urtheil ſeinem Anſehen mit Recht im Wege wo helle Beurtheilung allein den Muth entſchuldigen kann ohne Fuͤhrer einen Pfad zu betreten. Jene urſpruͤnglichen Wohnſitze des Volks koͤnnen jedoch in
40) Philiſtus bey Dionyſius I. c. 22.
41) Lykophron v. 1253. Dionyſius I. c. 72.
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ches die Roͤmer von den Aboriginern erzaͤhlen: obgleich
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Es koͤnnte ſcheinen daß der Rahme als eine abſtrakte
Bezeichnung ihnen von ſpaͤteren roͤmiſchen Geſchichtſchrei-
bern beygelegt ſey: aber er iſt viel aͤlter als die Zeit da die
Geſchichte Roms aus den Windeln einſylbiger Chroniken
erwuchs: denn ſchon gegen das Ende des fuͤnſten Jahr-
hunderts war er in Alexandrien bekannt. Kaſſandra weiſ-
ſagt bey Lykophron, Aeneas werde in den Gegenden der
Boreigoner dreyßig Thuͤrme gruͤnden, und Kallias ſoll
Latinus Koͤnig der Aboriginer genannt haben 41).
Varro hat die Staͤdte aufgezaͤhlt welche ſie in dem
oͤſtlichen Gebuͤrge des Sabinerlands, von Reate herab,
gegen Suͤden bis Carſeoli, und oͤſtlich um den See Fuci-
nus bewohnt haben ſollen. Ihre Hauptſtadt Liſta ſey von
den Sabinern aus Amiternum durch Ueberfall eingenom-
men, und das ganze Volk nach und nach aus dieſen Ge-
buͤrgen verdraͤngt worden. Varros Autoritaͤt uͤber die
Lage und Nahmen ganz und in uralten Zeiten verwuͤſteter
Orte iſt durch die Sache gering: aber wie viel er auch mit
Fug gilt, wo alte urkundenaͤhnliche Nachrichten an das
Licht gezogen werden konnten, ſo ſehr ſteht ſein verworre-
nes Wiſſen, und ſchwankendes Urtheil ſeinem Anſehen mit
Recht im Wege wo helle Beurtheilung allein den Muth
entſchuldigen kann ohne Fuͤhrer einen Pfad zu betreten.
Jene urſpruͤnglichen Wohnſitze des Volks koͤnnen jedoch in
40) Philiſtus bey Dionyſius I. c. 22.
41) Lykophron v. 1253. Dionyſius I. c. 72.
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/140>, abgerufen am 19.05.2024.
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