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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Nationen, die Latiner, Ctrusker und Sabeller, hatten in
einigen Hinsichten übereinstimmende Einrichtungen welche
sie gesammt vor allen von den Griechen auffallend unter-
schieden.

Eine sehr bedeutende Eigenthümlichkeit ist der Erb-
adel, und das System der Nahmen. Wohl war in sehr
alten Zeiten zu Athen ein Adel, der sein Geschlecht von
Heroen und Fürsten der Heldenzeit ableitete (das ist Be-
griff der Aristokratie); zu diesem gehörte Solon selbst,
folglich später Plato und Kritias, auch der Redner Ando-
kides. Die Unterscheidung dieses Adels ward durch die
alte an Casten erinnernde Eintheilung der Stämme ange-
deutet, und ihn mit den übrigen Bürgern zusammenzu-
werfen war Zweck der Gesetzgebung des Klisthenes. Bey
einigen dieser Familien, wie den Eumolpiden und Buta-
den, blieben dennoch harmlose Priesterämter erblich. Die
Aleuaden, wie die Bakchiaden, waren zahlreich ausgebrei-
tete Königsgeschlechter. Sonst gab es auch in Griechen-
land Oligarchieen der gehässigsten Art, häufig aus Aristo-
kratieen entartet, doch waren die Herrschenden gewöhnlich
nach dem Maaß des Vermögens, nicht nach der Geburt
von den übrigen Bürgern abgesondert. Die Römische
Form der Aristokratie: welche, soweit wir, und es kann mit
ziemlicher Zuversichtlichkeit geschehen, aus einzelnen Nach-
richten schließen können, den beyden andern schon ge-
nannten Hauptvölkern gemeinschaftlich war, doch so, daß
im Westen die Volksgemeinde entweder gar keine oder
sehr geringe Gewalt hatte, bey dem Gebürgsvolk der Adel
mehr Achtung als Macht genossen haben mag: dieses Pa-

Nationen, die Latiner, Ctrusker und Sabeller, hatten in
einigen Hinſichten uͤbereinſtimmende Einrichtungen welche
ſie geſammt vor allen von den Griechen auffallend unter-
ſchieden.

Eine ſehr bedeutende Eigenthuͤmlichkeit iſt der Erb-
adel, und das Syſtem der Nahmen. Wohl war in ſehr
alten Zeiten zu Athen ein Adel, der ſein Geſchlecht von
Heroen und Fuͤrſten der Heldenzeit ableitete (das iſt Be-
griff der Ariſtokratie); zu dieſem gehoͤrte Solon ſelbſt,
folglich ſpaͤter Plato und Kritias, auch der Redner Ando-
kides. Die Unterſcheidung dieſes Adels ward durch die
alte an Caſten erinnernde Eintheilung der Staͤmme ange-
deutet, und ihn mit den uͤbrigen Buͤrgern zuſammenzu-
werfen war Zweck der Geſetzgebung des Kliſthenes. Bey
einigen dieſer Familien, wie den Eumolpiden und Buta-
den, blieben dennoch harmloſe Prieſteraͤmter erblich. Die
Aleuaden, wie die Bakchiaden, waren zahlreich ausgebrei-
tete Koͤnigsgeſchlechter. Sonſt gab es auch in Griechen-
land Oligarchieen der gehaͤſſigſten Art, haͤufig aus Ariſto-
kratieen entartet, doch waren die Herrſchenden gewoͤhnlich
nach dem Maaß des Vermoͤgens, nicht nach der Geburt
von den uͤbrigen Buͤrgern abgeſondert. Die Roͤmiſche
Form der Ariſtokratie: welche, ſoweit wir, und es kann mit
ziemlicher Zuverſichtlichkeit geſchehen, aus einzelnen Nach-
richten ſchließen koͤnnen, den beyden andern ſchon ge-
nannten Hauptvoͤlkern gemeinſchaftlich war, doch ſo, daß
im Weſten die Volksgemeinde entweder gar keine oder
ſehr geringe Gewalt hatte, bey dem Gebuͤrgsvolk der Adel
mehr Achtung als Macht genoſſen haben mag: dieſes Pa-

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[114/0136] Nationen, die Latiner, Ctrusker und Sabeller, hatten in einigen Hinſichten uͤbereinſtimmende Einrichtungen welche ſie geſammt vor allen von den Griechen auffallend unter- ſchieden. Eine ſehr bedeutende Eigenthuͤmlichkeit iſt der Erb- adel, und das Syſtem der Nahmen. Wohl war in ſehr alten Zeiten zu Athen ein Adel, der ſein Geſchlecht von Heroen und Fuͤrſten der Heldenzeit ableitete (das iſt Be- griff der Ariſtokratie); zu dieſem gehoͤrte Solon ſelbſt, folglich ſpaͤter Plato und Kritias, auch der Redner Ando- kides. Die Unterſcheidung dieſes Adels ward durch die alte an Caſten erinnernde Eintheilung der Staͤmme ange- deutet, und ihn mit den uͤbrigen Buͤrgern zuſammenzu- werfen war Zweck der Geſetzgebung des Kliſthenes. Bey einigen dieſer Familien, wie den Eumolpiden und Buta- den, blieben dennoch harmloſe Prieſteraͤmter erblich. Die Aleuaden, wie die Bakchiaden, waren zahlreich ausgebrei- tete Koͤnigsgeſchlechter. Sonſt gab es auch in Griechen- land Oligarchieen der gehaͤſſigſten Art, haͤufig aus Ariſto- kratieen entartet, doch waren die Herrſchenden gewoͤhnlich nach dem Maaß des Vermoͤgens, nicht nach der Geburt von den uͤbrigen Buͤrgern abgeſondert. Die Roͤmiſche Form der Ariſtokratie: welche, ſoweit wir, und es kann mit ziemlicher Zuverſichtlichkeit geſchehen, aus einzelnen Nach- richten ſchließen koͤnnen, den beyden andern ſchon ge- nannten Hauptvoͤlkern gemeinſchaftlich war, doch ſo, daß im Weſten die Volksgemeinde entweder gar keine oder ſehr geringe Gewalt hatte, bey dem Gebuͤrgsvolk der Adel mehr Achtung als Macht genoſſen haben mag: dieſes Pa-

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/136>, abgerufen am 17.05.2024.