,Kennt ihr keinen Handwerker oder Taglöhner, der "noch nichts vom einzigen Wege zur Seligkeit gehört "hat, der wird vielleicht noch einen Bissen Brod mit "mir theilen. Jch sagt' euchs gleich, daß wir hier "nichts ausrichten würden.' --
Damit wandte er sich zornig um. und wollte zur Thür hinausgehen.
Der Prediger sprang auf, drehte den Sebaldus mit beiden Händen herum, hielt ihn fest, schaute ihm gerade ins Gesicht und rief: ,Mensch warum "verabscheust du einen Menschen, der den Weg zur "Seligkeit für einzig hält? Warum hassest du ihn, "ehe du ihn kennest?'
Sebaldus, bey dem der schnelle Zorn allemahl der Uebergang zur Selbsterkonntniß war, antwor- tete mit sehr gemäßigter Stimme:
,Jch hasse niemand, aber, Gott weiß es, diese "Priester, welche ausschließende Seligkeit an Lehr- "formeln binden, haben mich gezwungen, sie zu ver- "abscheuen, weil sie jeden hassen und verfolgen, der, "so wie ich, glaubt, daß Leben und nicht Lehre, hier "rechtschaffen und dort selig mache.'
,Und, wenn du,' erwiederte der Prediger, indem er die Hände sinken ließ, und seine Rechte auf Se- baldus Schulter legte, -- ,glaubst, daß man bey je-
"der
‚Kennt ihr keinen Handwerker oder Tagloͤhner, der „noch nichts vom einzigen Wege zur Seligkeit gehoͤrt „hat, der wird vielleicht noch einen Biſſen Brod mit „mir theilen. Jch ſagt’ euchs gleich, daß wir hier „nichts ausrichten wuͤrden.‛ —
Damit wandte er ſich zornig um. und wollte zur Thuͤr hinausgehen.
Der Prediger ſprang auf, drehte den Sebaldus mit beiden Haͤnden herum, hielt ihn feſt, ſchaute ihm gerade ins Geſicht und rief: ‚Menſch warum „verabſcheuſt du einen Menſchen, der den Weg zur „Seligkeit fuͤr einzig haͤlt? Warum haſſeſt du ihn, „ehe du ihn kenneſt?‛
Sebaldus, bey dem der ſchnelle Zorn allemahl der Uebergang zur Selbſterkonntniß war, antwor- tete mit ſehr gemaͤßigter Stimme:
‚Jch haſſe niemand, aber, Gott weiß es, dieſe „Prieſter, welche ausſchließende Seligkeit an Lehr- „formeln binden, haben mich gezwungen, ſie zu ver- „abſcheuen, weil ſie jeden haſſen und verfolgen, der, „ſo wie ich, glaubt, daß Leben und nicht Lehre, hier „rechtſchaffen und dort ſelig mache.‛
‚Und, wenn du,‛ erwiederte der Prediger, indem er die Haͤnde ſinken ließ, und ſeine Rechte auf Se- baldus Schulter legte, — ‚glaubſt, daß man bey je-
„der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0019"n="11[]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>‚Kennt ihr keinen Handwerker oder Tagloͤhner, der<lb/>„noch nichts vom einzigen Wege zur Seligkeit gehoͤrt<lb/>„hat, der wird vielleicht noch einen Biſſen Brod mit<lb/>„mir theilen. Jch ſagt’ euchs gleich, daß wir hier<lb/>„nichts ausrichten wuͤrden.‛—</p><lb/><p>Damit wandte er ſich zornig um. und wollte zur<lb/>
Thuͤr hinausgehen.</p><lb/><p>Der Prediger ſprang auf, drehte den <hirendition="#fr">Sebaldus</hi><lb/>
mit beiden Haͤnden herum, hielt ihn feſt, ſchaute<lb/>
ihm gerade ins Geſicht und rief: ‚Menſch warum<lb/>„verabſcheuſt du einen Menſchen, der den Weg zur<lb/>„Seligkeit fuͤr einzig haͤlt? Warum haſſeſt du ihn,<lb/>„ehe du ihn kenneſt?‛</p><lb/><p><hirendition="#fr">Sebaldus,</hi> bey dem der ſchnelle Zorn allemahl<lb/>
der Uebergang zur Selbſterkonntniß war, antwor-<lb/>
tete mit ſehr gemaͤßigter Stimme:</p><lb/><p>‚Jch haſſe niemand, aber, Gott weiß es, dieſe<lb/>„Prieſter, welche ausſchließende Seligkeit an Lehr-<lb/>„formeln binden, haben mich gezwungen, ſie zu ver-<lb/>„abſcheuen, weil ſie jeden haſſen und verfolgen, der,<lb/>„ſo wie ich, glaubt, daß Leben und nicht Lehre, hier<lb/>„rechtſchaffen und dort ſelig mache.‛</p><lb/><p>‚Und, wenn du,‛ erwiederte der Prediger, indem<lb/>
er die Haͤnde ſinken ließ, und ſeine Rechte auf <hirendition="#fr">Se-<lb/>
baldus</hi> Schulter legte, —‚glaubſt, daß man bey je-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">„der</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[11[]/0019]
‚Kennt ihr keinen Handwerker oder Tagloͤhner, der
„noch nichts vom einzigen Wege zur Seligkeit gehoͤrt
„hat, der wird vielleicht noch einen Biſſen Brod mit
„mir theilen. Jch ſagt’ euchs gleich, daß wir hier
„nichts ausrichten wuͤrden.‛ —
Damit wandte er ſich zornig um. und wollte zur
Thuͤr hinausgehen.
Der Prediger ſprang auf, drehte den Sebaldus
mit beiden Haͤnden herum, hielt ihn feſt, ſchaute
ihm gerade ins Geſicht und rief: ‚Menſch warum
„verabſcheuſt du einen Menſchen, der den Weg zur
„Seligkeit fuͤr einzig haͤlt? Warum haſſeſt du ihn,
„ehe du ihn kenneſt?‛
Sebaldus, bey dem der ſchnelle Zorn allemahl
der Uebergang zur Selbſterkonntniß war, antwor-
tete mit ſehr gemaͤßigter Stimme:
‚Jch haſſe niemand, aber, Gott weiß es, dieſe
„Prieſter, welche ausſchließende Seligkeit an Lehr-
„formeln binden, haben mich gezwungen, ſie zu ver-
„abſcheuen, weil ſie jeden haſſen und verfolgen, der,
„ſo wie ich, glaubt, daß Leben und nicht Lehre, hier
„rechtſchaffen und dort ſelig mache.‛
‚Und, wenn du,‛ erwiederte der Prediger, indem
er die Haͤnde ſinken ließ, und ſeine Rechte auf Se-
baldus Schulter legte, — ‚glaubſt, daß man bey je-
„der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 11[]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/19>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.