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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

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auch von ihr ein ausdrückliches Versprechen, alle Ge-
danken daran, fahren zu laßen.

Marianens innrer Streit war sehr heftig. Sie
war noch nie ihrem Vater ungehorsam gewesen, sie
fühlte, es würde unedel seyn, ihm jetzt, in dem nicht
zu gehorsamen, was er mit väterlichem Ernste und
guter Gründe wegen, verlangte, aber sie fühlte auch,
es heiße, sich das Herz ausreissen, wenn man dem
einzig Geliebten plötzlich ganz entsagen soll. Kind-
liche Pflicht siegte endlich in der edlen Seele, wie
Pflicht über Leidenschaft allemahl: mir Mühe. Sie
benetzte ihres Vaters Hand mit Thränen, und schwur,
nichts wider seinen Willen zu thun, nichts, das ihr
und ihm unanständig wäre.

Sie ermahnte selbst Säuglingen, mit einem
Strome von Thränen, standhaft zu seyn, sie zu
vergessen. Aber der hohe Schmerz, mit dem, bey
ihrer großmüthigen Entsagung, ihr Auge auf ihn blick-
te, beförderte selbst seine Liebe bis auf den höchsten
Grad. Er gerieth in die heftigste Leidenschaft, er
schwor zu ihren Füßen, nimmer von ihr zu laßen,
er bot ihrem, er bot seinem Vater Trotz, seiner
Liebe Hindernisse entgegen zu setzen, er schloß sie in
seine Arme, und bot der ganzen Welt Trotz, sie von
ihm zu reißen. Marianens thränende Bitten, aus

allem,



auch von ihr ein ausdruͤckliches Verſprechen, alle Ge-
danken daran, fahren zu laßen.

Marianens innrer Streit war ſehr heftig. Sie
war noch nie ihrem Vater ungehorſam geweſen, ſie
fuͤhlte, es wuͤrde unedel ſeyn, ihm jetzt, in dem nicht
zu gehorſamen, was er mit vaͤterlichem Ernſte und
guter Gruͤnde wegen, verlangte, aber ſie fuͤhlte auch,
es heiße, ſich das Herz ausreiſſen, wenn man dem
einzig Geliebten ploͤtzlich ganz entſagen ſoll. Kind-
liche Pflicht ſiegte endlich in der edlen Seele, wie
Pflicht uͤber Leidenſchaft allemahl: mir Muͤhe. Sie
benetzte ihres Vaters Hand mit Thraͤnen, und ſchwur,
nichts wider ſeinen Willen zu thun, nichts, das ihr
und ihm unanſtaͤndig waͤre.

Sie ermahnte ſelbſt Saͤuglingen, mit einem
Strome von Thraͤnen, ſtandhaft zu ſeyn, ſie zu
vergeſſen. Aber der hohe Schmerz, mit dem, bey
ihrer großmuͤthigen Entſagung, ihr Auge auf ihn blick-
te, befoͤrderte ſelbſt ſeine Liebe bis auf den hoͤchſten
Grad. Er gerieth in die heftigſte Leidenſchaft, er
ſchwor zu ihren Fuͤßen, nimmer von ihr zu laßen,
er bot ihrem, er bot ſeinem Vater Trotz, ſeiner
Liebe Hinderniſſe entgegen zu ſetzen, er ſchloß ſie in
ſeine Arme, und bot der ganzen Welt Trotz, ſie von
ihm zu reißen. Marianens thraͤnende Bitten, aus

allem,
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[137[]/0151] auch von ihr ein ausdruͤckliches Verſprechen, alle Ge- danken daran, fahren zu laßen. Marianens innrer Streit war ſehr heftig. Sie war noch nie ihrem Vater ungehorſam geweſen, ſie fuͤhlte, es wuͤrde unedel ſeyn, ihm jetzt, in dem nicht zu gehorſamen, was er mit vaͤterlichem Ernſte und guter Gruͤnde wegen, verlangte, aber ſie fuͤhlte auch, es heiße, ſich das Herz ausreiſſen, wenn man dem einzig Geliebten ploͤtzlich ganz entſagen ſoll. Kind- liche Pflicht ſiegte endlich in der edlen Seele, wie Pflicht uͤber Leidenſchaft allemahl: mir Muͤhe. Sie benetzte ihres Vaters Hand mit Thraͤnen, und ſchwur, nichts wider ſeinen Willen zu thun, nichts, das ihr und ihm unanſtaͤndig waͤre. Sie ermahnte ſelbſt Saͤuglingen, mit einem Strome von Thraͤnen, ſtandhaft zu ſeyn, ſie zu vergeſſen. Aber der hohe Schmerz, mit dem, bey ihrer großmuͤthigen Entſagung, ihr Auge auf ihn blick- te, befoͤrderte ſelbſt ſeine Liebe bis auf den hoͤchſten Grad. Er gerieth in die heftigſte Leidenſchaft, er ſchwor zu ihren Fuͤßen, nimmer von ihr zu laßen, er bot ihrem, er bot ſeinem Vater Trotz, ſeiner Liebe Hinderniſſe entgegen zu ſetzen, er ſchloß ſie in ſeine Arme, und bot der ganzen Welt Trotz, ſie von ihm zu reißen. Marianens thraͤnende Bitten, aus allem,

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 137[]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/151>, abgerufen am 03.05.2024.