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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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"als auf unwidersprechliche Grundgesetze, zu berufen,
"ist schon eine so alte politische Maxime solcher Leute,
"daß sie bereits abgenutzt ist, und daß die Klügern
"unter ihnen schon auf ganz andere Mittel denken,
"um den Ruhm, den sie durch neue Heterodoxien nicht
"zu erhalten wußten, durch eine neue Orthodoxie von
"ihrer eignen Schöpfung zu erlangen. Denn wenn
"diese Herren auch vorgeben, daß sie noch so alt-or-
"thodox wären, so ist doch gemeiniglich die Art, wie
"sie orthodox seyn wollen, sehr neu.'

,Dieß kann wohl nicht anders seyn, erwiederte
"Sebaldus, denn je mehr ich den Gang, den der
"menschliche Verstand in seiner Entwicklung von je
"her genommen hat, bedenke, desto unmöglicher
"scheint es mir, daß alles so bleiben sollte, wie es
"vor zweyhundert Jahren gewesen ist, und desto un-
"gereimter scheint es mir, daß man, durch Vorschrif-
"ten von irgend einer Art, die Veränderungen der
"Meinungen und ihren Fortgang hindern will. Die
"symbolischen Bücher sind für die Zeit und unter
"den Umständen, unter denen sie gemacht worden
"sind, sehr gut. Aber wenn wir denselben beständig
"anhangen wollten, so befürchte ich, da sich seitdem
"Regierungsform, Wissenschaften und Sitten gänz-
"lich geändert haben, wir würden endlich eine Theo-

"logie



”als auf unwiderſprechliche Grundgeſetze, zu berufen,
”iſt ſchon eine ſo alte politiſche Maxime ſolcher Leute,
”daß ſie bereits abgenutzt iſt, und daß die Kluͤgern
”unter ihnen ſchon auf ganz andere Mittel denken,
”um den Ruhm, den ſie durch neue Heterodoxien nicht
”zu erhalten wußten, durch eine neue Orthodoxie von
”ihrer eignen Schoͤpfung zu erlangen. Denn wenn
”dieſe Herren auch vorgeben, daß ſie noch ſo alt-or-
”thodox waͤren, ſo iſt doch gemeiniglich die Art, wie
”ſie orthodox ſeyn wollen, ſehr neu.‛

‚Dieß kann wohl nicht anders ſeyn, erwiederte
Sebaldus, denn je mehr ich den Gang, den der
”menſchliche Verſtand in ſeiner Entwicklung von je
”her genommen hat, bedenke, deſto unmoͤglicher
”ſcheint es mir, daß alles ſo bleiben ſollte, wie es
”vor zweyhundert Jahren geweſen iſt, und deſto un-
”gereimter ſcheint es mir, daß man, durch Vorſchrif-
”ten von irgend einer Art, die Veraͤnderungen der
”Meinungen und ihren Fortgang hindern will. Die
”ſymboliſchen Buͤcher ſind fuͤr die Zeit und unter
”den Umſtaͤnden, unter denen ſie gemacht worden
”ſind, ſehr gut. Aber wenn wir denſelben beſtaͤndig
”anhangen wollten, ſo befuͤrchte ich, da ſich ſeitdem
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[89/0095] ”als auf unwiderſprechliche Grundgeſetze, zu berufen, ”iſt ſchon eine ſo alte politiſche Maxime ſolcher Leute, ”daß ſie bereits abgenutzt iſt, und daß die Kluͤgern ”unter ihnen ſchon auf ganz andere Mittel denken, ”um den Ruhm, den ſie durch neue Heterodoxien nicht ”zu erhalten wußten, durch eine neue Orthodoxie von ”ihrer eignen Schoͤpfung zu erlangen. Denn wenn ”dieſe Herren auch vorgeben, daß ſie noch ſo alt-or- ”thodox waͤren, ſo iſt doch gemeiniglich die Art, wie ”ſie orthodox ſeyn wollen, ſehr neu.‛ ‚Dieß kann wohl nicht anders ſeyn, erwiederte ”Sebaldus, denn je mehr ich den Gang, den der ”menſchliche Verſtand in ſeiner Entwicklung von je ”her genommen hat, bedenke, deſto unmoͤglicher ”ſcheint es mir, daß alles ſo bleiben ſollte, wie es ”vor zweyhundert Jahren geweſen iſt, und deſto un- ”gereimter ſcheint es mir, daß man, durch Vorſchrif- ”ten von irgend einer Art, die Veraͤnderungen der ”Meinungen und ihren Fortgang hindern will. Die ”ſymboliſchen Buͤcher ſind fuͤr die Zeit und unter ”den Umſtaͤnden, unter denen ſie gemacht worden ”ſind, ſehr gut. Aber wenn wir denſelben beſtaͤndig ”anhangen wollten, ſo befuͤrchte ich, da ſich ſeitdem ”Regierungsform, Wiſſenſchaften und Sitten gaͤnz- ”lich geaͤndert haben, wir wuͤrden endlich eine Theo- ”logie

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/95>, abgerufen am 23.11.2024.