,Pietistisch? rief Sebaldus aus; die Bürger "von Berlin pietistisch!'
,Ja! Ja! versetzte Herr F. pietistisch, oder "orthodox von der pietistischen Seite; denn "Sie wissen, es sind noch nicht funfzig Jahre, "daß große Streitigkeiten zwischen der orthodoxen "Orthodoxie und zwischen der pietistischen Or- "thodoxie geführet wurden,| und zu der letztern "hat sich ein großer Theil der Einwohner von "Berlin schon damals und in der Folge geneigt: "woher wäre sonst der große Beyfall entstan- "den, den nebst Leuten, wie Spener und Schade, "auch Fuhrmann, Schulz, Woltersdorf und "andere nach einander gehabt haben.'
,Sie reden von vergangenen Zeiten, seitdem aber "hat sich wohl in Berlin vieles gar sehr abgeändert. --
,Jn den Schriften, die herauskommen, ist die Ver- "änderung geschwinder und allgemeiner, als in den "Gemüthern der Einwohner gewesen. Diese sind, in "Absicht auf Religionsgesinnungen, noch beynahe eben "das, was sie vor vierzig Jahren waren. Jch habe so- "gar bemerkt, daß sich ihre dogmatischen Gesinnungen "nach den Gegenden der Stadt, wo sie wohnen, modifi- "ciren. Jn der alten guten Stadt Berlin findet man "noch alte Gewohnheiten, und auch alte Dogmatik. Die
"Pfarr-
‚Pietiſtiſch? rief Sebaldus aus; die Buͤrger ”von Berlin pietiſtiſch!‛
‚Ja! Ja! verſetzte Herr F. pietiſtiſch, oder ”orthodox von der pietiſtiſchen Seite; denn ”Sie wiſſen, es ſind noch nicht funfzig Jahre, ”daß große Streitigkeiten zwiſchen der orthodoxen ”Orthodoxie und zwiſchen der pietiſtiſchen Or- ”thodoxie gefuͤhret wurden,| und zu der letztern ”hat ſich ein großer Theil der Einwohner von ”Berlin ſchon damals und in der Folge geneigt: ”woher waͤre ſonſt der große Beyfall entſtan- ”den, den nebſt Leuten, wie Spener und Schade, ”auch Fuhrmann, Schulz, Woltersdorf und ”andere nach einander gehabt haben.‛
‚Sie reden von vergangenen Zeiten, ſeitdem aber ”hat ſich wohl in Berlin vieles gar ſehr abgeaͤndert. —
‚Jn den Schriften, die herauskommen, iſt die Ver- ”aͤnderung geſchwinder und allgemeiner, als in den ”Gemuͤthern der Einwohner geweſen. Dieſe ſind, in ”Abſicht auf Religionsgeſinnungen, noch beynahe eben ”das, was ſie vor vierzig Jahren waren. Jch habe ſo- ”gar bemerkt, daß ſich ihre dogmatiſchen Geſinnungen ”nach den Gegenden der Stadt, wo ſie wohnen, modifi- ”ciren. Jn der alten guten Stadt Berlin findet man ”noch alte Gewohnheiten, und auch alte Dogmatik. Die
”Pfarr-
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‚Pietiſtiſch? rief Sebaldus aus; die Buͤrger
”von Berlin pietiſtiſch!‛
‚Ja! Ja! verſetzte Herr F. pietiſtiſch, oder
”orthodox von der pietiſtiſchen Seite; denn
”Sie wiſſen, es ſind noch nicht funfzig Jahre,
”daß große Streitigkeiten zwiſchen der orthodoxen
”Orthodoxie und zwiſchen der pietiſtiſchen Or-
”thodoxie gefuͤhret wurden,| und zu der letztern
”hat ſich ein großer Theil der Einwohner von
”Berlin ſchon damals und in der Folge geneigt:
”woher waͤre ſonſt der große Beyfall entſtan-
”den, den nebſt Leuten, wie Spener und Schade,
”auch Fuhrmann, Schulz, Woltersdorf und
”andere nach einander gehabt haben.‛
‚Sie reden von vergangenen Zeiten, ſeitdem aber
”hat ſich wohl in Berlin vieles gar ſehr abgeaͤndert. —
‚Jn den Schriften, die herauskommen, iſt die Ver-
”aͤnderung geſchwinder und allgemeiner, als in den
”Gemuͤthern der Einwohner geweſen. Dieſe ſind, in
”Abſicht auf Religionsgeſinnungen, noch beynahe eben
”das, was ſie vor vierzig Jahren waren. Jch habe ſo-
”gar bemerkt, daß ſich ihre dogmatiſchen Geſinnungen
”nach den Gegenden der Stadt, wo ſie wohnen, modifi-
”ciren. Jn der alten guten Stadt Berlin findet man
”noch alte Gewohnheiten, und auch alte Dogmatik. Die
”Pfarr-
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/81>, abgerufen am 16.02.2025.
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