Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775."Flecke, auf dem ich athme, regiert jemand, wohin "ich mich wenden könnte, wird ein anderer regieren. "So wenig ich für mich unabhängig bestehen, ohne "Regenten seyn, oder mir Regenten und Regie- "rungsform nach meinem Gefallen einrichten kann, "eben so wenig kann ich für mich allein, mit meiner "besondern Religion, leben. Jede Religionspartey, "die Gewalt gehabt hat, hat einen Zaun um sich ge- "zogen, habe ich nicht ihr Schiboleth, so heißts noch "Menschenliebe, wenn sie mich bloß ausstößt. Jch "kann ihretwegen in die ganze weite Welt laufen, aber "wohin ich trete, bin ich im Zaune einer andern, die "die mich wieder ausstößt. Wohl denn! ich will blei- "den, wo ich bin, und dulden, was ich nicht ändern "kann.' ,Mit diesen Gedanken kehrte ich zurück, unter- "gab E 5
”Flecke, auf dem ich athme, regiert jemand, wohin ”ich mich wenden koͤnnte, wird ein anderer regieren. ”So wenig ich fuͤr mich unabhaͤngig beſtehen, ohne ”Regenten ſeyn, oder mir Regenten und Regie- ”rungsform nach meinem Gefallen einrichten kann, ”eben ſo wenig kann ich fuͤr mich allein, mit meiner ”beſondern Religion, leben. Jede Religionspartey, ”die Gewalt gehabt hat, hat einen Zaun um ſich ge- ”zogen, habe ich nicht ihr Schiboleth, ſo heißts noch ”Menſchenliebe, wenn ſie mich bloß ausſtoͤßt. Jch ”kann ihretwegen in die ganze weite Welt laufen, aber ”wohin ich trete, bin ich im Zaune einer andern, die ”die mich wieder ausſtoͤßt. Wohl denn! ich will blei- ”den, wo ich bin, und dulden, was ich nicht aͤndern ”kann.‛ ‚Mit dieſen Gedanken kehrte ich zuruͤck, unter- ”gab E 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0075" n="69"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> ”Flecke, auf dem ich athme, regiert jemand, wohin<lb/> ”ich mich wenden koͤnnte, wird ein anderer regieren.<lb/> ”So wenig ich fuͤr mich unabhaͤngig beſtehen, ohne<lb/> ”Regenten ſeyn, oder mir Regenten und Regie-<lb/> ”rungsform nach meinem Gefallen einrichten kann,<lb/> ”eben ſo wenig kann ich fuͤr mich allein, mit meiner<lb/> ”beſondern Religion, leben. Jede Religionspartey,<lb/> ”die Gewalt gehabt hat, hat einen Zaun um ſich ge-<lb/> ”zogen, habe ich nicht ihr Schiboleth, ſo heißts noch<lb/> ”Menſchenliebe, wenn ſie mich bloß ausſtoͤßt. Jch<lb/> ”kann ihretwegen in die ganze weite Welt laufen, aber<lb/> ”wohin ich trete, bin ich im Zaune einer andern, die<lb/> ”die mich wieder ausſtoͤßt. Wohl denn! ich will blei-<lb/> ”den, wo ich bin, und dulden, was ich nicht aͤndern<lb/> ”kann.‛</p><lb/> <p>‚Mit dieſen Gedanken kehrte ich zuruͤck, unter-<lb/> ”ſchrieb, ohne die Augen aufzuthun, und trat mein<lb/> ”Amt an. Meine Pfarrkinder, die mich predigen<lb/> ”und Beichte ſitzen und Kranken troͤſten ſahen, ſo-<lb/> ”wie meine Vorfahren, wurden bald mit mir ver-<lb/> ”ſoͤhnt, und wunderten ſich ſelbſt, wie ſie mich fuͤr<lb/> ”einen ſo garſtigen Ketzer haͤtten halten koͤnnen. Aber<lb/> ”nicht ſo meine Gegner, welche, ob ſie gleich vor der<lb/> ”Hand ſtill ſchwiegen, nur auf eine Gelegenheit lauer-<lb/> ”ten, mir den empfindlichſten Stoß zu verſetzen. Jch<lb/> <fw place="bottom" type="sig">E 5</fw><fw place="bottom" type="catch">”gab</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0075]
”Flecke, auf dem ich athme, regiert jemand, wohin
”ich mich wenden koͤnnte, wird ein anderer regieren.
”So wenig ich fuͤr mich unabhaͤngig beſtehen, ohne
”Regenten ſeyn, oder mir Regenten und Regie-
”rungsform nach meinem Gefallen einrichten kann,
”eben ſo wenig kann ich fuͤr mich allein, mit meiner
”beſondern Religion, leben. Jede Religionspartey,
”die Gewalt gehabt hat, hat einen Zaun um ſich ge-
”zogen, habe ich nicht ihr Schiboleth, ſo heißts noch
”Menſchenliebe, wenn ſie mich bloß ausſtoͤßt. Jch
”kann ihretwegen in die ganze weite Welt laufen, aber
”wohin ich trete, bin ich im Zaune einer andern, die
”die mich wieder ausſtoͤßt. Wohl denn! ich will blei-
”den, wo ich bin, und dulden, was ich nicht aͤndern
”kann.‛
‚Mit dieſen Gedanken kehrte ich zuruͤck, unter-
”ſchrieb, ohne die Augen aufzuthun, und trat mein
”Amt an. Meine Pfarrkinder, die mich predigen
”und Beichte ſitzen und Kranken troͤſten ſahen, ſo-
”wie meine Vorfahren, wurden bald mit mir ver-
”ſoͤhnt, und wunderten ſich ſelbſt, wie ſie mich fuͤr
”einen ſo garſtigen Ketzer haͤtten halten koͤnnen. Aber
”nicht ſo meine Gegner, welche, ob ſie gleich vor der
”Hand ſtill ſchwiegen, nur auf eine Gelegenheit lauer-
”ten, mir den empfindlichſten Stoß zu verſetzen. Jch
”gab
E 5
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |