"Jch mußte also mit meiner Familie fort. Ge- "stern Abend kamen wir bey der benachbarten Stadt "an, wo man uns nicht einlassen wollte, weil wir "keinen Paß hatten. Jch besaß keinen Heller mehr, "wir alle hatten den ganzen Tag nichts gegessen. "Wir mußten in diesem Walde unter einem Baume "bleiben, die Kinder schrien bis nach Mitternacht um "Brodt. Jch war außer mir, daß ich ihnen nichts "geben konnte. Nach ein Paar Stunden unruhiges "Schlummers, erwachte ich vor Sonnenaufgang; "ich betrachtete meine unglückliche Frau und Kinder, "und dachte voll Entsetzen, daß sie alle in diesem "Walde verschmachten müßten. Jch erblickte von "fern einen einzelnen wohlgekleideten Menschen. Die "Verzweiflung gab mir einen bösen Rath. -- Jch "stutzte einen Augenblick beym ersten Schritte, den "ich that; aber der Anblick meiner schmachtenden Kin- "der brachte mich aufs neue in Wut. -- Und "wenn er sich wehrt, und deiner mächtig wird? dacht' "ich. -- Ey nun! so mag man mich gefangen neh- "men, aber denn wird man doch meine Frau und "Kinder im Spitale versorgen müssen. Jch stürzte "wie ein Unsinniger auf Sie zu, aber Sie wehrten "Sich nicht. Sie gaben mir ruhig, und mehr, als "ich für die itzige Noth brauchte. Wars nicht ab-
"scheulich,
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„Jch mußte alſo mit meiner Familie fort. Ge- ”ſtern Abend kamen wir bey der benachbarten Stadt ”an, wo man uns nicht einlaſſen wollte, weil wir ”keinen Paß hatten. Jch beſaß keinen Heller mehr, ”wir alle hatten den ganzen Tag nichts gegeſſen. ”Wir mußten in dieſem Walde unter einem Baume ”bleiben, die Kinder ſchrien bis nach Mitternacht um ”Brodt. Jch war außer mir, daß ich ihnen nichts ”geben konnte. Nach ein Paar Stunden unruhiges ”Schlummers, erwachte ich vor Sonnenaufgang; ”ich betrachtete meine ungluͤckliche Frau und Kinder, ”und dachte voll Entſetzen, daß ſie alle in dieſem ”Walde verſchmachten muͤßten. Jch erblickte von ”fern einen einzelnen wohlgekleideten Menſchen. Die ”Verzweiflung gab mir einen boͤſen Rath. — Jch ”ſtutzte einen Augenblick beym erſten Schritte, den ”ich that; aber der Anblick meiner ſchmachtenden Kin- ”der brachte mich aufs neue in Wut. — Und ”wenn er ſich wehrt, und deiner maͤchtig wird? dacht’ ”ich. — Ey nun! ſo mag man mich gefangen neh- ”men, aber denn wird man doch meine Frau und ”Kinder im Spitale verſorgen muͤſſen. Jch ſtuͤrzte ”wie ein Unſinniger auf Sie zu, aber Sie wehrten ”Sich nicht. Sie gaben mir ruhig, und mehr, als ”ich fuͤr die itzige Noth brauchte. Wars nicht ab-
”ſcheulich,
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„Jch mußte alſo mit meiner Familie fort. Ge-
”ſtern Abend kamen wir bey der benachbarten Stadt
”an, wo man uns nicht einlaſſen wollte, weil wir
”keinen Paß hatten. Jch beſaß keinen Heller mehr,
”wir alle hatten den ganzen Tag nichts gegeſſen.
”Wir mußten in dieſem Walde unter einem Baume
”bleiben, die Kinder ſchrien bis nach Mitternacht um
”Brodt. Jch war außer mir, daß ich ihnen nichts
”geben konnte. Nach ein Paar Stunden unruhiges
”Schlummers, erwachte ich vor Sonnenaufgang;
”ich betrachtete meine ungluͤckliche Frau und Kinder,
”und dachte voll Entſetzen, daß ſie alle in dieſem
”Walde verſchmachten muͤßten. Jch erblickte von
”fern einen einzelnen wohlgekleideten Menſchen. Die
”Verzweiflung gab mir einen boͤſen Rath. — Jch
”ſtutzte einen Augenblick beym erſten Schritte, den
”ich that; aber der Anblick meiner ſchmachtenden Kin-
”der brachte mich aufs neue in Wut. — Und
”wenn er ſich wehrt, und deiner maͤchtig wird? dacht’
”ich. — Ey nun! ſo mag man mich gefangen neh-
”men, aber denn wird man doch meine Frau und
”Kinder im Spitale verſorgen muͤſſen. Jch ſtuͤrzte
”wie ein Unſinniger auf Sie zu, aber Sie wehrten
”Sich nicht. Sie gaben mir ruhig, und mehr, als
”ich fuͤr die itzige Noth brauchte. Wars nicht ab-
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/73>, abgerufen am 23.11.2024.
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