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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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Er wartete diesen und noch ein Paar folgende
Tage auf seine Gesellschaft, und war in der größten
Verlegenheit, da sie nicht ankam. Er hatte weder
den Namen des Dorfes, wo er auf sie warten sollte,
noch den Namen der Gräfinn, noch den Namen
ihres Gutes behalten. Er sahe sich also auf einmal
wieder in die weite Welt versetzt. Sein einziger Trost
war, daß er des Hieronymus Empfehlungsbrief
an den Kammerjunker in Holstein, und noch so viel
Geld bey sich hatte, um dahin zu reisen. Da er also
von der Wirthinn erfuhr, daß die Post nach Holstein
den andern Tag durch das Dorf gienge, so setzte er
sich, ohne ferneres Verweilen, darauf.

Er kam in wenigen Tagen, ohne weitern Zufall,
bey dem Kammerjunker an, der sich auf seinen Gü-
tern aufhielt. Dieser hatte, als er am Hofe war,
den Mangel des Verstandes durch reiche Kleider*)
zu ersetzen gesucht. Nachdem er aber, durch seine Heu-
rath mit einer reichen alten Wittwe, in den Stand ge-
setzt war, den Hof zu verlassen, und sich auf seiner
Frauen Güter zu begeben, verdeckte er den oben ge-
dachten noch immer fortdauernden Mangel durch
eine andere Art von Virtu. Er schaffte sich eine Samm-
lung von antiken und modernen Münzen und Gem-

men,
*) S. Wilhelmine S. 99.


Er wartete dieſen und noch ein Paar folgende
Tage auf ſeine Geſellſchaft, und war in der groͤßten
Verlegenheit, da ſie nicht ankam. Er hatte weder
den Namen des Dorfes, wo er auf ſie warten ſollte,
noch den Namen der Graͤfinn, noch den Namen
ihres Gutes behalten. Er ſahe ſich alſo auf einmal
wieder in die weite Welt verſetzt. Sein einziger Troſt
war, daß er des Hieronymus Empfehlungsbrief
an den Kammerjunker in Holſtein, und noch ſo viel
Geld bey ſich hatte, um dahin zu reiſen. Da er alſo
von der Wirthinn erfuhr, daß die Poſt nach Holſtein
den andern Tag durch das Dorf gienge, ſo ſetzte er
ſich, ohne ferneres Verweilen, darauf.

Er kam in wenigen Tagen, ohne weitern Zufall,
bey dem Kammerjunker an, der ſich auf ſeinen Guͤ-
tern aufhielt. Dieſer hatte, als er am Hofe war,
den Mangel des Verſtandes durch reiche Kleider*)
zu erſetzen geſucht. Nachdem er aber, durch ſeine Heu-
rath mit einer reichen alten Wittwe, in den Stand ge-
ſetzt war, den Hof zu verlaſſen, und ſich auf ſeiner
Frauen Guͤter zu begeben, verdeckte er den oben ge-
dachten noch immer fortdauernden Mangel durch
eine andere Art von Virtu. Er ſchaffte ſich eine Samm-
lung von antiken und modernen Muͤnzen und Gem-

men,
*) S. Wilhelmine S. 99.
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[210/0222] Er wartete dieſen und noch ein Paar folgende Tage auf ſeine Geſellſchaft, und war in der groͤßten Verlegenheit, da ſie nicht ankam. Er hatte weder den Namen des Dorfes, wo er auf ſie warten ſollte, noch den Namen der Graͤfinn, noch den Namen ihres Gutes behalten. Er ſahe ſich alſo auf einmal wieder in die weite Welt verſetzt. Sein einziger Troſt war, daß er des Hieronymus Empfehlungsbrief an den Kammerjunker in Holſtein, und noch ſo viel Geld bey ſich hatte, um dahin zu reiſen. Da er alſo von der Wirthinn erfuhr, daß die Poſt nach Holſtein den andern Tag durch das Dorf gienge, ſo ſetzte er ſich, ohne ferneres Verweilen, darauf. Er kam in wenigen Tagen, ohne weitern Zufall, bey dem Kammerjunker an, der ſich auf ſeinen Guͤ- tern aufhielt. Dieſer hatte, als er am Hofe war, den Mangel des Verſtandes durch reiche Kleider *) zu erſetzen geſucht. Nachdem er aber, durch ſeine Heu- rath mit einer reichen alten Wittwe, in den Stand ge- ſetzt war, den Hof zu verlaſſen, und ſich auf ſeiner Frauen Guͤter zu begeben, verdeckte er den oben ge- dachten noch immer fortdauernden Mangel durch eine andere Art von Virtu. Er ſchaffte ſich eine Samm- lung von antiken und modernen Muͤnzen und Gem- men, *) S. Wilhelmine S. 99.

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/222>, abgerufen am 22.11.2024.