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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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müßte. Ob er gleich, durch frühzeitige Ausschweifun-
gen, fast zu allen Wollüsten untüchtig war, so war
doch Genuß immer sein drittes Wort. Nach die-
ser Beschreibung sollte man kaum glauben, daß ein
solcher feyerlicher Hasenfuß in der menschlichen Gesell-
schaft nur habe erträglich seyn können, wenn man
nicht täglich sähe, daß eine vornehme Geburt, eine
Engländische Kutsche mit einem Zuge von sechsen, und
ein ziemlich leidliches Angesicht, eben so große und
grössere Thoren zu liebenswürdigen Kerlchen macht.

Unser Mann hegte übrigens den ersprießlichen
Grundsatz, daß man in allen Vorfällen um sein selbst
willen handeln müsse, und daß daher derjenige, der
Kraft habe, denjenigen, der schwächer sey, ohne Be-
denken zwingen müsse, seinen, als des Stärkern, Ab-
sichten zu folgen. Da nun das weibliche das schwä-
chere Geschlecht ist, so folgerte er ganz natürlich, daß
alle Mannspersonen ein unwidersprechliches Recht
hätten, alle Frauenzimmer nach eignem Willen zu
behandeln. Zwar gab er zu, daß Stand, Erziehung,
Stolz, Sprödigkeit und Eigensinn, dem Frauen-
zimmer eine gewisse Art von zufälliger Stärke geben
könne, die man Tugend nenne; aber er meinte auch,
daß, wenn eine Mannsperson, neben der diesem Ge-
schlechte eigeuthümlichen Kraft, noch genugsamen

Ver-



muͤßte. Ob er gleich, durch fruͤhzeitige Ausſchweifun-
gen, faſt zu allen Wolluͤſten untuͤchtig war, ſo war
doch Genuß immer ſein drittes Wort. Nach die-
ſer Beſchreibung ſollte man kaum glauben, daß ein
ſolcher feyerlicher Haſenfuß in der menſchlichen Geſell-
ſchaft nur habe ertraͤglich ſeyn koͤnnen, wenn man
nicht taͤglich ſaͤhe, daß eine vornehme Geburt, eine
Englaͤndiſche Kutſche mit einem Zuge von ſechſen, und
ein ziemlich leidliches Angeſicht, eben ſo große und
groͤſſere Thoren zu liebenswuͤrdigen Kerlchen macht.

Unſer Mann hegte uͤbrigens den erſprießlichen
Grundſatz, daß man in allen Vorfaͤllen um ſein ſelbſt
willen handeln muͤſſe, und daß daher derjenige, der
Kraft habe, denjenigen, der ſchwaͤcher ſey, ohne Be-
denken zwingen muͤſſe, ſeinen, als des Staͤrkern, Ab-
ſichten zu folgen. Da nun das weibliche das ſchwaͤ-
chere Geſchlecht iſt, ſo folgerte er ganz natuͤrlich, daß
alle Mannsperſonen ein unwiderſprechliches Recht
haͤtten, alle Frauenzimmer nach eignem Willen zu
behandeln. Zwar gab er zu, daß Stand, Erziehung,
Stolz, Sproͤdigkeit und Eigenſinn, dem Frauen-
zimmer eine gewiſſe Art von zufaͤlliger Staͤrke geben
koͤnne, die man Tugend nenne; aber er meinte auch,
daß, wenn eine Mannsperſon, neben der dieſem Ge-
ſchlechte eigeuthuͤmlichen Kraft, noch genugſamen

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[200/0212] muͤßte. Ob er gleich, durch fruͤhzeitige Ausſchweifun- gen, faſt zu allen Wolluͤſten untuͤchtig war, ſo war doch Genuß immer ſein drittes Wort. Nach die- ſer Beſchreibung ſollte man kaum glauben, daß ein ſolcher feyerlicher Haſenfuß in der menſchlichen Geſell- ſchaft nur habe ertraͤglich ſeyn koͤnnen, wenn man nicht taͤglich ſaͤhe, daß eine vornehme Geburt, eine Englaͤndiſche Kutſche mit einem Zuge von ſechſen, und ein ziemlich leidliches Angeſicht, eben ſo große und groͤſſere Thoren zu liebenswuͤrdigen Kerlchen macht. Unſer Mann hegte uͤbrigens den erſprießlichen Grundſatz, daß man in allen Vorfaͤllen um ſein ſelbſt willen handeln muͤſſe, und daß daher derjenige, der Kraft habe, denjenigen, der ſchwaͤcher ſey, ohne Be- denken zwingen muͤſſe, ſeinen, als des Staͤrkern, Ab- ſichten zu folgen. Da nun das weibliche das ſchwaͤ- chere Geſchlecht iſt, ſo folgerte er ganz natuͤrlich, daß alle Mannsperſonen ein unwiderſprechliches Recht haͤtten, alle Frauenzimmer nach eignem Willen zu behandeln. Zwar gab er zu, daß Stand, Erziehung, Stolz, Sproͤdigkeit und Eigenſinn, dem Frauen- zimmer eine gewiſſe Art von zufaͤlliger Staͤrke geben koͤnne, die man Tugend nenne; aber er meinte auch, daß, wenn eine Mannsperſon, neben der dieſem Ge- ſchlechte eigeuthuͤmlichen Kraft, noch genugſamen Ver-

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/212>, abgerufen am 17.05.2024.