Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.überdieß mit den angenehmsten Träumen, welche zärtliche Scenen erfolgen würden, wenn er einmal von Marianen Nachricht erhalten, und ihr diese Folge von Gedichten überreichen sollte. Man urtheile also, wie groß sein Schmerz war, da er hörte, wie leichtsinnig Mariane seine Liebe sollte vergessen ha- ben, und mit einemmal befand, daß alle diese zärt- lichen Liebesseufzer ihre Wirkung verfehlen würden, Zwar gehörte er nicht zu den starken selbstständigen Seelen, welche, wenn ihnen ihre Geliebte vor dem Munde weggeheurathet wird, sich nothwendig er- hängen, oder in einen Fluß stürzen müssen; dennoch aber irrte er öfters trostlos in dem nahegelegenen Wal- de, achtete weder Wind noch Regen, sondern klagte dem Echo und den murmelnden Bächen seine Noth, Er sang manche Lieder voll verliebter Verzweiflung, und endlich eins, worinn er der Liebe ganz und gar entsagte. Dieß letztere erhielt seinen völligen Beyfall; denn es schien ihm, es habe etwas feyerliches, wel- ches seinen vorigen Liedern fehlte; und er fieng an seinen verliebten Schmerz, durch das Wohlgefallen an den Geisteswerken die er verursacht hatte, in etwas zu lindern. Zwey- K 5
uͤberdieß mit den angenehmſten Traͤumen, welche zaͤrtliche Scenen erfolgen wuͤrden, wenn er einmal von Marianen Nachricht erhalten, und ihr dieſe Folge von Gedichten uͤberreichen ſollte. Man urtheile alſo, wie groß ſein Schmerz war, da er hoͤrte, wie leichtſinnig Mariane ſeine Liebe ſollte vergeſſen ha- ben, und mit einemmal befand, daß alle dieſe zaͤrt- lichen Liebesſeufzer ihre Wirkung verfehlen wuͤrden, Zwar gehoͤrte er nicht zu den ſtarken ſelbſtſtaͤndigen Seelen, welche, wenn ihnen ihre Geliebte vor dem Munde weggeheurathet wird, ſich nothwendig er- haͤngen, oder in einen Fluß ſtuͤrzen muͤſſen; dennoch aber irrte er oͤfters troſtlos in dem nahegelegenen Wal- de, achtete weder Wind noch Regen, ſondern klagte dem Echo und den murmelnden Baͤchen ſeine Noth, Er ſang manche Lieder voll verliebter Verzweiflung, und endlich eins, worinn er der Liebe ganz und gar entſagte. Dieß letztere erhielt ſeinen voͤlligen Beyfall; denn es ſchien ihm, es habe etwas feyerliches, wel- ches ſeinen vorigen Liedern fehlte; und er fieng an ſeinen verliebten Schmerz, durch das Wohlgefallen an den Geiſteswerken die er verurſacht hatte, in etwas zu lindern. Zwey- K 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0159" n="149"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> uͤberdieß mit den angenehmſten Traͤumen, welche<lb/> zaͤrtliche Scenen erfolgen wuͤrden, wenn er einmal<lb/> von <hi rendition="#fr">Marianen</hi> Nachricht erhalten, und ihr dieſe<lb/> Folge von Gedichten uͤberreichen ſollte. Man urtheile<lb/> alſo, wie groß ſein Schmerz war, da er hoͤrte, wie<lb/> leichtſinnig <hi rendition="#fr">Mariane</hi> ſeine Liebe ſollte vergeſſen ha-<lb/> ben, und mit einemmal befand, daß alle dieſe zaͤrt-<lb/> lichen Liebesſeufzer ihre Wirkung verfehlen wuͤrden,<lb/> Zwar gehoͤrte er nicht zu den ſtarken ſelbſtſtaͤndigen<lb/> Seelen, welche, wenn ihnen ihre Geliebte vor dem<lb/> Munde weggeheurathet wird, ſich nothwendig er-<lb/> haͤngen, oder in einen Fluß ſtuͤrzen muͤſſen; dennoch<lb/> aber irrte er oͤfters troſtlos in dem nahegelegenen Wal-<lb/> de, achtete weder Wind noch Regen, ſondern klagte<lb/> dem Echo und den murmelnden Baͤchen ſeine Noth,<lb/> Er ſang manche Lieder voll verliebter Verzweiflung,<lb/> und endlich eins, worinn er der Liebe ganz und gar<lb/> entſagte. Dieß letztere erhielt ſeinen voͤlligen Beyfall;<lb/> denn es ſchien ihm, es habe etwas feyerliches, wel-<lb/> ches ſeinen vorigen Liedern fehlte; und er fieng an<lb/> ſeinen verliebten Schmerz, durch das Wohlgefallen<lb/> an den Geiſteswerken die er verurſacht hatte, in<lb/> etwas zu lindern.</p> </div><lb/> <fw place="bottom" type="sig">K 5</fw> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Zwey-</hi> </fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [149/0159]
uͤberdieß mit den angenehmſten Traͤumen, welche
zaͤrtliche Scenen erfolgen wuͤrden, wenn er einmal
von Marianen Nachricht erhalten, und ihr dieſe
Folge von Gedichten uͤberreichen ſollte. Man urtheile
alſo, wie groß ſein Schmerz war, da er hoͤrte, wie
leichtſinnig Mariane ſeine Liebe ſollte vergeſſen ha-
ben, und mit einemmal befand, daß alle dieſe zaͤrt-
lichen Liebesſeufzer ihre Wirkung verfehlen wuͤrden,
Zwar gehoͤrte er nicht zu den ſtarken ſelbſtſtaͤndigen
Seelen, welche, wenn ihnen ihre Geliebte vor dem
Munde weggeheurathet wird, ſich nothwendig er-
haͤngen, oder in einen Fluß ſtuͤrzen muͤſſen; dennoch
aber irrte er oͤfters troſtlos in dem nahegelegenen Wal-
de, achtete weder Wind noch Regen, ſondern klagte
dem Echo und den murmelnden Baͤchen ſeine Noth,
Er ſang manche Lieder voll verliebter Verzweiflung,
und endlich eins, worinn er der Liebe ganz und gar
entſagte. Dieß letztere erhielt ſeinen voͤlligen Beyfall;
denn es ſchien ihm, es habe etwas feyerliches, wel-
ches ſeinen vorigen Liedern fehlte; und er fieng an
ſeinen verliebten Schmerz, durch das Wohlgefallen
an den Geiſteswerken die er verurſacht hatte, in
etwas zu lindern.
Zwey-
K 5
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/159 |
Zitationshilfe: | Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/159>, abgerufen am 16.02.2025. |