Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite


So standen die Sachen unter ihnen am Ende des
Winters, als Herr F. von seinem Freunde, dem Offi-
cier, dem er so viel zu danken hatte, einen Brief be-
kam. Dieser edle Mann, nachdem er in allen Feld-
zügen des letzten Krieges für das Vaterland gesoch-
ten, und ehrenvolle Wunden erworben hatte, begab
sich auf seine Güter, um, in Gesellschaft einer würdi-
gen Gattinn, in häuslicher Zufriedenheit den Rest sei-
nes Lebens zuzubringen. Aber er wollte auch, daß
nicht er allein, sondern auch andere glücklich seyn soll-
ten. Er betrachtete sich als den allgemeinen Vater
seiner Unterthanen, und in dieser Absicht sorgte er für
die Erziehung ihrer Kinder. Er wollte zum Schul-
meister einen verständigen menschenfreundlichen
Mann haben, der nicht etwan nur die Kinder bloß die
Fragen und Antworten einer unverständlichen zweck-
losen Hellsordnung könnte auswendig lernen lassen,
sondern, der ihnen Pflichten deutlich machen sollte,
die sie gegen Gott und Menschen zu beobachten hät-
ten, der sie vor Vorurtheilen bewahren sollte, die
sich beym Bauer sonst Jahrhunderte lang fortpflan-
zen, der ihnen richtige Begriffe vom Landbaue, den
sie zu treiben bestimmt waren, beybringen, kurz, der
sie zu vernünftigen Menschen und zu guten
Bauern, erziehen sollte. Einen solchen Mann wollte

der


So ſtanden die Sachen unter ihnen am Ende des
Winters, als Herr F. von ſeinem Freunde, dem Offi-
cier, dem er ſo viel zu danken hatte, einen Brief be-
kam. Dieſer edle Mann, nachdem er in allen Feld-
zuͤgen des letzten Krieges fuͤr das Vaterland geſoch-
ten, und ehrenvolle Wunden erworben hatte, begab
ſich auf ſeine Guͤter, um, in Geſellſchaft einer wuͤrdi-
gen Gattinn, in haͤuslicher Zufriedenheit den Reſt ſei-
nes Lebens zuzubringen. Aber er wollte auch, daß
nicht er allein, ſondern auch andere gluͤcklich ſeyn ſoll-
ten. Er betrachtete ſich als den allgemeinen Vater
ſeiner Unterthanen, und in dieſer Abſicht ſorgte er fuͤr
die Erziehung ihrer Kinder. Er wollte zum Schul-
meiſter einen verſtaͤndigen menſchenfreundlichen
Mann haben, der nicht etwan nur die Kinder bloß die
Fragen und Antworten einer unverſtaͤndlichen zweck-
loſen Hellsordnung koͤnnte auswendig lernen laſſen,
ſondern, der ihnen Pflichten deutlich machen ſollte,
die ſie gegen Gott und Menſchen zu beobachten haͤt-
ten, der ſie vor Vorurtheilen bewahren ſollte, die
ſich beym Bauer ſonſt Jahrhunderte lang fortpflan-
zen, der ihnen richtige Begriffe vom Landbaue, den
ſie zu treiben beſtimmt waren, beybringen, kurz, der
ſie zu vernuͤnftigen Menſchen und zu guten
Bauern, erziehen ſollte. Einen ſolchen Mann wollte

der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0140" n="130"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>So &#x017F;tanden die Sachen unter ihnen am Ende des<lb/>
Winters, als Herr <hi rendition="#fr">F.</hi> von &#x017F;einem Freunde, dem Offi-<lb/>
cier, dem er &#x017F;o viel zu danken hatte, einen Brief be-<lb/>
kam. Die&#x017F;er edle Mann, nachdem er in allen Feld-<lb/>
zu&#x0364;gen des letzten Krieges fu&#x0364;r das Vaterland ge&#x017F;och-<lb/>
ten, und ehrenvolle Wunden erworben hatte, begab<lb/>
&#x017F;ich auf &#x017F;eine Gu&#x0364;ter, um, in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft einer wu&#x0364;rdi-<lb/>
gen Gattinn, in ha&#x0364;uslicher Zufriedenheit den Re&#x017F;t &#x017F;ei-<lb/>
nes Lebens zuzubringen. Aber er wollte auch, daß<lb/>
nicht er allein, &#x017F;ondern auch andere glu&#x0364;cklich &#x017F;eyn &#x017F;oll-<lb/>
ten. Er betrachtete &#x017F;ich als den allgemeinen Vater<lb/>
&#x017F;einer Unterthanen, und in die&#x017F;er Ab&#x017F;icht &#x017F;orgte er fu&#x0364;r<lb/>
die Erziehung ihrer Kinder. Er wollte zum Schul-<lb/>
mei&#x017F;ter einen ver&#x017F;ta&#x0364;ndigen men&#x017F;chenfreundlichen<lb/>
Mann haben, der nicht etwan nur die Kinder bloß die<lb/>
Fragen und Antworten einer unver&#x017F;ta&#x0364;ndlichen zweck-<lb/>
lo&#x017F;en Hellsordnung ko&#x0364;nnte auswendig lernen la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;ondern, der ihnen Pflichten deutlich machen &#x017F;ollte,<lb/>
die &#x017F;ie gegen Gott und Men&#x017F;chen zu beobachten ha&#x0364;t-<lb/>
ten, der &#x017F;ie vor Vorurtheilen bewahren &#x017F;ollte, die<lb/>
&#x017F;ich beym Bauer &#x017F;on&#x017F;t Jahrhunderte lang fortpflan-<lb/>
zen, der ihnen richtige Begriffe vom Landbaue, den<lb/>
&#x017F;ie zu treiben be&#x017F;timmt waren, beybringen, kurz, der<lb/>
&#x017F;ie zu vernu&#x0364;nftigen Men&#x017F;chen und zu guten<lb/>
Bauern, erziehen &#x017F;ollte. Einen &#x017F;olchen Mann wollte<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0140] So ſtanden die Sachen unter ihnen am Ende des Winters, als Herr F. von ſeinem Freunde, dem Offi- cier, dem er ſo viel zu danken hatte, einen Brief be- kam. Dieſer edle Mann, nachdem er in allen Feld- zuͤgen des letzten Krieges fuͤr das Vaterland geſoch- ten, und ehrenvolle Wunden erworben hatte, begab ſich auf ſeine Guͤter, um, in Geſellſchaft einer wuͤrdi- gen Gattinn, in haͤuslicher Zufriedenheit den Reſt ſei- nes Lebens zuzubringen. Aber er wollte auch, daß nicht er allein, ſondern auch andere gluͤcklich ſeyn ſoll- ten. Er betrachtete ſich als den allgemeinen Vater ſeiner Unterthanen, und in dieſer Abſicht ſorgte er fuͤr die Erziehung ihrer Kinder. Er wollte zum Schul- meiſter einen verſtaͤndigen menſchenfreundlichen Mann haben, der nicht etwan nur die Kinder bloß die Fragen und Antworten einer unverſtaͤndlichen zweck- loſen Hellsordnung koͤnnte auswendig lernen laſſen, ſondern, der ihnen Pflichten deutlich machen ſollte, die ſie gegen Gott und Menſchen zu beobachten haͤt- ten, der ſie vor Vorurtheilen bewahren ſollte, die ſich beym Bauer ſonſt Jahrhunderte lang fortpflan- zen, der ihnen richtige Begriffe vom Landbaue, den ſie zu treiben beſtimmt waren, beybringen, kurz, der ſie zu vernuͤnftigen Menſchen und zu guten Bauern, erziehen ſollte. Einen ſolchen Mann wollte der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/140
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/140>, abgerufen am 22.11.2024.