Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.,Scheintugenden, mein lieber Bruder, weltliche ,Wozu soll man so seltsame Benennungen erden- ,Wenn es nicht aus Herzlichkeit zu dem blutigen ,Sprechen Sie doch nicht so! Hiemit kan man al- "eine A 4
‚Scheintugenden, mein lieber Bruder, weltliche ‚Wozu ſoll man ſo ſeltſame Benennungen erden- ‚Wenn es nicht aus Herzlichkeit zu dem blutigen ‚Sprechen Sie doch nicht ſo! Hiemit kan man al- ”eine A 4
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‚Scheintugenden, mein lieber Bruder, weltliche
”ehrbare Scheintugenden. Mit ſolchem Bettlersman-
”tel, will der unwiedergebohrne Menſch, den Ausſatz
”ſeiner natuͤrlich verderbten Natur bedecken. Mit die-
”ſen ſogenannten Tugenden aber, kann man auf
”ewig in den Schwefelpfuhl geworfen werden, aus
”welchem keine Erloͤſung iſt. Dieß ſind nicht die wah-
”ren gottgefaͤlligen Tugenden. Wenn Tugenden nicht
”aus der Gnade entſpringen; ſo ſind ſie glaͤnzende/
”Laſter zu nennen.‛
‚Wozu ſoll man ſo ſeltſame Benennungen erden-
”ken? Jch vergebe z. B. den Raͤubern die mich be-
”raubt haben, ich wuͤnſche ihre Beſſerung. Dieß iſt
”ſo wenig die Wirkung einer uͤbernatuͤrlichen Gnade
”daß es vielleicht bloß nur die Wirkung meines Alters,
”oder meines Temperaments iſt. Jſt dieß aber des
”wegen Gott nicht gefaͤllig? Jſt es ein Laſter?‛
‚Wenn es nicht aus Herzlichkeit zu dem blutigen
”Verſoͤhner geſchiehet, ſo iſt es nichts als ein weltli-
”ches Tugendbild, eine nachgemachte Froͤmmigkeit,
”bey der man ewig verlohren gehen kann!‛
‚Sprechen Sie doch nicht ſo! Hiemit kan man al-
”ten Muͤtterchen allenfalls eine Furcht einjagen, aber
”aber man beweiſet nichts. Jch habe uͤber dieſe Sa-
”chen reiflich nachgedacht, und ich finde, daß weder
”eine
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