Erklärung der siebenzig Wochen, zwar vielleicht an Richtigkeit und Wahrheit, aber gewiß nicht an Neu- heit, Scharfsinn und sinnreicher Aufklärung der dun- kelsten Bilder zu vergleichen sind.
So wie die meisten großen Begebenheiten, aus sehr geringfügigen Ursachen zu entspringen pflegen, so ging es auch derjenigen Hypothese über die Apokalypse, auf die sich Sebaldus am meisten zu gute that. Wil- helmine war, als sie vom Hofe kam, sehr franzö- sisch gesinnet, sie sprach und laß gern französisch, sie ließ sich sogar merken, daß sie nichts eifriger wünschte, als einmahl in ihrem Leben Paris zu sehen, und warf es ihrem Mann mehr als einmahl vor, daß er gar nichts von französischer Artigkeit an sich hätte. Nun fügte es sich unglücklicher Weise, daß der ehrliche Se- baldus schon vorher an allem, was französisch war, einen überaus großen Misfallen hegte. Es war ihm von Jugend auf in der Schule ein herzlicher deutscher Haß gegen die Krone Frankreich eingeprägt worden, man hatte ihm oft wiederhohlt, daß sie nebst dem lei- digen Türken der Erb- und Erzfeind von Deutschland sey, daß sie den Kaiser und Reich so oft bekrieget, und ganze Provinzen von dem deutschen Reiche |abge- zwackt habe. Da nun Frankreich ausser dem vielen und öftern Unheil, das es auf deutschem Boden
ange-
A 5
Erklaͤrung der ſiebenzig Wochen, zwar vielleicht an Richtigkeit und Wahrheit, aber gewiß nicht an Neu- heit, Scharfſinn und ſinnreicher Aufklaͤrung der dun- kelſten Bilder zu vergleichen ſind.
So wie die meiſten großen Begebenheiten, aus ſehr geringfuͤgigen Urſachen zu entſpringen pflegen, ſo ging es auch derjenigen Hypotheſe uͤber die Apokalypſe, auf die ſich Sebaldus am meiſten zu gute that. Wil- helmine war, als ſie vom Hofe kam, ſehr franzoͤ- ſiſch geſinnet, ſie ſprach und laß gern franzoͤſiſch, ſie ließ ſich ſogar merken, daß ſie nichts eifriger wuͤnſchte, als einmahl in ihrem Leben Paris zu ſehen, und warf es ihrem Mann mehr als einmahl vor, daß er gar nichts von franzoͤſiſcher Artigkeit an ſich haͤtte. Nun fuͤgte es ſich ungluͤcklicher Weiſe, daß der ehrliche Se- baldus ſchon vorher an allem, was franzoͤſiſch war, einen uͤberaus großen Misfallen hegte. Es war ihm von Jugend auf in der Schule ein herzlicher deutſcher Haß gegen die Krone Frankreich eingepraͤgt worden, man hatte ihm oft wiederhohlt, daß ſie nebſt dem lei- digen Tuͤrken der Erb- und Erzfeind von Deutſchland ſey, daß ſie den Kaiſer und Reich ſo oft bekrieget, und ganze Provinzen von dem deutſchen Reiche |abge- zwackt habe. Da nun Frankreich auſſer dem vielen und oͤftern Unheil, das es auf deutſchem Boden
ange-
A 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0029"n="9"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Erklaͤrung der ſiebenzig Wochen, zwar vielleicht an<lb/>
Richtigkeit und Wahrheit, aber gewiß nicht an Neu-<lb/>
heit, Scharfſinn und ſinnreicher Aufklaͤrung der dun-<lb/>
kelſten Bilder zu vergleichen ſind.</p><lb/><p>So wie die meiſten großen Begebenheiten, aus<lb/>ſehr geringfuͤgigen Urſachen zu entſpringen pflegen, ſo<lb/>
ging es auch derjenigen Hypotheſe uͤber die Apokalypſe,<lb/>
auf die ſich <hirendition="#fr">Sebaldus</hi> am meiſten zu gute that. <hirendition="#fr">Wil-<lb/>
helmine</hi> war, als ſie vom Hofe kam, ſehr franzoͤ-<lb/>ſiſch geſinnet, ſie ſprach und laß gern franzoͤſiſch, ſie<lb/>
ließ ſich ſogar merken, daß ſie nichts eifriger wuͤnſchte,<lb/>
als einmahl in ihrem Leben Paris zu ſehen, und warf<lb/>
es ihrem Mann mehr als einmahl vor, daß er gar<lb/>
nichts von franzoͤſiſcher Artigkeit an ſich haͤtte. Nun<lb/>
fuͤgte es ſich ungluͤcklicher Weiſe, daß der ehrliche <hirendition="#fr">Se-<lb/>
baldus</hi>ſchon vorher an allem, was franzoͤſiſch war,<lb/>
einen uͤberaus großen Misfallen hegte. Es war ihm<lb/>
von Jugend auf in der Schule ein herzlicher deutſcher<lb/>
Haß gegen die Krone Frankreich eingepraͤgt worden,<lb/>
man hatte ihm oft wiederhohlt, daß ſie nebſt dem lei-<lb/>
digen Tuͤrken der Erb- und Erzfeind von Deutſchland<lb/>ſey, daß ſie den Kaiſer und Reich ſo oft bekrieget,<lb/>
und ganze Provinzen von dem deutſchen Reiche |abge-<lb/>
zwackt habe. Da nun Frankreich auſſer dem vielen<lb/>
und oͤftern Unheil, das es auf deutſchem Boden<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">ange-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[9/0029]
Erklaͤrung der ſiebenzig Wochen, zwar vielleicht an
Richtigkeit und Wahrheit, aber gewiß nicht an Neu-
heit, Scharfſinn und ſinnreicher Aufklaͤrung der dun-
kelſten Bilder zu vergleichen ſind.
So wie die meiſten großen Begebenheiten, aus
ſehr geringfuͤgigen Urſachen zu entſpringen pflegen, ſo
ging es auch derjenigen Hypotheſe uͤber die Apokalypſe,
auf die ſich Sebaldus am meiſten zu gute that. Wil-
helmine war, als ſie vom Hofe kam, ſehr franzoͤ-
ſiſch geſinnet, ſie ſprach und laß gern franzoͤſiſch, ſie
ließ ſich ſogar merken, daß ſie nichts eifriger wuͤnſchte,
als einmahl in ihrem Leben Paris zu ſehen, und warf
es ihrem Mann mehr als einmahl vor, daß er gar
nichts von franzoͤſiſcher Artigkeit an ſich haͤtte. Nun
fuͤgte es ſich ungluͤcklicher Weiſe, daß der ehrliche Se-
baldus ſchon vorher an allem, was franzoͤſiſch war,
einen uͤberaus großen Misfallen hegte. Es war ihm
von Jugend auf in der Schule ein herzlicher deutſcher
Haß gegen die Krone Frankreich eingepraͤgt worden,
man hatte ihm oft wiederhohlt, daß ſie nebſt dem lei-
digen Tuͤrken der Erb- und Erzfeind von Deutſchland
ſey, daß ſie den Kaiſer und Reich ſo oft bekrieget,
und ganze Provinzen von dem deutſchen Reiche |abge-
zwackt habe. Da nun Frankreich auſſer dem vielen
und oͤftern Unheil, das es auf deutſchem Boden
ange-
A 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/29>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.