Säugling schlug die Augen auf, und antwortete: "Ach nein! meine Seele ist zu voll, als daß ich die "Schönheiten der Natur empfinden könnte."
"Ausgenommen die Schönheit des Wetters? --"
"Spotten Sie meiner nicht. Bloß weil ich meine "innigste Gedanken mich nicht zu sagen getrauete, "sagte ich etwas ganz gemeines. -- Ach Mariane "Sie haben recht, ich hätte Jhnen etwas viel wichti- "gers zu sagen. --"
"Nun so sagen Sie doch an an! --"
Sehen Sie diese Veilchen, sie sind klein, aber "verbreiten süßen Duft, die allgewaltige Kraft der "Sonne lockt sie aus der Erde hervor, ohne sie wür- "den sie weder blühen noch duften. Ach meine Ma- "riane! Jch bin dieses Veilchen, Sie sind meine "Sonne." --
Mariane erröthete, und nachdem sie eine halbe Minute Luft geschöpft hatte, sagte sie, mit niederge- schlagenen Augen: "Sie haben mich für meinen "kleinen Scherz doppelt bezahlt; Jch werde mich hü- "ten müssen, wieder zu scherzen."
"O schönste Mariane, suchen Sie nicht Scherz "aus einer Sache zu machen, die mir so ernsthaft "ist. Schon lange hat Sie mein Herz stillschweigend "angebetet, aber nun kann ich nicht mehr schweigen.
Jch
Saͤugling ſchlug die Augen auf, und antwortete: „Ach nein! meine Seele iſt zu voll, als daß ich die „Schoͤnheiten der Natur empfinden koͤnnte.‟
„Ausgenommen die Schoͤnheit des Wetters? —‟
„Spotten Sie meiner nicht. Bloß weil ich meine „innigſte Gedanken mich nicht zu ſagen getrauete, „ſagte ich etwas ganz gemeines. — Ach Mariane „Sie haben recht, ich haͤtte Jhnen etwas viel wichti- „gers zu ſagen. —‟
„Nun ſo ſagen Sie doch an an! —‟
Sehen Sie dieſe Veilchen, ſie ſind klein, aber „verbreiten ſuͤßen Duft, die allgewaltige Kraft der „Sonne lockt ſie aus der Erde hervor, ohne ſie wuͤr- „den ſie weder bluͤhen noch duften. Ach meine Ma- „riane! Jch bin dieſes Veilchen, Sie ſind meine „Sonne.‟ —
Mariane erroͤthete, und nachdem ſie eine halbe Minute Luft geſchoͤpft hatte, ſagte ſie, mit niederge- ſchlagenen Augen: „Sie haben mich fuͤr meinen „kleinen Scherz doppelt bezahlt; Jch werde mich huͤ- „ten muͤſſen, wieder zu ſcherzen.‟
„O ſchoͤnſte Mariane, ſuchen Sie nicht Scherz „aus einer Sache zu machen, die mir ſo ernſthaft „iſt. Schon lange hat Sie mein Herz ſtillſchweigend „angebetet, aber nun kann ich nicht mehr ſchweigen.
Jch
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Saͤugling ſchlug die Augen auf, und antwortete:
„Ach nein! meine Seele iſt zu voll, als daß ich die
„Schoͤnheiten der Natur empfinden koͤnnte.‟
„Ausgenommen die Schoͤnheit des Wetters? —‟
„Spotten Sie meiner nicht. Bloß weil ich meine
„innigſte Gedanken mich nicht zu ſagen getrauete,
„ſagte ich etwas ganz gemeines. — Ach Mariane
„Sie haben recht, ich haͤtte Jhnen etwas viel wichti-
„gers zu ſagen. —‟
„Nun ſo ſagen Sie doch an an! —‟
Sehen Sie dieſe Veilchen, ſie ſind klein, aber
„verbreiten ſuͤßen Duft, die allgewaltige Kraft der
„Sonne lockt ſie aus der Erde hervor, ohne ſie wuͤr-
„den ſie weder bluͤhen noch duften. Ach meine Ma-
„riane! Jch bin dieſes Veilchen, Sie ſind meine
„Sonne.‟ —
Mariane erroͤthete, und nachdem ſie eine halbe
Minute Luft geſchoͤpft hatte, ſagte ſie, mit niederge-
ſchlagenen Augen: „Sie haben mich fuͤr meinen
„kleinen Scherz doppelt bezahlt; Jch werde mich huͤ-
„ten muͤſſen, wieder zu ſcherzen.‟
„O ſchoͤnſte Mariane, ſuchen Sie nicht Scherz
„aus einer Sache zu machen, die mir ſo ernſthaft
„iſt. Schon lange hat Sie mein Herz ſtillſchweigend
„angebetet, aber nun kann ich nicht mehr ſchweigen.
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/240>, abgerufen am 22.07.2024.
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