kam ihr mit Freundschaftsbezeugungen zuvor. Aus diesem Wechsel von Gefälligkeiten, entstanden bey beiden Empfindungen einer Glückseligkeit, die sie vor- her noch gar nicht gefühlt hatten.
Von dieser Zeit an, vergaß die schöne Wilhelmine völlig den Hof, und ward ganz eine Landwirthin. Vorher hatte sie nur zu gehorchen gewust, nun be- gann sie zu regieren. Es kostete ihr einige kleine Lieb- kosungen, so fieng Sebaldus, der bisher als ein hal- ber Wilder gelebt hatte, an, sich fleissiger den Bart zu putzen, und nicht so viel Federn auf seinem schwarzen Rocke zu leiden. Durch gleiche Freundlichkeit, er- streckte sie bald ihre Herrschaft auf ihre Nachbarin- nen, die sie bisher durch ein gnädiges Hoflächeln weg- gescheuchet hatte. Nun erwarb sie bald derselben Vertraulichkeit, ertheilte den Wohlhabenden guten Rath, den Armen Allmosen, und ward in kurzer Zeit im Kirchspiele eben so beliebt, als ihr Mann schon vorher gewesen war.
Diese Liebe hatte sich Sebaldus durch die Sorg- falt, die er für seine Gemeine trug, erworben. Er war in den Häusern seiner Bauern als ein Vater und als ein Rathgeber willkommen. Nie ließ er es dem Bekümmerten an Trost, nie dem Hungrigen an Lab- sal fehlen. Er war von allen häuslichen Vorfällen
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kam ihr mit Freundſchaftsbezeugungen zuvor. Aus dieſem Wechſel von Gefaͤlligkeiten, entſtanden bey beiden Empfindungen einer Gluͤckſeligkeit, die ſie vor- her noch gar nicht gefuͤhlt hatten.
Von dieſer Zeit an, vergaß die ſchoͤne Wilhelmine voͤllig den Hof, und ward ganz eine Landwirthin. Vorher hatte ſie nur zu gehorchen gewuſt, nun be- gann ſie zu regieren. Es koſtete ihr einige kleine Lieb- koſungen, ſo fieng Sebaldus, der bisher als ein hal- ber Wilder gelebt hatte, an, ſich fleiſſiger den Bart zu putzen, und nicht ſo viel Federn auf ſeinem ſchwarzen Rocke zu leiden. Durch gleiche Freundlichkeit, er- ſtreckte ſie bald ihre Herrſchaft auf ihre Nachbarin- nen, die ſie bisher durch ein gnaͤdiges Hoflaͤcheln weg- geſcheuchet hatte. Nun erwarb ſie bald derſelben Vertraulichkeit, ertheilte den Wohlhabenden guten Rath, den Armen Allmoſen, und ward in kurzer Zeit im Kirchſpiele eben ſo beliebt, als ihr Mann ſchon vorher geweſen war.
Dieſe Liebe hatte ſich Sebaldus durch die Sorg- falt, die er fuͤr ſeine Gemeine trug, erworben. Er war in den Haͤuſern ſeiner Bauern als ein Vater und als ein Rathgeber willkommen. Nie ließ er es dem Bekuͤmmerten an Troſt, nie dem Hungrigen an Lab- ſal fehlen. Er war von allen haͤuslichen Vorfaͤllen
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kam ihr mit Freundſchaftsbezeugungen zuvor. Aus
dieſem Wechſel von Gefaͤlligkeiten, entſtanden bey
beiden Empfindungen einer Gluͤckſeligkeit, die ſie vor-
her noch gar nicht gefuͤhlt hatten.
Von dieſer Zeit an, vergaß die ſchoͤne Wilhelmine
voͤllig den Hof, und ward ganz eine Landwirthin.
Vorher hatte ſie nur zu gehorchen gewuſt, nun be-
gann ſie zu regieren. Es koſtete ihr einige kleine Lieb-
koſungen, ſo fieng Sebaldus, der bisher als ein hal-
ber Wilder gelebt hatte, an, ſich fleiſſiger den Bart zu
putzen, und nicht ſo viel Federn auf ſeinem ſchwarzen
Rocke zu leiden. Durch gleiche Freundlichkeit, er-
ſtreckte ſie bald ihre Herrſchaft auf ihre Nachbarin-
nen, die ſie bisher durch ein gnaͤdiges Hoflaͤcheln weg-
geſcheuchet hatte. Nun erwarb ſie bald derſelben
Vertraulichkeit, ertheilte den Wohlhabenden guten
Rath, den Armen Allmoſen, und ward in kurzer Zeit
im Kirchſpiele eben ſo beliebt, als ihr Mann ſchon
vorher geweſen war.
Dieſe Liebe hatte ſich Sebaldus durch die Sorg-
falt, die er fuͤr ſeine Gemeine trug, erworben. Er
war in den Haͤuſern ſeiner Bauern als ein Vater und
als ein Rathgeber willkommen. Nie ließ er es dem
Bekuͤmmerten an Troſt, nie dem Hungrigen an Lab-
ſal fehlen. Er war von allen haͤuslichen Vorfaͤllen
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/23>, abgerufen am 22.07.2024.
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