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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

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Endlich wendete sich die Gräfinn von * * * die un-
ter den Vorbitterinnen sich am geschäftigsten erwiesen
hatte, an den Herrn von Hohenauf, der bey der
ganzen Scene noch nicht ein Wort zu äußern sich ge-
trauet hatte: Sie bat ihn, dem Geburtsfeste seiner
Gemahlinn zu Ehren, den |Gefangenen loszulassen.

Der Herr von Hohenauf, mit eiskaltem
Schweiße vor der Stirne, konte mehr nicht, als ein
gestammeltes "Jn der That -- -- meine gnädige
"Gräfinn" -- -- hervor bringen. Es war ihm wirk-
lich gleich unmöglich, einer Dame von solchem Stande
eine so kleine Bitte abzuschlagen, als wider den so
ausdrücklich erklärten Willen seiner Gemahlin etwas
zu thun.

Die Gräfin, die ihren Mann sogleich übersahe,
wendete sich abermahl an die Frau von Hohenauf,
nahm sie bey der Hand, und sagte mit liebreizender
Miene: "Die Göttinnen können nicht Rache halten,
"sondern lieben die Vergebung. Kein Götterfest kan
"ohne Wohlthun vollbracht werden. Jch fodere den
"Gefangenen von Jhnen als ein Desert bey der
"Abendtafel, wollen Sie uns ohne Desert lassen nach
"Hause fahren?"

Die Frau von Hohenauf hatte unter diesen Re-
den Zeit gehabt, sich zu besinnen, was der Anstand

erfo-


Endlich wendete ſich die Graͤfinn von * * * die un-
ter den Vorbitterinnen ſich am geſchaͤftigſten erwieſen
hatte, an den Herrn von Hohenauf, der bey der
ganzen Scene noch nicht ein Wort zu aͤußern ſich ge-
trauet hatte: Sie bat ihn, dem Geburtsfeſte ſeiner
Gemahlinn zu Ehren, den |Gefangenen loszulaſſen.

Der Herr von Hohenauf, mit eiskaltem
Schweiße vor der Stirne, konte mehr nicht, als ein
geſtammeltes „Jn der That — — meine gnaͤdige
„Graͤfinn‟ — — hervor bringen. Es war ihm wirk-
lich gleich unmoͤglich, einer Dame von ſolchem Stande
eine ſo kleine Bitte abzuſchlagen, als wider den ſo
ausdruͤcklich erklaͤrten Willen ſeiner Gemahlin etwas
zu thun.

Die Graͤfin, die ihren Mann ſogleich uͤberſahe,
wendete ſich abermahl an die Frau von Hohenauf,
nahm ſie bey der Hand, und ſagte mit liebreizender
Miene: „Die Goͤttinnen koͤnnen nicht Rache halten,
„ſondern lieben die Vergebung. Kein Goͤtterfeſt kan
„ohne Wohlthun vollbracht werden. Jch fodere den
„Gefangenen von Jhnen als ein Deſert bey der
„Abendtafel, wollen Sie uns ohne Deſert laſſen nach
„Hauſe fahren?‟

Die Frau von Hohenauf hatte unter dieſen Re-
den Zeit gehabt, ſich zu beſinnen, was der Anſtand

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[202/0228] Endlich wendete ſich die Graͤfinn von * * * die un- ter den Vorbitterinnen ſich am geſchaͤftigſten erwieſen hatte, an den Herrn von Hohenauf, der bey der ganzen Scene noch nicht ein Wort zu aͤußern ſich ge- trauet hatte: Sie bat ihn, dem Geburtsfeſte ſeiner Gemahlinn zu Ehren, den |Gefangenen loszulaſſen. Der Herr von Hohenauf, mit eiskaltem Schweiße vor der Stirne, konte mehr nicht, als ein geſtammeltes „Jn der That — — meine gnaͤdige „Graͤfinn‟ — — hervor bringen. Es war ihm wirk- lich gleich unmoͤglich, einer Dame von ſolchem Stande eine ſo kleine Bitte abzuſchlagen, als wider den ſo ausdruͤcklich erklaͤrten Willen ſeiner Gemahlin etwas zu thun. Die Graͤfin, die ihren Mann ſogleich uͤberſahe, wendete ſich abermahl an die Frau von Hohenauf, nahm ſie bey der Hand, und ſagte mit liebreizender Miene: „Die Goͤttinnen koͤnnen nicht Rache halten, „ſondern lieben die Vergebung. Kein Goͤtterfeſt kan „ohne Wohlthun vollbracht werden. Jch fodere den „Gefangenen von Jhnen als ein Deſert bey der „Abendtafel, wollen Sie uns ohne Deſert laſſen nach „Hauſe fahren?‟ Die Frau von Hohenauf hatte unter dieſen Re- den Zeit gehabt, ſich zu beſinnen, was der Anſtand erfo-

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/228>, abgerufen am 25.11.2024.