Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



schriebenen, von Marianen mündlich aufgetragen
war.

Es hatte ein armer Pachter eines Bauerguts auf
des gnädigen Herrn Wildbahn geschossen. Der Jä-
ger hatte ihm das Gewehr weggenommen. Seit
sechs Wochen lag er im Gefängnisse, und man machte
ihm den Proceß, um ihn an die Karre schmieden zu
lassen. Jndessen da der Wirth und Versorger des
Hauses fehlte, schmachteten seine Frau und fünf Kin-
der im Elende. Die gutherzige Mariane hatre ih-
nen so gut sie konnte beygestanden. Sie hätte auch
gern für den armen Gefangenen eine Vorbitte einge-
legt, aber sie empfand, mit wie weniger Hofnung
des Erfolgs sie dieses wagen dürfte. Sie hatte daher
zuerst darauf gedacht, dieses Fest anzustellen, um da-
bey Gelegenheit zu haben, durch Fräulein Adelheid,
die der Liebling ihrer Mutter war, die Loslassung des
Gefangenen zu bewirken. Sie hatte ihr die Worte
in den Mund gelegt, die sie sagen sollte, wenn ihre
Aeltern, durch das Vergnügen des Festes in gute
Laune gebracht, das Herz dem Mitleid zu öfnen ge-
neigter seyn möchten.

Fräulein Adelheid hatte also kaum gehört, daß
sie für ihr Spielen belohnt werden solte, so ergriff
sie diese Gelegenheit begierig, fiel ihrer Mutter zu Füßen
und rief aus:

"Ach
N 3



ſchriebenen, von Marianen muͤndlich aufgetragen
war.

Es hatte ein armer Pachter eines Bauerguts auf
des gnaͤdigen Herrn Wildbahn geſchoſſen. Der Jaͤ-
ger hatte ihm das Gewehr weggenommen. Seit
ſechs Wochen lag er im Gefaͤngniſſe, und man machte
ihm den Proceß, um ihn an die Karre ſchmieden zu
laſſen. Jndeſſen da der Wirth und Verſorger des
Hauſes fehlte, ſchmachteten ſeine Frau und fuͤnf Kin-
der im Elende. Die gutherzige Mariane hatre ih-
nen ſo gut ſie konnte beygeſtanden. Sie haͤtte auch
gern fuͤr den armen Gefangenen eine Vorbitte einge-
legt, aber ſie empfand, mit wie weniger Hofnung
des Erfolgs ſie dieſes wagen duͤrfte. Sie hatte daher
zuerſt darauf gedacht, dieſes Feſt anzuſtellen, um da-
bey Gelegenheit zu haben, durch Fraͤulein Adelheid,
die der Liebling ihrer Mutter war, die Loslaſſung des
Gefangenen zu bewirken. Sie hatte ihr die Worte
in den Mund gelegt, die ſie ſagen ſollte, wenn ihre
Aeltern, durch das Vergnuͤgen des Feſtes in gute
Laune gebracht, das Herz dem Mitleid zu oͤfnen ge-
neigter ſeyn moͤchten.

Fraͤulein Adelheid hatte alſo kaum gehoͤrt, daß
ſie fuͤr ihr Spielen belohnt werden ſolte, ſo ergriff
ſie dieſe Gelegenheit begierig, fiel ihrer Mutter zu Fuͤßen
und rief aus:

„Ach
N 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0223" n="197"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;chriebenen, von <hi rendition="#fr">Marianen</hi> mu&#x0364;ndlich aufgetragen<lb/>
war.</p><lb/>
          <p>Es hatte ein armer Pachter eines Bauerguts auf<lb/>
des gna&#x0364;digen Herrn Wildbahn ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en. Der Ja&#x0364;-<lb/>
ger hatte ihm das Gewehr weggenommen. Seit<lb/>
&#x017F;echs Wochen lag er im Gefa&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;e, und man machte<lb/>
ihm den Proceß, um ihn an die Karre &#x017F;chmieden zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Jnde&#x017F;&#x017F;en da der Wirth und Ver&#x017F;orger des<lb/>
Hau&#x017F;es fehlte, &#x017F;chmachteten &#x017F;eine Frau und fu&#x0364;nf Kin-<lb/>
der im Elende. Die gutherzige <hi rendition="#fr">Mariane</hi> hatre ih-<lb/>
nen &#x017F;o gut &#x017F;ie konnte beyge&#x017F;tanden. Sie ha&#x0364;tte auch<lb/>
gern fu&#x0364;r den armen Gefangenen eine Vorbitte einge-<lb/>
legt, aber &#x017F;ie empfand, mit wie weniger Hofnung<lb/>
des Erfolgs &#x017F;ie die&#x017F;es wagen du&#x0364;rfte. Sie hatte daher<lb/>
zuer&#x017F;t darauf gedacht, die&#x017F;es Fe&#x017F;t anzu&#x017F;tellen, um da-<lb/>
bey Gelegenheit zu haben, durch Fra&#x0364;ulein <hi rendition="#fr">Adelheid,</hi><lb/>
die der Liebling ihrer Mutter war, die Losla&#x017F;&#x017F;ung des<lb/>
Gefangenen zu bewirken. Sie hatte ihr die Worte<lb/>
in den Mund gelegt, die &#x017F;ie &#x017F;agen &#x017F;ollte, wenn ihre<lb/>
Aeltern, durch das Vergnu&#x0364;gen des Fe&#x017F;tes in gute<lb/>
Laune gebracht, das Herz dem Mitleid zu o&#x0364;fnen ge-<lb/>
neigter &#x017F;eyn mo&#x0364;chten.</p><lb/>
          <p>Fra&#x0364;ulein <hi rendition="#fr">Adelheid</hi> hatte al&#x017F;o kaum geho&#x0364;rt, daß<lb/>
&#x017F;ie fu&#x0364;r ihr Spielen belohnt werden &#x017F;olte, &#x017F;o ergriff<lb/>
&#x017F;ie die&#x017F;e Gelegenheit begierig, fiel ihrer Mutter zu Fu&#x0364;ßen<lb/>
und rief aus:</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">N 3</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Ach</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0223] ſchriebenen, von Marianen muͤndlich aufgetragen war. Es hatte ein armer Pachter eines Bauerguts auf des gnaͤdigen Herrn Wildbahn geſchoſſen. Der Jaͤ- ger hatte ihm das Gewehr weggenommen. Seit ſechs Wochen lag er im Gefaͤngniſſe, und man machte ihm den Proceß, um ihn an die Karre ſchmieden zu laſſen. Jndeſſen da der Wirth und Verſorger des Hauſes fehlte, ſchmachteten ſeine Frau und fuͤnf Kin- der im Elende. Die gutherzige Mariane hatre ih- nen ſo gut ſie konnte beygeſtanden. Sie haͤtte auch gern fuͤr den armen Gefangenen eine Vorbitte einge- legt, aber ſie empfand, mit wie weniger Hofnung des Erfolgs ſie dieſes wagen duͤrfte. Sie hatte daher zuerſt darauf gedacht, dieſes Feſt anzuſtellen, um da- bey Gelegenheit zu haben, durch Fraͤulein Adelheid, die der Liebling ihrer Mutter war, die Loslaſſung des Gefangenen zu bewirken. Sie hatte ihr die Worte in den Mund gelegt, die ſie ſagen ſollte, wenn ihre Aeltern, durch das Vergnuͤgen des Feſtes in gute Laune gebracht, das Herz dem Mitleid zu oͤfnen ge- neigter ſeyn moͤchten. Fraͤulein Adelheid hatte alſo kaum gehoͤrt, daß ſie fuͤr ihr Spielen belohnt werden ſolte, ſo ergriff ſie dieſe Gelegenheit begierig, fiel ihrer Mutter zu Fuͤßen und rief aus: „Ach N 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/223
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/223>, abgerufen am 23.11.2024.