Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



der Rechte eines freygebohrnen Menschen zu entsagen:
Er lerne vergessen, was er am eifrigsten wünscht, nach
dem trachten, was ihm verächtlich ist, Frölichkeit
seines Herzens verbeißen, und bey nagendem Kum-
mer ein heiteres Gesicht annehmen. Jst seine Seele
zu stark und sein Herz zu empfindlich, als daß er,
so oft es verlangt wird, fremden Jrrthum eigener
Ueberzeugung vorziehen könne, so kämpfe er den bit-
tern Kampf, und lerne über seinen eigenen Verstand
siegen.

Diesen Kampf hatte Mariane mit allem, was
er herbes und für den menschlichen Geist erniedrigen-
des hat, auszustehen. Sie sahe freylich nur allzuleb-
haft ein, daß sie in einem Zustande war, den bloß
das Wohlwollen ihren Obern erträglich machen konnte,
und nahm sich ernstlich vor, so lange es höhere Pflich-
ten erlaubten, sich in allen Dingen ohne Widerrede
nach dem Willen der Frau von Hohenauf zu richten,
und so gar, wenn es möglich wäre, ihren Wünschen
zuvorzukommen. Dies war nun freilich ein schwer-
auszuführendes Unternehmen; denn die Frau von
Hohenauf war sehr auffahrend, sehr eigensinnig
und sehr ungleich in ihrem Betragen. Auf ihren
Adel äusserst stolz, schien sie alle Personen bürger-
lichen Standes für Geschöpfe von einer andern Gat-

tung



der Rechte eines freygebohrnen Menſchen zu entſagen:
Er lerne vergeſſen, was er am eifrigſten wuͤnſcht, nach
dem trachten, was ihm veraͤchtlich iſt, Froͤlichkeit
ſeines Herzens verbeißen, und bey nagendem Kum-
mer ein heiteres Geſicht annehmen. Jſt ſeine Seele
zu ſtark und ſein Herz zu empfindlich, als daß er,
ſo oft es verlangt wird, fremden Jrrthum eigener
Ueberzeugung vorziehen koͤnne, ſo kaͤmpfe er den bit-
tern Kampf, und lerne uͤber ſeinen eigenen Verſtand
ſiegen.

Dieſen Kampf hatte Mariane mit allem, was
er herbes und fuͤr den menſchlichen Geiſt erniedrigen-
des hat, auszuſtehen. Sie ſahe freylich nur allzuleb-
haft ein, daß ſie in einem Zuſtande war, den bloß
das Wohlwollen ihren Obern ertraͤglich machen konnte,
und nahm ſich ernſtlich vor, ſo lange es hoͤhere Pflich-
ten erlaubten, ſich in allen Dingen ohne Widerrede
nach dem Willen der Frau von Hohenauf zu richten,
und ſo gar, wenn es moͤglich waͤre, ihren Wuͤnſchen
zuvorzukommen. Dies war nun freilich ein ſchwer-
auszufuͤhrendes Unternehmen; denn die Frau von
Hohenauf war ſehr auffahrend, ſehr eigenſinnig
und ſehr ungleich in ihrem Betragen. Auf ihren
Adel aͤuſſerſt ſtolz, ſchien ſie alle Perſonen buͤrger-
lichen Standes fuͤr Geſchoͤpfe von einer andern Gat-

tung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0199" n="173"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
der Rechte eines freygebohrnen Men&#x017F;chen zu ent&#x017F;agen:<lb/>
Er lerne verge&#x017F;&#x017F;en, was er am eifrig&#x017F;ten wu&#x0364;n&#x017F;cht, nach<lb/>
dem trachten, was ihm vera&#x0364;chtlich i&#x017F;t, Fro&#x0364;lichkeit<lb/>
&#x017F;eines Herzens verbeißen, und bey nagendem Kum-<lb/>
mer ein heiteres Ge&#x017F;icht annehmen. J&#x017F;t &#x017F;eine Seele<lb/>
zu &#x017F;tark und &#x017F;ein Herz zu empfindlich, als daß er,<lb/>
&#x017F;o oft es verlangt wird, fremden Jrrthum eigener<lb/>
Ueberzeugung vorziehen ko&#x0364;nne, &#x017F;o ka&#x0364;mpfe er den bit-<lb/>
tern Kampf, und lerne u&#x0364;ber &#x017F;einen eigenen Ver&#x017F;tand<lb/>
&#x017F;iegen.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;en Kampf hatte <hi rendition="#fr">Mariane</hi> mit allem, was<lb/>
er herbes und fu&#x0364;r den men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;t erniedrigen-<lb/>
des hat, auszu&#x017F;tehen. Sie &#x017F;ahe freylich nur allzuleb-<lb/>
haft ein, daß &#x017F;ie in einem Zu&#x017F;tande war, den bloß<lb/>
das Wohlwollen ihren Obern ertra&#x0364;glich machen konnte,<lb/>
und nahm &#x017F;ich ern&#x017F;tlich vor, &#x017F;o lange es ho&#x0364;here Pflich-<lb/>
ten erlaubten, &#x017F;ich in allen Dingen ohne Widerrede<lb/>
nach dem Willen der Frau von <hi rendition="#fr">Hohenauf</hi> zu richten,<lb/>
und &#x017F;o gar, wenn es mo&#x0364;glich wa&#x0364;re, ihren Wu&#x0364;n&#x017F;chen<lb/>
zuvorzukommen. Dies war nun freilich ein &#x017F;chwer-<lb/>
auszufu&#x0364;hrendes Unternehmen; denn die Frau von<lb/><hi rendition="#fr">Hohenauf</hi> war &#x017F;ehr auffahrend, &#x017F;ehr eigen&#x017F;innig<lb/>
und &#x017F;ehr ungleich in ihrem Betragen. Auf ihren<lb/>
Adel a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;t &#x017F;tolz, &#x017F;chien &#x017F;ie alle Per&#x017F;onen bu&#x0364;rger-<lb/>
lichen Standes fu&#x0364;r Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe von einer andern Gat-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tung</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0199] der Rechte eines freygebohrnen Menſchen zu entſagen: Er lerne vergeſſen, was er am eifrigſten wuͤnſcht, nach dem trachten, was ihm veraͤchtlich iſt, Froͤlichkeit ſeines Herzens verbeißen, und bey nagendem Kum- mer ein heiteres Geſicht annehmen. Jſt ſeine Seele zu ſtark und ſein Herz zu empfindlich, als daß er, ſo oft es verlangt wird, fremden Jrrthum eigener Ueberzeugung vorziehen koͤnne, ſo kaͤmpfe er den bit- tern Kampf, und lerne uͤber ſeinen eigenen Verſtand ſiegen. Dieſen Kampf hatte Mariane mit allem, was er herbes und fuͤr den menſchlichen Geiſt erniedrigen- des hat, auszuſtehen. Sie ſahe freylich nur allzuleb- haft ein, daß ſie in einem Zuſtande war, den bloß das Wohlwollen ihren Obern ertraͤglich machen konnte, und nahm ſich ernſtlich vor, ſo lange es hoͤhere Pflich- ten erlaubten, ſich in allen Dingen ohne Widerrede nach dem Willen der Frau von Hohenauf zu richten, und ſo gar, wenn es moͤglich waͤre, ihren Wuͤnſchen zuvorzukommen. Dies war nun freilich ein ſchwer- auszufuͤhrendes Unternehmen; denn die Frau von Hohenauf war ſehr auffahrend, ſehr eigenſinnig und ſehr ungleich in ihrem Betragen. Auf ihren Adel aͤuſſerſt ſtolz, ſchien ſie alle Perſonen buͤrger- lichen Standes fuͤr Geſchoͤpfe von einer andern Gat- tung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/199
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/199>, abgerufen am 22.11.2024.