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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

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sie können doch nicht läugnen, daß seitdem die Lectur
in Deutschland mehr Mode geworden, die Buchhand-
lung mehr florire.

Hier. Das läugne ich geradezu. Zur Zeit der
schönen dicken Postillen, der centnerschweren Consul-
tationen, der Arzneibücher in Folio, der Opera omnia,
der classischen Autoren und Kirchenväter in vielen Fo-
lianten, der theologischen Bedenken, der Leichenpre-
digten in vielen Bänden, der Labirynthe der Zeit,
der Schaubühnen der Welt, war die Buchhand-
lung im Flor. Was gibt man uns jetzt anstatt dieser
wichtigen Werke? Kleine Büchelgen von wenig Bo-
gen, die aus Hand in Hand gehen, viel gelesen und
wenig gekauft werden, wodurch denn endlich die Leser
so klug werden, daß ihnen die alten Kernbücher an-
stinken. Sehen Sie, das ist der Vortheil, den wir
Buchhändler vom Lesen der Bücher haben.

Seb. Aber das ist doch zu arg. Wenn man die
Bücher nicht lesen soll, was soll man denn damit thun?

Hier. Sie zerreißen oder Wände damit tapezieren.

Seb. Gott behüte, was sagen Sie da!

Hier. Was alle Tage geschiehet. Meine besten
Kunden sind Schulknaben, Handwerksburschen, Bau-
ern, gute Mütterchen, die beten und singen und die
die Knäblein und Mägdlein oft mit sich in die Wo-

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ſie koͤnnen doch nicht laͤugnen, daß ſeitdem die Lectur
in Deutſchland mehr Mode geworden, die Buchhand-
lung mehr florire.

Hier. Das laͤugne ich geradezu. Zur Zeit der
ſchoͤnen dicken Poſtillen, der centnerſchweren Conſul-
tationen, der Arzneibuͤcher in Folio, der Opera omnia,
der claſſiſchen Autoren und Kirchenvaͤter in vielen Fo-
lianten, der theologiſchen Bedenken, der Leichenpre-
digten in vielen Baͤnden, der Labirynthe der Zeit,
der Schaubuͤhnen der Welt, war die Buchhand-
lung im Flor. Was gibt man uns jetzt anſtatt dieſer
wichtigen Werke? Kleine Buͤchelgen von wenig Bo-
gen, die aus Hand in Hand gehen, viel geleſen und
wenig gekauft werden, wodurch denn endlich die Leſer
ſo klug werden, daß ihnen die alten Kernbuͤcher an-
ſtinken. Sehen Sie, das iſt der Vortheil, den wir
Buchhaͤndler vom Leſen der Buͤcher haben.

Seb. Aber das iſt doch zu arg. Wenn man die
Buͤcher nicht leſen ſoll, was ſoll man denn damit thun?

Hier. Sie zerreißen oder Waͤnde damit tapezieren.

Seb. Gott behuͤte, was ſagen Sie da!

Hier. Was alle Tage geſchiehet. Meine beſten
Kunden ſind Schulknaben, Handwerksburſchen, Bau-
ern, gute Muͤtterchen, die beten und ſingen und die
die Knaͤblein und Maͤgdlein oft mit ſich in die Wo-

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[117/0141] ſie koͤnnen doch nicht laͤugnen, daß ſeitdem die Lectur in Deutſchland mehr Mode geworden, die Buchhand- lung mehr florire. Hier. Das laͤugne ich geradezu. Zur Zeit der ſchoͤnen dicken Poſtillen, der centnerſchweren Conſul- tationen, der Arzneibuͤcher in Folio, der Opera omnia, der claſſiſchen Autoren und Kirchenvaͤter in vielen Fo- lianten, der theologiſchen Bedenken, der Leichenpre- digten in vielen Baͤnden, der Labirynthe der Zeit, der Schaubuͤhnen der Welt, war die Buchhand- lung im Flor. Was gibt man uns jetzt anſtatt dieſer wichtigen Werke? Kleine Buͤchelgen von wenig Bo- gen, die aus Hand in Hand gehen, viel geleſen und wenig gekauft werden, wodurch denn endlich die Leſer ſo klug werden, daß ihnen die alten Kernbuͤcher an- ſtinken. Sehen Sie, das iſt der Vortheil, den wir Buchhaͤndler vom Leſen der Buͤcher haben. Seb. Aber das iſt doch zu arg. Wenn man die Buͤcher nicht leſen ſoll, was ſoll man denn damit thun? Hier. Sie zerreißen oder Waͤnde damit tapezieren. Seb. Gott behuͤte, was ſagen Sie da! Hier. Was alle Tage geſchiehet. Meine beſten Kunden ſind Schulknaben, Handwerksburſchen, Bau- ern, gute Muͤtterchen, die beten und ſingen und die die Knaͤblein und Maͤgdlein oft mit ſich in die Wo- chenpre- H 3

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/141>, abgerufen am 24.11.2024.