ist vielmehr, wie es oft gesagt worden ist, an sich weder löb- lich noch verwerflich, weder sittlich noch widersittlich. Er kann unsittlich werden, bildet aber ebenso gut den Unter- grund auch des höchsten sittlichen Thuns. Die Frische der sinnlichen Energie nimmt mit gesunder Entwicklung der ge- samten Aktivität keineswegs ab, sondern muss sich stets auf ihrer verhältnismässigen, normalen Höhe halten. Sittliche Stärke und sinnliche Kraft des Empfindens und Handelns stehen keineswegs in umgekehrtem, sondern in geradem Verhältnis: der sittlich Schlaffe geht, so ausschliesslich er mit seinem sinn- lichsten Triebleben beschäftigt sein mag, dennoch gerade der gesundesten Energie der Sinnlichkeit verlustig. Wie die Pflanze sich in kraftvollem Wuchs über dem Erdboden nur dann er- hebt, wenn sie zugleich ihre Wurzeln mächtig in ihn hinein ausbreitet, so geht natürliches und sittliches Wachstum nor- malerweise Hand in Hand. Darum kann es auch niemals sittliche Aufgabe sein, das Triebleben zu entwurzeln, sondern nur, es zu reinigen oder zu heiligen, dabei aber, ja eben da- durch -- soweit nicht notgedrungen, um anderer, höherer Zwecke willen, darauf zu verzichten ist -- es in seiner ge- sunden Kraft zu erhalten.
Hier besonders stellt sich die ethische Wichtigkeit der physischen Erziehung heraus. Doch darf nie übersehen werden, dass auch dabei auf die Herrschaft des Bewusstseins zuletzt alles ankommt, und das Physische als blosses Mittel dem sittlichen Zweck immer untergeordnet bleiben muss. Wie es sich ihm unterordnet, wird bei der Erörterung der zweiten und dritten Stufe der Aktivität vollends klar werden.
§ 8. Zweite Stufe der Aktivität: Wille im engern Sinn.
Deutlich hebt sich nun schon der Wille in eigentlicher Bedeutung vom blossen Trieb dadurch ab, dass nicht mehr Eines allein unser Streben widerstandslos gefesselt hält, dass wir also nicht mehr unter dem unentrinnbaren Zwange einer einzigen Tendenz stehen oder zu stehen vermeinen, sondern uns
ist vielmehr, wie es oft gesagt worden ist, an sich weder löb- lich noch verwerflich, weder sittlich noch widersittlich. Er kann unsittlich werden, bildet aber ebenso gut den Unter- grund auch des höchsten sittlichen Thuns. Die Frische der sinnlichen Energie nimmt mit gesunder Entwicklung der ge- samten Aktivität keineswegs ab, sondern muss sich stets auf ihrer verhältnismässigen, normalen Höhe halten. Sittliche Stärke und sinnliche Kraft des Empfindens und Handelns stehen keineswegs in umgekehrtem, sondern in geradem Verhältnis: der sittlich Schlaffe geht, so ausschliesslich er mit seinem sinn- lichsten Triebleben beschäftigt sein mag, dennoch gerade der gesundesten Energie der Sinnlichkeit verlustig. Wie die Pflanze sich in kraftvollem Wuchs über dem Erdboden nur dann er- hebt, wenn sie zugleich ihre Wurzeln mächtig in ihn hinein ausbreitet, so geht natürliches und sittliches Wachstum nor- malerweise Hand in Hand. Darum kann es auch niemals sittliche Aufgabe sein, das Triebleben zu entwurzeln, sondern nur, es zu reinigen oder zu heiligen, dabei aber, ja eben da- durch — soweit nicht notgedrungen, um anderer, höherer Zwecke willen, darauf zu verzichten ist — es in seiner ge- sunden Kraft zu erhalten.
Hier besonders stellt sich die ethische Wichtigkeit der physischen Erziehung heraus. Doch darf nie übersehen werden, dass auch dabei auf die Herrschaft des Bewusstseins zuletzt alles ankommt, und das Physische als blosses Mittel dem sittlichen Zweck immer untergeordnet bleiben muss. Wie es sich ihm unterordnet, wird bei der Erörterung der zweiten und dritten Stufe der Aktivität vollends klar werden.
§ 8. Zweite Stufe der Aktivität: Wille im engern Sinn.
Deutlich hebt sich nun schon der Wille in eigentlicher Bedeutung vom blossen Trieb dadurch ab, dass nicht mehr Eines allein unser Streben widerstandslos gefesselt hält, dass wir also nicht mehr unter dem unentrinnbaren Zwange einer einzigen Tendenz stehen oder zu stehen vermeinen, sondern uns
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ist vielmehr, wie es oft gesagt worden ist, an sich weder löb-
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kann unsittlich werden, bildet aber ebenso gut den Unter-
grund auch des höchsten sittlichen Thuns. Die Frische der
sinnlichen Energie nimmt mit gesunder Entwicklung der ge-
samten Aktivität keineswegs ab, sondern muss sich stets auf
ihrer verhältnismässigen, normalen Höhe halten. Sittliche
Stärke und sinnliche Kraft des Empfindens und Handelns stehen
keineswegs in umgekehrtem, sondern in geradem Verhältnis:
der sittlich Schlaffe geht, so ausschliesslich er mit seinem sinn-
lichsten Triebleben beschäftigt sein mag, dennoch gerade der
gesundesten Energie der Sinnlichkeit verlustig. Wie die Pflanze
sich in kraftvollem Wuchs über dem Erdboden nur dann er-
hebt, wenn sie zugleich ihre Wurzeln mächtig in ihn hinein
ausbreitet, so geht natürliches und sittliches Wachstum nor-
malerweise Hand in Hand. Darum kann es auch niemals
sittliche Aufgabe sein, das Triebleben zu entwurzeln, sondern
nur, es zu reinigen oder zu heiligen, dabei aber, ja eben da-
durch — soweit nicht notgedrungen, um anderer, höherer
Zwecke willen, darauf zu verzichten ist — es in seiner ge-
sunden Kraft zu erhalten.
Hier besonders stellt sich die ethische Wichtigkeit der
physischen Erziehung heraus. Doch darf nie übersehen
werden, dass auch dabei auf die Herrschaft des Bewusstseins
zuletzt alles ankommt, und das Physische als blosses Mittel
dem sittlichen Zweck immer untergeordnet bleiben muss. Wie
es sich ihm unterordnet, wird bei der Erörterung der zweiten
und dritten Stufe der Aktivität vollends klar werden.
§ 8.
Zweite Stufe der Aktivität: Wille im engern Sinn.
Deutlich hebt sich nun schon der Wille in eigentlicher
Bedeutung vom blossen Trieb dadurch ab, dass nicht mehr
Eines allein unser Streben widerstandslos gefesselt hält, dass
wir also nicht mehr unter dem unentrinnbaren Zwange einer
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/73>, abgerufen am 21.11.2024.
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