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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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gehren einen Grad von Unbefriedigung, jede Stillung eines Be-
gehrens etwas von Befriedigung bei sich führt; aber dadurch
wird doch nicht diese Befriedigung oder die Beseitigung jener
Unbefriedigung zum ganzen Inhalt des Bestrebens. Vielmehr
eben, weil die Begleitung mit Lust und Unlust so unterschieds-
los allem, auch dem entgegengesetztesten Bestreben gemein
ist, ist sie offenbar untauglich, das unterscheidende Ziel des
Bestrebens, das Richtunggebende dabei zu definieren.
Man zielt also ganz am Problem vorbei, wenn man seine Folge-
rung auf dies ganz allgemeine Zusammengehen von Unlust
und Begehren, Lust und Stillung des Begehrens stützt. Viel-
mehr müsste man zeigen, dass das, woran man seine Lust
findet und nicht, immer wiederum Lust bezw. Unlust sei, dass
es also gar keine Lust zu oder an einer Sache gebe, sondern
allein zu oder an der eignen oder fremden Lust oder Meidung
von Unlust; dass z. B. der Forscher sich nicht nur, was nie-
mand leugnet, freut, wenn es ihm gelungen ist sein Problem
zu lösen, sondern mit allem heissen Bemühen auch gar nichts
andres als diese flüchtige Freude, und nicht etwa die Lösung
des Problems, die sichere Klarheit der Sache, die Einstimmig-
keit und also Wahrheit der Erkenntnis gewollt habe; was
schwerlich richtig und am schwersten auf irgend eine mögliche
Art zu beweisen ist. Ich wenigstens könnte mich nicht be-
stimmen zu glauben, dass etwas so äusserst Bedingtes, das
von den unberechenbarsten Umständen -- vom Barometerstand,
von der Verdauung, von den tausend kleinen Störungen des all-
täglichen Lebens -- fort und fort bedroht ist, so unentrinn-
bar den ganzen Inhalt meines Bestrebens ausmachen müsste.
Besonders nachdem ich einmal erkannt habe, dass Lust und
Unlust nur die höchst wetterwendischen Begleiter meines Be-
strebens und zwar unterschiedslos jedes, übrigens nur zum
kleinsten Teil dies, überwiegend von Dingen bestimmt sind,
die mit meinem Wollen und Nichtwollen auch gar nichts zu
schaffen haben; dass sie allgemein nur die hinlänglich unsiche-
ren -- immerhin beachtenswerten -- Zeiger der augenblick-
lichen Tendenz der Erhaltung oder Störung meines physischen
Organismus, oder vielmehr des augenblicklichen Ausschlags

gehren einen Grad von Unbefriedigung, jede Stillung eines Be-
gehrens etwas von Befriedigung bei sich führt; aber dadurch
wird doch nicht diese Befriedigung oder die Beseitigung jener
Unbefriedigung zum ganzen Inhalt des Bestrebens. Vielmehr
eben, weil die Begleitung mit Lust und Unlust so unterschieds-
los allem, auch dem entgegengesetztesten Bestreben gemein
ist, ist sie offenbar untauglich, das unterscheidende Ziel des
Bestrebens, das Richtunggebende dabei zu definieren.
Man zielt also ganz am Problem vorbei, wenn man seine Folge-
rung auf dies ganz allgemeine Zusammengehen von Unlust
und Begehren, Lust und Stillung des Begehrens stützt. Viel-
mehr müsste man zeigen, dass das, woran man seine Lust
findet und nicht, immer wiederum Lust bezw. Unlust sei, dass
es also gar keine Lust zu oder an einer Sache gebe, sondern
allein zu oder an der eignen oder fremden Lust oder Meidung
von Unlust; dass z. B. der Forscher sich nicht nur, was nie-
mand leugnet, freut, wenn es ihm gelungen ist sein Problem
zu lösen, sondern mit allem heissen Bemühen auch gar nichts
andres als diese flüchtige Freude, und nicht etwa die Lösung
des Problems, die sichere Klarheit der Sache, die Einstimmig-
keit und also Wahrheit der Erkenntnis gewollt habe; was
schwerlich richtig und am schwersten auf irgend eine mögliche
Art zu beweisen ist. Ich wenigstens könnte mich nicht be-
stimmen zu glauben, dass etwas so äusserst Bedingtes, das
von den unberechenbarsten Umständen — vom Barometerstand,
von der Verdauung, von den tausend kleinen Störungen des all-
täglichen Lebens — fort und fort bedroht ist, so unentrinn-
bar den ganzen Inhalt meines Bestrebens ausmachen müsste.
Besonders nachdem ich einmal erkannt habe, dass Lust und
Unlust nur die höchst wetterwendischen Begleiter meines Be-
strebens und zwar unterschiedslos jedes, übrigens nur zum
kleinsten Teil dies, überwiegend von Dingen bestimmt sind,
die mit meinem Wollen und Nichtwollen auch gar nichts zu
schaffen haben; dass sie allgemein nur die hinlänglich unsiche-
ren — immerhin beachtenswerten — Zeiger der augenblick-
lichen Tendenz der Erhaltung oder Störung meines physischen
Organismus, oder vielmehr des augenblicklichen Ausschlags

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[41/0057] gehren einen Grad von Unbefriedigung, jede Stillung eines Be- gehrens etwas von Befriedigung bei sich führt; aber dadurch wird doch nicht diese Befriedigung oder die Beseitigung jener Unbefriedigung zum ganzen Inhalt des Bestrebens. Vielmehr eben, weil die Begleitung mit Lust und Unlust so unterschieds- los allem, auch dem entgegengesetztesten Bestreben gemein ist, ist sie offenbar untauglich, das unterscheidende Ziel des Bestrebens, das Richtunggebende dabei zu definieren. Man zielt also ganz am Problem vorbei, wenn man seine Folge- rung auf dies ganz allgemeine Zusammengehen von Unlust und Begehren, Lust und Stillung des Begehrens stützt. Viel- mehr müsste man zeigen, dass das, woran man seine Lust findet und nicht, immer wiederum Lust bezw. Unlust sei, dass es also gar keine Lust zu oder an einer Sache gebe, sondern allein zu oder an der eignen oder fremden Lust oder Meidung von Unlust; dass z. B. der Forscher sich nicht nur, was nie- mand leugnet, freut, wenn es ihm gelungen ist sein Problem zu lösen, sondern mit allem heissen Bemühen auch gar nichts andres als diese flüchtige Freude, und nicht etwa die Lösung des Problems, die sichere Klarheit der Sache, die Einstimmig- keit und also Wahrheit der Erkenntnis gewollt habe; was schwerlich richtig und am schwersten auf irgend eine mögliche Art zu beweisen ist. Ich wenigstens könnte mich nicht be- stimmen zu glauben, dass etwas so äusserst Bedingtes, das von den unberechenbarsten Umständen — vom Barometerstand, von der Verdauung, von den tausend kleinen Störungen des all- täglichen Lebens — fort und fort bedroht ist, so unentrinn- bar den ganzen Inhalt meines Bestrebens ausmachen müsste. Besonders nachdem ich einmal erkannt habe, dass Lust und Unlust nur die höchst wetterwendischen Begleiter meines Be- strebens und zwar unterschiedslos jedes, übrigens nur zum kleinsten Teil dies, überwiegend von Dingen bestimmt sind, die mit meinem Wollen und Nichtwollen auch gar nichts zu schaffen haben; dass sie allgemein nur die hinlänglich unsiche- ren — immerhin beachtenswerten — Zeiger der augenblick- lichen Tendenz der Erhaltung oder Störung meines physischen Organismus, oder vielmehr des augenblicklichen Ausschlags

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/57>, abgerufen am 25.11.2024.