einigt, wenn der Gedanke sich nicht länger in die Mannig- faltigkeit des Zeitlichen zerstreut, sondern sich in sich selbst, damit zugleich aber das an sich zerstreute Mannigfaltige seines Inhalts in sich, und so erst in einem wahren Inhalt, sammelt und zusammenfasst.
Das wird vielleicht am unmittelbarsten klar am Zeit- bewusstsein selbst. Succession des Bewusstseins erklärt nicht Bewusstsein der Succession. Könnte ich nicht in einem Momente 2 das Bewusstsein eines vorausgegangenen Moments 1 und eines nachfolgenden 3 haben, so wäre gar kein Bewusstsein eines Nicht-Jetzt möglich; dann aber auch kein Bewusstsein des Jetzt, denn dieses wird überhaupt nur gedacht als die ewig fliessende Grenze der beiden Nicht-Jetzt, des Früher und Später. Also das Bewusstsein zerstreut oder zerteilt sich nicht in die Momente der Zeit -- auch vom Bewusstsein der Zeit selbst gilt dies --, sondern vielmehr die Momente der Zeit, die doch in der Existenz sich ausschliessen sollen, vereinen sich zu der einen, zusammenhängenden Zeit nur im übergreifenden Blick, in der übergreifenden weil ursprünglichen Einheit des Bewusstseins.
Hiermit ist nun ein Begriff des Bewusstseins erreicht, der von dem zuvor erwogenen, psychologischen Begriff grund- verschieden ist. Unter diesem wurde immer noch das Bewusst- sein selbst aus den zeitlich verschiedenen Momenten des Be- wusstseins wie aus Atomen sich zusammensetzend gedacht, also als selbst in der Zeit an sich zerstreut, allenfalls erst hinterher auf unbegreifliche Art sich sammelnd: weil wir dem Empirismus den verkehrten Ausgang vom zeitlichen Geschehen einstweilen zugestanden. Von diesem Ausgang war freilich zum Bewusstsein nur so zu gelangen, dass man sich besann, das zeitlich Vorgestellte setze, als vorgestellt, ein, daher eben- falls zeitlich gedachtes, Vorstellen voraus. So setzt man der Zeitfolge im Inhalt des Gedachten eine Zeitfolge von Bewusst- seinsmomenten gegenüber, und erhält damit jene wahrheits- und zweckwidrige Verdoppelung des Geschehens, als einerseits physischen, andrerseits psychischen, und damit die doppelte Form der Wissenschaft, als Naturwissenschaft und Psychologie.
einigt, wenn der Gedanke sich nicht länger in die Mannig- faltigkeit des Zeitlichen zerstreut, sondern sich in sich selbst, damit zugleich aber das an sich zerstreute Mannigfaltige seines Inhalts in sich, und so erst in einem wahren Inhalt, sammelt und zusammenfasst.
Das wird vielleicht am unmittelbarsten klar am Zeit- bewusstsein selbst. Succession des Bewusstseins erklärt nicht Bewusstsein der Succession. Könnte ich nicht in einem Momente 2 das Bewusstsein eines vorausgegangenen Moments 1 und eines nachfolgenden 3 haben, so wäre gar kein Bewusstsein eines Nicht-Jetzt möglich; dann aber auch kein Bewusstsein des Jetzt, denn dieses wird überhaupt nur gedacht als die ewig fliessende Grenze der beiden Nicht-Jetzt, des Früher und Später. Also das Bewusstsein zerstreut oder zerteilt sich nicht in die Momente der Zeit — auch vom Bewusstsein der Zeit selbst gilt dies —, sondern vielmehr die Momente der Zeit, die doch in der Existenz sich ausschliessen sollen, vereinen sich zu der einen, zusammenhängenden Zeit nur im übergreifenden Blick, in der übergreifenden weil ursprünglichen Einheit des Bewusstseins.
Hiermit ist nun ein Begriff des Bewusstseins erreicht, der von dem zuvor erwogenen, psychologischen Begriff grund- verschieden ist. Unter diesem wurde immer noch das Bewusst- sein selbst aus den zeitlich verschiedenen Momenten des Be- wusstseins wie aus Atomen sich zusammensetzend gedacht, also als selbst in der Zeit an sich zerstreut, allenfalls erst hinterher auf unbegreifliche Art sich sammelnd: weil wir dem Empirismus den verkehrten Ausgang vom zeitlichen Geschehen einstweilen zugestanden. Von diesem Ausgang war freilich zum Bewusstsein nur so zu gelangen, dass man sich besann, das zeitlich Vorgestellte setze, als vorgestellt, ein, daher eben- falls zeitlich gedachtes, Vorstellen voraus. So setzt man der Zeitfolge im Inhalt des Gedachten eine Zeitfolge von Bewusst- seinsmomenten gegenüber, und erhält damit jene wahrheits- und zweckwidrige Verdoppelung des Geschehens, als einerseits physischen, andrerseits psychischen, und damit die doppelte Form der Wissenschaft, als Naturwissenschaft und Psychologie.
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einigt, wenn der Gedanke sich nicht länger in die Mannig-
faltigkeit des Zeitlichen zerstreut, sondern sich in sich selbst,
damit zugleich aber das an sich zerstreute Mannigfaltige seines
Inhalts in sich, und so erst in einem wahren Inhalt, sammelt
und zusammenfasst.
Das wird vielleicht am unmittelbarsten klar am Zeit-
bewusstsein selbst. Succession des Bewusstseins erklärt nicht
Bewusstsein der Succession. Könnte ich nicht in einem Momente 2
das Bewusstsein eines vorausgegangenen Moments 1 und eines
nachfolgenden 3 haben, so wäre gar kein Bewusstsein eines
Nicht-Jetzt möglich; dann aber auch kein Bewusstsein des
Jetzt, denn dieses wird überhaupt nur gedacht als die ewig
fliessende Grenze der beiden Nicht-Jetzt, des Früher und Später.
Also das Bewusstsein zerstreut oder zerteilt sich nicht in die
Momente der Zeit — auch vom Bewusstsein der Zeit selbst
gilt dies —, sondern vielmehr die Momente der Zeit, die doch
in der Existenz sich ausschliessen sollen, vereinen sich zu der
einen, zusammenhängenden Zeit nur im übergreifenden Blick,
in der übergreifenden weil ursprünglichen Einheit des
Bewusstseins.
Hiermit ist nun ein Begriff des Bewusstseins erreicht, der
von dem zuvor erwogenen, psychologischen Begriff grund-
verschieden ist. Unter diesem wurde immer noch das Bewusst-
sein selbst aus den zeitlich verschiedenen Momenten des Be-
wusstseins wie aus Atomen sich zusammensetzend gedacht,
also als selbst in der Zeit an sich zerstreut, allenfalls erst
hinterher auf unbegreifliche Art sich sammelnd: weil wir dem
Empirismus den verkehrten Ausgang vom zeitlichen Geschehen
einstweilen zugestanden. Von diesem Ausgang war freilich
zum Bewusstsein nur so zu gelangen, dass man sich besann,
das zeitlich Vorgestellte setze, als vorgestellt, ein, daher eben-
falls zeitlich gedachtes, Vorstellen voraus. So setzt man der
Zeitfolge im Inhalt des Gedachten eine Zeitfolge von Bewusst-
seinsmomenten gegenüber, und erhält damit jene wahrheits-
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/39>, abgerufen am 22.11.2024.
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