Betonung ihrer gegenseitigen Selbständigkeit. Aber es bedarf erst der Entscheidung, ob und wie sie überhaupt mit einander verträglich sind. Diese Entscheidung kann erst unser letztes Kapitel treffen.
Für uns steht in jedem Falle fest, dass die letzte Be- gründung des Sittlichen allein Philosophie zu geben ver- mag; und zwar nur die eigentliche Philosophie, die erst der dritten Stufe der intellektuellen und sittlichen Bildung ange- hört. Es ist aber hierüber dem früher (§ 28) Gesagten wenig hinzuzusetzen. Die Organisation des bezüglichen Unterrichts betreffend, versteht man schon, dass wir uns die philosophische Ethik als einen Hauptgegenstand allgemeiner und freier Volksbelehrung auf dem Wege der "Volkshochschulkurse" denken. Wenn in irgend einem Punkte, so sollte hier klar sein, dass der Erwerb der Wissenschaft nicht ihren bestellten Pflegern allein gehört und auch nicht bloss auf dem Wege der Schullehre mittlerer Stufe, d. h. in notwendig abgeschwäch- ter, nur vorbereitender Form der Allgemeinheit zugut kommen darf; dass sie vielmehr den denkbar grössten Anspruch hat, so viel davon unmittelbar mitgeteilt zu bekommen, als irgend sie imstande ist mit dem Verständnis zu durchdringen und in That und Leben zu übersetzen. Ein direktes Mittel, Gesin- nung da einzupflanzen, wo sie nicht zuvor wenigstens der Grundlage nach schon vorhanden war, sehen wir auch in der bis zur Höhe der Philosophie sich erhebenden ethischen Lehre allerdings nicht. Der Grund zum sittlichen Leben und damit auch zur sittlichen Ueberzeugung muss schon anderweitig ge- legt sein, das Leben selbst muss ihn gelegt haben. Fehlt es aber an dieser Grundlage nur nicht ganz und gar, so kann die hinzukommende, auf die letzten der Erkenntnis zugäng- lichen Gründe gestützte Einsicht des Sittlichen unzweifelhaft sehr viel thun, dieses Fundament weiter zu sichern und auch zu reinigen; dem erst nach seiner Selbstvergewisserung ringen- den guten Willen eine mächtige Stütze zu schaffen, dem schon vorhandenen neue, weitere Ziele und reinere Wege zu weisen, und so, in Verbindung mit allen andern Faktoren der Willens- erziehung, den sittlichen Charakter des Einzelnen und schliess-
Betonung ihrer gegenseitigen Selbständigkeit. Aber es bedarf erst der Entscheidung, ob und wie sie überhaupt mit einander verträglich sind. Diese Entscheidung kann erst unser letztes Kapitel treffen.
Für uns steht in jedem Falle fest, dass die letzte Be- gründung des Sittlichen allein Philosophie zu geben ver- mag; und zwar nur die eigentliche Philosophie, die erst der dritten Stufe der intellektuellen und sittlichen Bildung ange- hört. Es ist aber hierüber dem früher (§ 28) Gesagten wenig hinzuzusetzen. Die Organisation des bezüglichen Unterrichts betreffend, versteht man schon, dass wir uns die philosophische Ethik als einen Hauptgegenstand allgemeiner und freier Volksbelehrung auf dem Wege der „Volkshochschulkurse“ denken. Wenn in irgend einem Punkte, so sollte hier klar sein, dass der Erwerb der Wissenschaft nicht ihren bestellten Pflegern allein gehört und auch nicht bloss auf dem Wege der Schullehre mittlerer Stufe, d. h. in notwendig abgeschwäch- ter, nur vorbereitender Form der Allgemeinheit zugut kommen darf; dass sie vielmehr den denkbar grössten Anspruch hat, so viel davon unmittelbar mitgeteilt zu bekommen, als irgend sie imstande ist mit dem Verständnis zu durchdringen und in That und Leben zu übersetzen. Ein direktes Mittel, Gesin- nung da einzupflanzen, wo sie nicht zuvor wenigstens der Grundlage nach schon vorhanden war, sehen wir auch in der bis zur Höhe der Philosophie sich erhebenden ethischen Lehre allerdings nicht. Der Grund zum sittlichen Leben und damit auch zur sittlichen Ueberzeugung muss schon anderweitig ge- legt sein, das Leben selbst muss ihn gelegt haben. Fehlt es aber an dieser Grundlage nur nicht ganz und gar, so kann die hinzukommende, auf die letzten der Erkenntnis zugäng- lichen Gründe gestützte Einsicht des Sittlichen unzweifelhaft sehr viel thun, dieses Fundament weiter zu sichern und auch zu reinigen; dem erst nach seiner Selbstvergewisserung ringen- den guten Willen eine mächtige Stütze zu schaffen, dem schon vorhandenen neue, weitere Ziele und reinere Wege zu weisen, und so, in Verbindung mit allen andern Faktoren der Willens- erziehung, den sittlichen Charakter des Einzelnen und schliess-
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Betonung ihrer gegenseitigen Selbständigkeit. Aber es bedarf
erst der Entscheidung, ob und wie sie überhaupt mit einander
verträglich sind. Diese Entscheidung kann erst unser letztes
Kapitel treffen.
Für uns steht in jedem Falle fest, dass die letzte Be-
gründung des Sittlichen allein Philosophie zu geben ver-
mag; und zwar nur die eigentliche Philosophie, die erst der
dritten Stufe der intellektuellen und sittlichen Bildung ange-
hört. Es ist aber hierüber dem früher (§ 28) Gesagten wenig
hinzuzusetzen. Die Organisation des bezüglichen Unterrichts
betreffend, versteht man schon, dass wir uns die philosophische
Ethik als einen Hauptgegenstand allgemeiner und freier
Volksbelehrung auf dem Wege der „Volkshochschulkurse“
denken. Wenn in irgend einem Punkte, so sollte hier klar
sein, dass der Erwerb der Wissenschaft nicht ihren bestellten
Pflegern allein gehört und auch nicht bloss auf dem Wege
der Schullehre mittlerer Stufe, d. h. in notwendig abgeschwäch-
ter, nur vorbereitender Form der Allgemeinheit zugut kommen
darf; dass sie vielmehr den denkbar grössten Anspruch hat,
so viel davon unmittelbar mitgeteilt zu bekommen, als irgend
sie imstande ist mit dem Verständnis zu durchdringen und in
That und Leben zu übersetzen. Ein direktes Mittel, Gesin-
nung da einzupflanzen, wo sie nicht zuvor wenigstens der
Grundlage nach schon vorhanden war, sehen wir auch in der
bis zur Höhe der Philosophie sich erhebenden ethischen Lehre
allerdings nicht. Der Grund zum sittlichen Leben und damit
auch zur sittlichen Ueberzeugung muss schon anderweitig ge-
legt sein, das Leben selbst muss ihn gelegt haben. Fehlt es
aber an dieser Grundlage nur nicht ganz und gar, so kann
die hinzukommende, auf die letzten der Erkenntnis zugäng-
lichen Gründe gestützte Einsicht des Sittlichen unzweifelhaft
sehr viel thun, dieses Fundament weiter zu sichern und auch
zu reinigen; dem erst nach seiner Selbstvergewisserung ringen-
den guten Willen eine mächtige Stütze zu schaffen, dem schon
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und so, in Verbindung mit allen andern Faktoren der Willens-
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/326>, abgerufen am 03.12.2024.
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