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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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darüber, was im besonderen noch fehlt. Und es ist, bei der
Unendlichkeit der sittlichen Aufgabe, ja keine Gefahr, dass
diese nachträgliche Kritik etwa nichts mehr zu berichtigen,
keine Lücken auszufüllen, keine neuen Aufgaben anzugreifen
finden sollte. Das Wichtigste ist, dass die sittliche Lehre
möglichst unmittelbar aus dem Zusammenhange des sittlichen
Lebens erwächst, und so auch die Kraft in sich findet, durch
die Klärung des Bewusstseins, die sie hinzufügt, auf das sittliche
Leben wiederum förderlich zurückzuwirken.

Auf der ersten Stufe darf sich, nach früher Bewiesenem, die
sittliche Lehre so wenig wie irgend eine andre von der Erfahrung
und Uebung scharf abtrennen; sie schliesst sich, so wie es
früher (§ 25) geschildert worden, an die Uebung unmittelbar
an, als blosser Ausspruch dessen, was in Uebung bereits ist
oder unmittelbar darin übergehen soll. Doch beginnt sie schon
sich zu erweitern und zu vertiefen durch erzählende Darstel-
lung; so zwar, dass sie auch dann an das Thun, nämlich das
dargestellte Thun, eng angeschlossen und unmittelbar dazu
gehörig scheint. Daraus ist klar, weshalb alle nachhinkende
Moral hier ihre Wirkung verfehlen würde: diese Ablösung und
Erhebung zu etwas wie allgemeiner Theorie liegt der Unmittel-
barkeit des kindlichen Bewusstseins noch ganz fern.

Wird aber, auf der zweiten Stufe, diese Ablösung möglich,
so ist es dann wohl richtig, sogleich zu einem wenn noch so
bescheidenen, übersehbaren Lehrbegriff, zu einer Art Kate-
chismus
überzugehen. Der ganzen, dieser Stufe so passenden
Disziplinierung und Organisierung der Gedanken entspricht es
nur, dass auch das Sittliche auf Paragraphen gebracht und
mit knappem Warum und Weil bewiesen wird, nämlich so
wie es sich diesem Alter beweisen lässt. Das scheint es mir
zu sein, was der schon von Comenius erhobenen Forderung
eines eigenen ethischen Unterrichts, nämlich für die Stufe der
Schulunterweisung, Richtiges zu Grunde liegt. Auch würde
diese Forderung wohl nicht auf ernsten Widerstand stossen,
wenn sie nicht die Absetzung des Religionsunterrichts, der bis-
her den sittlichen in sich aufnahm und für ihn fast allein ein-
stand, zu bedeuten schiene und in gewissem Sinne wirklich

darüber, was im besonderen noch fehlt. Und es ist, bei der
Unendlichkeit der sittlichen Aufgabe, ja keine Gefahr, dass
diese nachträgliche Kritik etwa nichts mehr zu berichtigen,
keine Lücken auszufüllen, keine neuen Aufgaben anzugreifen
finden sollte. Das Wichtigste ist, dass die sittliche Lehre
möglichst unmittelbar aus dem Zusammenhange des sittlichen
Lebens erwächst, und so auch die Kraft in sich findet, durch
die Klärung des Bewusstseins, die sie hinzufügt, auf das sittliche
Leben wiederum förderlich zurückzuwirken.

Auf der ersten Stufe darf sich, nach früher Bewiesenem, die
sittliche Lehre so wenig wie irgend eine andre von der Erfahrung
und Uebung scharf abtrennen; sie schliesst sich, so wie es
früher (§ 25) geschildert worden, an die Uebung unmittelbar
an, als blosser Ausspruch dessen, was in Uebung bereits ist
oder unmittelbar darin übergehen soll. Doch beginnt sie schon
sich zu erweitern und zu vertiefen durch erzählende Darstel-
lung; so zwar, dass sie auch dann an das Thun, nämlich das
dargestellte Thun, eng angeschlossen und unmittelbar dazu
gehörig scheint. Daraus ist klar, weshalb alle nachhinkende
Moral hier ihre Wirkung verfehlen würde: diese Ablösung und
Erhebung zu etwas wie allgemeiner Theorie liegt der Unmittel-
barkeit des kindlichen Bewusstseins noch ganz fern.

Wird aber, auf der zweiten Stufe, diese Ablösung möglich,
so ist es dann wohl richtig, sogleich zu einem wenn noch so
bescheidenen, übersehbaren Lehrbegriff, zu einer Art Kate-
chismus
überzugehen. Der ganzen, dieser Stufe so passenden
Disziplinierung und Organisierung der Gedanken entspricht es
nur, dass auch das Sittliche auf Paragraphen gebracht und
mit knappem Warum und Weil bewiesen wird, nämlich so
wie es sich diesem Alter beweisen lässt. Das scheint es mir
zu sein, was der schon von Comenius erhobenen Forderung
eines eigenen ethischen Unterrichts, nämlich für die Stufe der
Schulunterweisung, Richtiges zu Grunde liegt. Auch würde
diese Forderung wohl nicht auf ernsten Widerstand stossen,
wenn sie nicht die Absetzung des Religionsunterrichts, der bis-
her den sittlichen in sich aufnahm und für ihn fast allein ein-
stand, zu bedeuten schiene und in gewissem Sinne wirklich

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[308/0324] darüber, was im besonderen noch fehlt. Und es ist, bei der Unendlichkeit der sittlichen Aufgabe, ja keine Gefahr, dass diese nachträgliche Kritik etwa nichts mehr zu berichtigen, keine Lücken auszufüllen, keine neuen Aufgaben anzugreifen finden sollte. Das Wichtigste ist, dass die sittliche Lehre möglichst unmittelbar aus dem Zusammenhange des sittlichen Lebens erwächst, und so auch die Kraft in sich findet, durch die Klärung des Bewusstseins, die sie hinzufügt, auf das sittliche Leben wiederum förderlich zurückzuwirken. Auf der ersten Stufe darf sich, nach früher Bewiesenem, die sittliche Lehre so wenig wie irgend eine andre von der Erfahrung und Uebung scharf abtrennen; sie schliesst sich, so wie es früher (§ 25) geschildert worden, an die Uebung unmittelbar an, als blosser Ausspruch dessen, was in Uebung bereits ist oder unmittelbar darin übergehen soll. Doch beginnt sie schon sich zu erweitern und zu vertiefen durch erzählende Darstel- lung; so zwar, dass sie auch dann an das Thun, nämlich das dargestellte Thun, eng angeschlossen und unmittelbar dazu gehörig scheint. Daraus ist klar, weshalb alle nachhinkende Moral hier ihre Wirkung verfehlen würde: diese Ablösung und Erhebung zu etwas wie allgemeiner Theorie liegt der Unmittel- barkeit des kindlichen Bewusstseins noch ganz fern. Wird aber, auf der zweiten Stufe, diese Ablösung möglich, so ist es dann wohl richtig, sogleich zu einem wenn noch so bescheidenen, übersehbaren Lehrbegriff, zu einer Art Kate- chismus überzugehen. Der ganzen, dieser Stufe so passenden Disziplinierung und Organisierung der Gedanken entspricht es nur, dass auch das Sittliche auf Paragraphen gebracht und mit knappem Warum und Weil bewiesen wird, nämlich so wie es sich diesem Alter beweisen lässt. Das scheint es mir zu sein, was der schon von Comenius erhobenen Forderung eines eigenen ethischen Unterrichts, nämlich für die Stufe der Schulunterweisung, Richtiges zu Grunde liegt. Auch würde diese Forderung wohl nicht auf ernsten Widerstand stossen, wenn sie nicht die Absetzung des Religionsunterrichts, der bis- her den sittlichen in sich aufnahm und für ihn fast allein ein- stand, zu bedeuten schiene und in gewissem Sinne wirklich

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/324>, abgerufen am 27.11.2024.