oder sonstwoher stammt. Es wirkt, eben als Typus, zeit- und geschichtslos. Es sind Geschichten, nicht Geschichte. Für Geschichte fragt sich's immer: wann ist's geschehen, in welchem Zusammenhang mit andern Ereignissen; dem Märchen genügt das schlichte: Es war einmal. Die typische Betrach- tung hört auf genau wo die historische beginnt. Die letztere fordert eine ungleich grössere Reife; diese warte man ruhig ab, und nähre das frühzeitig hervortretende Verlangen zu erfahren, wie es vordem gewesen, einstweilen mit Erzählungen, in deren Behandlung der historische Gesichtspunkt sich mit dem der typischen Bedeutung erst ganz allmählich in einigem Maasse verknüpfen mag. Das ist aber auch dann nicht Ge- schichtsunterricht, es ist kaum auch nur Vorschule dazu, sondern es ordnet sich dem Sprachunterricht sachgemäss ein, der mit voller innerer Berechtigung sehr vieles aufnimmt, was sich zum besonderen Unterrichtsgegenstand nicht, nämlich für die betreffende Stufe noch nicht eignet, aber in der freien Form des Lesestücks und der Darstellungsübung sich desto besser dem ganzen Lehrplan einfügt. Tritt dann endlich der eigentliche Geschichtsunterricht als etwas Neues hinzu, so findet er an dem, was als Erzählungsstoff schon bekannt ist, zwar eine willkommene Anknüpfung, wird aber zugleich bemüht sein, die Eigenart historischer Betrachtungsweise in aller Strenge vom ersten Anfang an zu betonen.
Alles in allem zeigt sich die ethische Wirkung des Unter- richts, so wie wir sie bis hierher ins Auge fassten, schon recht bedeutsam. Und doch war noch nicht die Rede von der Moral selbst als unmittelbarem Gegenstand des Unterrichts, noch von den ästhetischen Elementen des Unterrichts, noch von dem, was manchem wohl gar als allein ausreichend auch zur sittlichen Unterweisung erscheint, von der Religion. Das Urteil über alle diese Faktoren sittlicher Bildung aber hängt eng zusammen mit der Frage, wie weit überhaupt Philosophie oder irgend eine direktere Vorbereitung zu ihr Gegenstand des Unterrichts überhaupt und besonders auf der Mittelstufe schul- mässiger Unterweisung sein kann und soll, und wie dieser Unterricht mit dem sonstigen, mathematisch-naturwissenschaft-
oder sonstwoher stammt. Es wirkt, eben als Typus, zeit- und geschichtslos. Es sind Geschichten, nicht Geschichte. Für Geschichte fragt sich’s immer: wann ist’s geschehen, in welchem Zusammenhang mit andern Ereignissen; dem Märchen genügt das schlichte: Es war einmal. Die typische Betrach- tung hört auf genau wo die historische beginnt. Die letztere fordert eine ungleich grössere Reife; diese warte man ruhig ab, und nähre das frühzeitig hervortretende Verlangen zu erfahren, wie es vordem gewesen, einstweilen mit Erzählungen, in deren Behandlung der historische Gesichtspunkt sich mit dem der typischen Bedeutung erst ganz allmählich in einigem Maasse verknüpfen mag. Das ist aber auch dann nicht Ge- schichtsunterricht, es ist kaum auch nur Vorschule dazu, sondern es ordnet sich dem Sprachunterricht sachgemäss ein, der mit voller innerer Berechtigung sehr vieles aufnimmt, was sich zum besonderen Unterrichtsgegenstand nicht, nämlich für die betreffende Stufe noch nicht eignet, aber in der freien Form des Lesestücks und der Darstellungsübung sich desto besser dem ganzen Lehrplan einfügt. Tritt dann endlich der eigentliche Geschichtsunterricht als etwas Neues hinzu, so findet er an dem, was als Erzählungsstoff schon bekannt ist, zwar eine willkommene Anknüpfung, wird aber zugleich bemüht sein, die Eigenart historischer Betrachtungsweise in aller Strenge vom ersten Anfang an zu betonen.
Alles in allem zeigt sich die ethische Wirkung des Unter- richts, so wie wir sie bis hierher ins Auge fassten, schon recht bedeutsam. Und doch war noch nicht die Rede von der Moral selbst als unmittelbarem Gegenstand des Unterrichts, noch von den ästhetischen Elementen des Unterrichts, noch von dem, was manchem wohl gar als allein ausreichend auch zur sittlichen Unterweisung erscheint, von der Religion. Das Urteil über alle diese Faktoren sittlicher Bildung aber hängt eng zusammen mit der Frage, wie weit überhaupt Philosophie oder irgend eine direktere Vorbereitung zu ihr Gegenstand des Unterrichts überhaupt und besonders auf der Mittelstufe schul- mässiger Unterweisung sein kann und soll, und wie dieser Unterricht mit dem sonstigen, mathematisch-naturwissenschaft-
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oder sonstwoher stammt. Es wirkt, eben als Typus, zeit-
und geschichtslos. Es sind Geschichten, nicht Geschichte.
Für Geschichte fragt sich’s immer: wann ist’s geschehen, in
welchem Zusammenhang mit andern Ereignissen; dem Märchen
genügt das schlichte: Es war einmal. Die typische Betrach-
tung hört auf genau wo die historische beginnt. Die letztere
fordert eine ungleich grössere Reife; diese warte man ruhig ab,
und nähre das frühzeitig hervortretende Verlangen zu erfahren,
wie es vordem gewesen, einstweilen mit Erzählungen, in deren
Behandlung der historische Gesichtspunkt sich mit dem der
typischen Bedeutung erst ganz allmählich in einigem Maasse
verknüpfen mag. Das ist aber auch dann nicht Ge-
schichtsunterricht, es ist kaum auch nur Vorschule dazu,
sondern es ordnet sich dem Sprachunterricht sachgemäss
ein, der mit voller innerer Berechtigung sehr vieles aufnimmt,
was sich zum besonderen Unterrichtsgegenstand nicht, nämlich
für die betreffende Stufe noch nicht eignet, aber in der freien
Form des Lesestücks und der Darstellungsübung sich desto
besser dem ganzen Lehrplan einfügt. Tritt dann endlich der
eigentliche Geschichtsunterricht als etwas Neues hinzu, so findet
er an dem, was als Erzählungsstoff schon bekannt ist, zwar
eine willkommene Anknüpfung, wird aber zugleich bemüht
sein, die Eigenart historischer Betrachtungsweise in aller
Strenge vom ersten Anfang an zu betonen.
Alles in allem zeigt sich die ethische Wirkung des Unter-
richts, so wie wir sie bis hierher ins Auge fassten, schon recht
bedeutsam. Und doch war noch nicht die Rede von der Moral
selbst als unmittelbarem Gegenstand des Unterrichts, noch
von den ästhetischen Elementen des Unterrichts, noch von
dem, was manchem wohl gar als allein ausreichend auch zur
sittlichen Unterweisung erscheint, von der Religion. Das
Urteil über alle diese Faktoren sittlicher Bildung aber hängt
eng zusammen mit der Frage, wie weit überhaupt Philosophie
oder irgend eine direktere Vorbereitung zu ihr Gegenstand des
Unterrichts überhaupt und besonders auf der Mittelstufe schul-
mässiger Unterweisung sein kann und soll, und wie dieser
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/316>, abgerufen am 26.11.2024.
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