Pädagogik bei jener "Vielseitigkeit" der Interessen schliesslich stehen, die, wie längst empfunden wird, eine reine Zielbestim- mung überhaupt nicht zulässt.
Dagegen steht Pestalozzi mit uns auf dem Boden der reinen Spontaneität der menschlichen Bildung überhaupt, und dann des unbedingten Primates des sittlichen Gesetzes. Also besteht zwischen seiner und Herbarts Grundlegung der Er- ziehungslehre ein innerer Gegensatz, den weder das selbstver- ständliche Zusammentreffen beider in so manchem Einzelsatze, noch irgend eine mildere Auslegung zum Verschwinden bringen kann.
Die auffallendste und bedenklichste Folge der Herbartschen Ansicht vom "erziehenden Unterricht" bei ihren heutigen An- hängern ist, dass ihnen für den selbständigen Wert der Ver- standesbildung oft fast jedes Gefühl abhanden kommt. Nicht zufrieden damit, dass der Unterricht des Verstandes zur Er- ziehung des Willens unentbehrlich ist, sehen sie in dieser nun auch sein ganzes und ausschliessliches Ziel. Wissen ist nicht Selbstzweck, Wissen vergeht, so ruft man uns fortwährend zu. Aber mindestens von dem Grundgesetze der Bewusstseins- einheit, welches mit dem Verstehen und nur durch es das echte Wollen begründet, vom Gesetze als letzter Form der Erkennt- nis überhaupt kann unmöglich gesagt werden, es sei nur ein dienendes Mittel, das man, nachdem es seinen Dienst verrichtet hat, in die Ecke werfen dürfte. Sodann aber organisiert sich doch unter dem eigentümlichen Formgesetz des Verstehens eine eigene intellektuelle Welt, die zunächst rein in sich aufgefasst und anerkannt sein will, und die unter dem eigentümlichen Gesichtspunkte des Verstehens alles, auch was zugleich Materie des Willens ist, nur nicht auch dessen eigentümliche Form, einschliesst. Es ist auffallend, dass diese relative Selbständig- keit des Verstandes von den Herbartianern oft nicht minder verkannt wird, als andrerseits die reine Selbständigkeit und Ueberordnung des Willens. Ja bisweilen ist man aus dieser Anschauung heraus auf einen Weg geraten, der von allen, die man wählen konnte, der verkehrteste, und auch der eigenen Absicht Herbarts ganz zuwider ist, auf den Weg eines künst-
Pädagogik bei jener „Vielseitigkeit“ der Interessen schliesslich stehen, die, wie längst empfunden wird, eine reine Zielbestim- mung überhaupt nicht zulässt.
Dagegen steht Pestalozzi mit uns auf dem Boden der reinen Spontaneität der menschlichen Bildung überhaupt, und dann des unbedingten Primates des sittlichen Gesetzes. Also besteht zwischen seiner und Herbarts Grundlegung der Er- ziehungslehre ein innerer Gegensatz, den weder das selbstver- ständliche Zusammentreffen beider in so manchem Einzelsatze, noch irgend eine mildere Auslegung zum Verschwinden bringen kann.
Die auffallendste und bedenklichste Folge der Herbartschen Ansicht vom „erziehenden Unterricht“ bei ihren heutigen An- hängern ist, dass ihnen für den selbständigen Wert der Ver- standesbildung oft fast jedes Gefühl abhanden kommt. Nicht zufrieden damit, dass der Unterricht des Verstandes zur Er- ziehung des Willens unentbehrlich ist, sehen sie in dieser nun auch sein ganzes und ausschliessliches Ziel. Wissen ist nicht Selbstzweck, Wissen vergeht, so ruft man uns fortwährend zu. Aber mindestens von dem Grundgesetze der Bewusstseins- einheit, welches mit dem Verstehen und nur durch es das echte Wollen begründet, vom Gesetze als letzter Form der Erkennt- nis überhaupt kann unmöglich gesagt werden, es sei nur ein dienendes Mittel, das man, nachdem es seinen Dienst verrichtet hat, in die Ecke werfen dürfte. Sodann aber organisiert sich doch unter dem eigentümlichen Formgesetz des Verstehens eine eigene intellektuelle Welt, die zunächst rein in sich aufgefasst und anerkannt sein will, und die unter dem eigentümlichen Gesichtspunkte des Verstehens alles, auch was zugleich Materie des Willens ist, nur nicht auch dessen eigentümliche Form, einschliesst. Es ist auffallend, dass diese relative Selbständig- keit des Verstandes von den Herbartianern oft nicht minder verkannt wird, als andrerseits die reine Selbständigkeit und Ueberordnung des Willens. Ja bisweilen ist man aus dieser Anschauung heraus auf einen Weg geraten, der von allen, die man wählen konnte, der verkehrteste, und auch der eigenen Absicht Herbarts ganz zuwider ist, auf den Weg eines künst-
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Pädagogik bei jener „Vielseitigkeit“ der Interessen schliesslich
stehen, die, wie längst empfunden wird, eine reine Zielbestim-
mung überhaupt nicht zulässt.
Dagegen steht Pestalozzi mit uns auf dem Boden der
reinen Spontaneität der menschlichen Bildung überhaupt, und
dann des unbedingten Primates des sittlichen Gesetzes. Also
besteht zwischen seiner und Herbarts Grundlegung der Er-
ziehungslehre ein innerer Gegensatz, den weder das selbstver-
ständliche Zusammentreffen beider in so manchem Einzelsatze,
noch irgend eine mildere Auslegung zum Verschwinden bringen
kann.
Die auffallendste und bedenklichste Folge der Herbartschen
Ansicht vom „erziehenden Unterricht“ bei ihren heutigen An-
hängern ist, dass ihnen für den selbständigen Wert der Ver-
standesbildung oft fast jedes Gefühl abhanden kommt. Nicht
zufrieden damit, dass der Unterricht des Verstandes zur Er-
ziehung des Willens unentbehrlich ist, sehen sie in dieser nun
auch sein ganzes und ausschliessliches Ziel. Wissen ist nicht
Selbstzweck, Wissen vergeht, so ruft man uns fortwährend
zu. Aber mindestens von dem Grundgesetze der Bewusstseins-
einheit, welches mit dem Verstehen und nur durch es das echte
Wollen begründet, vom Gesetze als letzter Form der Erkennt-
nis überhaupt kann unmöglich gesagt werden, es sei nur ein
dienendes Mittel, das man, nachdem es seinen Dienst verrichtet
hat, in die Ecke werfen dürfte. Sodann aber organisiert sich
doch unter dem eigentümlichen Formgesetz des Verstehens eine
eigene intellektuelle Welt, die zunächst rein in sich aufgefasst
und anerkannt sein will, und die unter dem eigentümlichen
Gesichtspunkte des Verstehens alles, auch was zugleich Materie
des Willens ist, nur nicht auch dessen eigentümliche Form,
einschliesst. Es ist auffallend, dass diese relative Selbständig-
keit des Verstandes von den Herbartianern oft nicht minder
verkannt wird, als andrerseits die reine Selbständigkeit und
Ueberordnung des Willens. Ja bisweilen ist man aus dieser
Anschauung heraus auf einen Weg geraten, der von allen, die
man wählen konnte, der verkehrteste, und auch der eigenen
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/288>, abgerufen am 25.11.2024.
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