Individualität, und das Kind in dem Alter, wo ein eigentlicher geistiger Verkehr erst anhebt, in vieler Beziehung ein schon ganz fertiger, kaum mehr zu wandelnder Charakter. Allein eben das bestätigt ja nur, dass Individualität durchaus auf eigenem Boden erwächst, also nicht Erziehungszweck sein kann. Was an ihr Gutes ist, bedarf gerade umso weniger der besondern Pflege, je mehr es individuell ist. Uebrigens ist auch ihr Bestes nur einseitig gut, sonst wäre es eben nicht individuell. Nun ist diese Einseitigkeit allerdings zulässig, denn es ist dem Menschen einmal nicht gegeben, alles gleich gut zu vermögen, und es ist besser, dass das, wozu einer vor- zugsweise taugt, auch vorzugsweise in ihm zur Entwicklung kommt, als dass er sich fruchtlos müht an Aufgaben, die im Bereiche seiner Natur nun einmal nicht liegen. Aber selbst die berechtigte Eigenart wird fast mehr dadurch entwickelt, dass sie bestritten wird, als dass man ihr allzu sehr entgegen- kommt; gerade gegen Widerspruch wird sie sich desto ener- gischer in sich zu befestigen streben. Schliesslich aber bleibt Individualität immer auch Schranke, und es ist sittlich notwendig, dass sie als Schranke zum Bewusstsein kommt; dadurch wird nicht die Eigenart selbst zerstört, aber dem Dünkel der Eigen- art gesteuert. Das kann aber nicht wirksamer geschehen als durch unbedingte Voranstellung der Sache, d. i. der Ge- meinschaft, die jede gute Eigenart gelten lässt und in ihren Dienst nimmt, jeder unrechten Prätention der Individualität aber mit unwidersprechlich höherem Ansehen gegenübertritt, ihr zu Diensten zu sein sich unbedingt weigert.
Zur Zielbestimmung der pädagogischen Thätigkeit also taugt die Individualität nicht; sie ist für sie durchaus nur verfügbares Material. Allerdings muss der Erzieher sie kennen und seine Einwirkung danach einrichten. Bildet diese sich, so wie wir angenommen haben, in ständiger sich gegenseitig verstehender Gemeinschaft des Erziehers und Zöglings, so ist keine Gefahr, dass es daran mangle, sondern es bedarf weit mehr der Warnung, der Individualität nicht zu viel nachzu- geben und nie die Sache dagegen zurückstehen zu lassen.
Individualität, und das Kind in dem Alter, wo ein eigentlicher geistiger Verkehr erst anhebt, in vieler Beziehung ein schon ganz fertiger, kaum mehr zu wandelnder Charakter. Allein eben das bestätigt ja nur, dass Individualität durchaus auf eigenem Boden erwächst, also nicht Erziehungszweck sein kann. Was an ihr Gutes ist, bedarf gerade umso weniger der besondern Pflege, je mehr es individuell ist. Uebrigens ist auch ihr Bestes nur einseitig gut, sonst wäre es eben nicht individuell. Nun ist diese Einseitigkeit allerdings zulässig, denn es ist dem Menschen einmal nicht gegeben, alles gleich gut zu vermögen, und es ist besser, dass das, wozu einer vor- zugsweise taugt, auch vorzugsweise in ihm zur Entwicklung kommt, als dass er sich fruchtlos müht an Aufgaben, die im Bereiche seiner Natur nun einmal nicht liegen. Aber selbst die berechtigte Eigenart wird fast mehr dadurch entwickelt, dass sie bestritten wird, als dass man ihr allzu sehr entgegen- kommt; gerade gegen Widerspruch wird sie sich desto ener- gischer in sich zu befestigen streben. Schliesslich aber bleibt Individualität immer auch Schranke, und es ist sittlich notwendig, dass sie als Schranke zum Bewusstsein kommt; dadurch wird nicht die Eigenart selbst zerstört, aber dem Dünkel der Eigen- art gesteuert. Das kann aber nicht wirksamer geschehen als durch unbedingte Voranstellung der Sache, d. i. der Ge- meinschaft, die jede gute Eigenart gelten lässt und in ihren Dienst nimmt, jeder unrechten Prätention der Individualität aber mit unwidersprechlich höherem Ansehen gegenübertritt, ihr zu Diensten zu sein sich unbedingt weigert.
Zur Zielbestimmung der pädagogischen Thätigkeit also taugt die Individualität nicht; sie ist für sie durchaus nur verfügbares Material. Allerdings muss der Erzieher sie kennen und seine Einwirkung danach einrichten. Bildet diese sich, so wie wir angenommen haben, in ständiger sich gegenseitig verstehender Gemeinschaft des Erziehers und Zöglings, so ist keine Gefahr, dass es daran mangle, sondern es bedarf weit mehr der Warnung, der Individualität nicht zu viel nachzu- geben und nie die Sache dagegen zurückstehen zu lassen.
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Individualität, und das Kind in dem Alter, wo ein eigentlicher
geistiger Verkehr erst anhebt, in vieler Beziehung ein schon
ganz fertiger, kaum mehr zu wandelnder Charakter. Allein
eben das bestätigt ja nur, dass Individualität durchaus auf
eigenem Boden erwächst, also nicht Erziehungszweck sein
kann. Was an ihr Gutes ist, bedarf gerade umso weniger der
besondern Pflege, je mehr es individuell ist. Uebrigens ist
auch ihr Bestes nur einseitig gut, sonst wäre es eben nicht
individuell. Nun ist diese Einseitigkeit allerdings zulässig,
denn es ist dem Menschen einmal nicht gegeben, alles gleich
gut zu vermögen, und es ist besser, dass das, wozu einer vor-
zugsweise taugt, auch vorzugsweise in ihm zur Entwicklung
kommt, als dass er sich fruchtlos müht an Aufgaben, die im
Bereiche seiner Natur nun einmal nicht liegen. Aber selbst
die berechtigte Eigenart wird fast mehr dadurch entwickelt,
dass sie bestritten wird, als dass man ihr allzu sehr entgegen-
kommt; gerade gegen Widerspruch wird sie sich desto ener-
gischer in sich zu befestigen streben. Schliesslich aber bleibt
Individualität immer auch Schranke, und es ist sittlich notwendig,
dass sie als Schranke zum Bewusstsein kommt; dadurch wird
nicht die Eigenart selbst zerstört, aber dem Dünkel der Eigen-
art gesteuert. Das kann aber nicht wirksamer geschehen als
durch unbedingte Voranstellung der Sache, d. i. der Ge-
meinschaft, die jede gute Eigenart gelten lässt und in ihren
Dienst nimmt, jeder unrechten Prätention der Individualität
aber mit unwidersprechlich höherem Ansehen gegenübertritt,
ihr zu Diensten zu sein sich unbedingt weigert.
Zur Zielbestimmung der pädagogischen Thätigkeit also
taugt die Individualität nicht; sie ist für sie durchaus nur
verfügbares Material. Allerdings muss der Erzieher sie kennen
und seine Einwirkung danach einrichten. Bildet diese sich,
so wie wir angenommen haben, in ständiger sich gegenseitig
verstehender Gemeinschaft des Erziehers und Zöglings, so ist
keine Gefahr, dass es daran mangle, sondern es bedarf weit
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/260>, abgerufen am 21.11.2024.
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