Mittel zu verstärken; er stört weit mehr als er fördern kann. Man sollte dabei nie verweilen, sondern sogleich zum Berichtigen des Verfehlten, oder andernfalls zu neuen, grösseren Aufgaben übergehen. Dann würde bald erreicht sein, dass Lob und Erhebung genug das einfache Fortschreiten, Tadel und Er- niedrigung die Notwendigkeit des Nocheinmalmachens ist. So wäre dem Ueber- und Untermut zugleich gewehrt; der Wille übernimmt das Steuer, und der Gefühlssturm hat zu schweigen. Jedes Lob also und jeder Tadel ist vom Uebel, ist ein un- gerechtes Spiel mit der Seele des Kindes, dessen klares, von ihm selbst anerkanntes Ziel nicht das Bessermachen ist. Die Sache teilt Lob und Lohn, Tadel und Strafe aus mit einer unerbittlichen Gerechtigkeit, wie der gerechteste Erzieher es nicht vermag; er bescheide sich also, allein die Sache reden zu lassen.
Insbesondere ist jedes neben der Sache hergehende Be- lohnen und Strafen verfehlt. Die unerbittliche Klarstellung: das ist recht gethan, das verkehrt, und die daraus folgende Pflicht, das Verfehlte zu bessern, im Rechten fortzuschreiten, muss an sich genügen. Entweder das Kind begreift das und hört nur ausgesprochen, was sein eigenes Bewusstsein ihm bestätigt; dann bleibt für Lob und Lohn, Tadel und Strafe eigentlich nichts Ernsthaftes mehr zu erreichen übrig. Auch nicht, was man so gern vorwendet, das tiefere Haften im Gemüt. Das wird nur in künstlicher, äusserlicher, in der That sehr unsicherer Weise erreicht. Die Eindrücke augen- blicklicher Gefühlsstürme haften weit weniger als man denkt; während die Erprobung der gewonnenen Erkenntnis im ent- schlossenen neuen Thun sie bald zu unverlierbarer Festigkeit erstarken lässt. Oder aber, der Sinn und Grund der Strafe oder Rüge wird nicht begriffen, ja vielleicht bäumt sich das Gefühl des Gestraften oder Getadelten mit mehr oder weniger Recht dawider auf; und das ist ja der Fall, wo man Rüge und Strafe ins Ungemessene zu steigern pflegt. Aber nur desto mehr verfehlt sie dann ihren Zweck. Man bricht viel- leicht den Trotz, aber pflanzt keinen besseren Willen. Und wahrscheinlich bricht man auch den Trotz nicht, sondern er-
Mittel zu verstärken; er stört weit mehr als er fördern kann. Man sollte dabei nie verweilen, sondern sogleich zum Berichtigen des Verfehlten, oder andernfalls zu neuen, grösseren Aufgaben übergehen. Dann würde bald erreicht sein, dass Lob und Erhebung genug das einfache Fortschreiten, Tadel und Er- niedrigung die Notwendigkeit des Nocheinmalmachens ist. So wäre dem Ueber- und Untermut zugleich gewehrt; der Wille übernimmt das Steuer, und der Gefühlssturm hat zu schweigen. Jedes Lob also und jeder Tadel ist vom Uebel, ist ein un- gerechtes Spiel mit der Seele des Kindes, dessen klares, von ihm selbst anerkanntes Ziel nicht das Bessermachen ist. Die Sache teilt Lob und Lohn, Tadel und Strafe aus mit einer unerbittlichen Gerechtigkeit, wie der gerechteste Erzieher es nicht vermag; er bescheide sich also, allein die Sache reden zu lassen.
Insbesondere ist jedes neben der Sache hergehende Be- lohnen und Strafen verfehlt. Die unerbittliche Klarstellung: das ist recht gethan, das verkehrt, und die daraus folgende Pflicht, das Verfehlte zu bessern, im Rechten fortzuschreiten, muss an sich genügen. Entweder das Kind begreift das und hört nur ausgesprochen, was sein eigenes Bewusstsein ihm bestätigt; dann bleibt für Lob und Lohn, Tadel und Strafe eigentlich nichts Ernsthaftes mehr zu erreichen übrig. Auch nicht, was man so gern vorwendet, das tiefere Haften im Gemüt. Das wird nur in künstlicher, äusserlicher, in der That sehr unsicherer Weise erreicht. Die Eindrücke augen- blicklicher Gefühlsstürme haften weit weniger als man denkt; während die Erprobung der gewonnenen Erkenntnis im ent- schlossenen neuen Thun sie bald zu unverlierbarer Festigkeit erstarken lässt. Oder aber, der Sinn und Grund der Strafe oder Rüge wird nicht begriffen, ja vielleicht bäumt sich das Gefühl des Gestraften oder Getadelten mit mehr oder weniger Recht dawider auf; und das ist ja der Fall, wo man Rüge und Strafe ins Ungemessene zu steigern pflegt. Aber nur desto mehr verfehlt sie dann ihren Zweck. Man bricht viel- leicht den Trotz, aber pflanzt keinen besseren Willen. Und wahrscheinlich bricht man auch den Trotz nicht, sondern er-
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Mittel zu verstärken; er stört weit mehr als er fördern kann.
Man sollte dabei nie verweilen, sondern sogleich zum Berichtigen
des Verfehlten, oder andernfalls zu neuen, grösseren Aufgaben
übergehen. Dann würde bald erreicht sein, dass Lob und
Erhebung genug das einfache Fortschreiten, Tadel und Er-
niedrigung die Notwendigkeit des Nocheinmalmachens ist. So
wäre dem Ueber- und Untermut zugleich gewehrt; der Wille
übernimmt das Steuer, und der Gefühlssturm hat zu schweigen.
Jedes Lob also und jeder Tadel ist vom Uebel, ist ein un-
gerechtes Spiel mit der Seele des Kindes, dessen klares, von
ihm selbst anerkanntes Ziel nicht das Bessermachen ist. Die
Sache teilt Lob und Lohn, Tadel und Strafe aus mit einer
unerbittlichen Gerechtigkeit, wie der gerechteste Erzieher es
nicht vermag; er bescheide sich also, allein die Sache reden
zu lassen.
Insbesondere ist jedes neben der Sache hergehende Be-
lohnen und Strafen verfehlt. Die unerbittliche Klarstellung:
das ist recht gethan, das verkehrt, und die daraus folgende
Pflicht, das Verfehlte zu bessern, im Rechten fortzuschreiten,
muss an sich genügen. Entweder das Kind begreift das und
hört nur ausgesprochen, was sein eigenes Bewusstsein ihm
bestätigt; dann bleibt für Lob und Lohn, Tadel und Strafe
eigentlich nichts Ernsthaftes mehr zu erreichen übrig. Auch
nicht, was man so gern vorwendet, das tiefere Haften im
Gemüt. Das wird nur in künstlicher, äusserlicher, in der
That sehr unsicherer Weise erreicht. Die Eindrücke augen-
blicklicher Gefühlsstürme haften weit weniger als man denkt;
während die Erprobung der gewonnenen Erkenntnis im ent-
schlossenen neuen Thun sie bald zu unverlierbarer Festigkeit
erstarken lässt. Oder aber, der Sinn und Grund der Strafe
oder Rüge wird nicht begriffen, ja vielleicht bäumt sich das
Gefühl des Gestraften oder Getadelten mit mehr oder weniger
Recht dawider auf; und das ist ja der Fall, wo man Rüge
und Strafe ins Ungemessene zu steigern pflegt. Aber nur
desto mehr verfehlt sie dann ihren Zweck. Man bricht viel-
leicht den Trotz, aber pflanzt keinen besseren Willen. Und
wahrscheinlich bricht man auch den Trotz nicht, sondern er-
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/250>, abgerufen am 22.11.2024.
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