fehlen, und dass sie dabei das ganze Verhältnis zwischen Erzieher und Zögling zu trüben und auf ein niederes Niveau herabzudrücken drohen. Alles kommt doch darauf an, dass der Begriff gewonnen wird: ich habe eine Forderung an dich, die irgendwie eingelöst werden muss. Wo das nicht er- reicht wird, sind alle drastischen Mittel der Zucht vergeblich; gerade die drastischen Mittel aber verfehlen diese Wirkung am sichersten, weil sie allem Begriff gar zu fern stehen. Ihr Sinn wird nicht verstanden, die Strafe wird ganz anders ge- nommen, als sie gemeint ist. Das Kind versteht am Ende nur: man ärgert sich gegenseitig, und der Stärkere behält die Oberhand. Das wird im Eifer, das Haus- oder Schul- regiment aufrechtzuhalten, leicht übersehen. Man nimmt den sichtlichen Erfolg der augenblicklichen Bändigung der Wider- spänstigkeit für einen Sieg der Erziehung, zu dem so viel ge- hört und der sich so schwer beurteilt; während thatsächlich die Gemeinschaft zwischen Erzieher und Zögling einen Riss bekommt, dessen Fortbestand alle weitere Mühe der Erziehung vereiteln kann.
Der Hauptfehler liegt darin, dass man, zufrieden mit dem augenblicklichen Erfolg, den Widerstand des Zöglings zu brechen und sein äusseres Thun in die Richtung zu zwingen, die man für notwendig hält, das Wesentlichste von allem, wodurch allein auch das Thun dauernd gesichert wird, näm- lich das eigene Wollen und Einsehen, nicht nur zu wecken versäumt, sondern durch sein blindes Dreinfahren geradezu verhindert. Verpflichtung besteht auch ohne Einsicht und Willen des Verpflichteten. Aber dennoch hat man, wo es sich um Erziehung handelt und nicht um blosse Regierung, die aufs Erziehen verzichten zu können meint, durchaus Unrecht nicht auf Einsicht und Willen, sondern lediglich auf Durch- setzung der Forderung hinzuwirken. Gerade der echte Sinn von Autorität und Gehorsam wird damit verkannt. Ge- horsam ist allerdings notwendig, aber er ist auf keiner, auch nicht auf der untersten Stufe der Erziehung identisch mit Willenlosigkeit, mit Verzicht auf eignen Willen. Er bedeutet im Gegenteil den allgemeinen Willen, seinen Willen im
fehlen, und dass sie dabei das ganze Verhältnis zwischen Erzieher und Zögling zu trüben und auf ein niederes Niveau herabzudrücken drohen. Alles kommt doch darauf an, dass der Begriff gewonnen wird: ich habe eine Forderung an dich, die irgendwie eingelöst werden muss. Wo das nicht er- reicht wird, sind alle drastischen Mittel der Zucht vergeblich; gerade die drastischen Mittel aber verfehlen diese Wirkung am sichersten, weil sie allem Begriff gar zu fern stehen. Ihr Sinn wird nicht verstanden, die Strafe wird ganz anders ge- nommen, als sie gemeint ist. Das Kind versteht am Ende nur: man ärgert sich gegenseitig, und der Stärkere behält die Oberhand. Das wird im Eifer, das Haus- oder Schul- regiment aufrechtzuhalten, leicht übersehen. Man nimmt den sichtlichen Erfolg der augenblicklichen Bändigung der Wider- spänstigkeit für einen Sieg der Erziehung, zu dem so viel ge- hört und der sich so schwer beurteilt; während thatsächlich die Gemeinschaft zwischen Erzieher und Zögling einen Riss bekommt, dessen Fortbestand alle weitere Mühe der Erziehung vereiteln kann.
Der Hauptfehler liegt darin, dass man, zufrieden mit dem augenblicklichen Erfolg, den Widerstand des Zöglings zu brechen und sein äusseres Thun in die Richtung zu zwingen, die man für notwendig hält, das Wesentlichste von allem, wodurch allein auch das Thun dauernd gesichert wird, näm- lich das eigene Wollen und Einsehen, nicht nur zu wecken versäumt, sondern durch sein blindes Dreinfahren geradezu verhindert. Verpflichtung besteht auch ohne Einsicht und Willen des Verpflichteten. Aber dennoch hat man, wo es sich um Erziehung handelt und nicht um blosse Regierung, die aufs Erziehen verzichten zu können meint, durchaus Unrecht nicht auf Einsicht und Willen, sondern lediglich auf Durch- setzung der Forderung hinzuwirken. Gerade der echte Sinn von Autorität und Gehorsam wird damit verkannt. Ge- horsam ist allerdings notwendig, aber er ist auf keiner, auch nicht auf der untersten Stufe der Erziehung identisch mit Willenlosigkeit, mit Verzicht auf eignen Willen. Er bedeutet im Gegenteil den allgemeinen Willen, seinen Willen im
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dich, die irgendwie eingelöst werden muss. Wo das nicht er-
reicht wird, sind alle drastischen Mittel der Zucht vergeblich;
gerade die drastischen Mittel aber verfehlen diese Wirkung
am sichersten, weil sie allem Begriff gar zu fern stehen. Ihr
Sinn wird nicht verstanden, die Strafe wird ganz anders ge-
nommen, als sie gemeint ist. Das Kind versteht am Ende
nur: man ärgert sich gegenseitig, und der Stärkere behält
die Oberhand. Das wird im Eifer, das Haus- oder Schul-
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sichtlichen Erfolg der augenblicklichen Bändigung der Wider-
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die Gemeinschaft zwischen Erzieher und Zögling einen Riss
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vereiteln kann.
Der Hauptfehler liegt darin, dass man, zufrieden mit dem
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wodurch allein auch das Thun dauernd gesichert wird, näm-
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versäumt, sondern durch sein blindes Dreinfahren geradezu
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um Erziehung handelt und nicht um blosse Regierung, die
aufs Erziehen verzichten zu können meint, durchaus Unrecht
nicht auf Einsicht und Willen, sondern lediglich auf Durch-
setzung der Forderung hinzuwirken. Gerade der echte Sinn
von Autorität und Gehorsam wird damit verkannt. Ge-
horsam ist allerdings notwendig, aber er ist auf keiner, auch
nicht auf der untersten Stufe der Erziehung identisch mit
Willenlosigkeit, mit Verzicht auf eignen Willen. Er bedeutet
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/248>, abgerufen am 23.11.2024.
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