steht sich die ganze Eigentümlichkeit der Erziehung, welche die Schule leistet. Die Fügung des ganzen äusseren und selbst inneren Verhaltens in eine feste Gesetzesordnung, die den in die Schule Eintretenden gleich von der Schwelle an umfängt, genau so lange, als er ihr zugehört, festhält und während dieser Zeit fast unausgesetzt überwacht, findet in der That sonst nirgends ihresgleichen. Man mag den Waffendienst an- führen, der eine selbst noch straffere, bis ins Einzelste ausge- arbeitete Regelung aufweist, wo sozusagen kein Muskel zucken darf ausser auf Kommando. Aber teils fällt das ganz unter den Begriff Schule; es wird doch da jedes Einzelne gelehrt und gelernt, eingeschult, "exerziert"; teils ist es im Vergleich zu der hier gemeinten eine höchst einseitige Art der Schulung. Dem leicht übertriebenen Drill in der einzigen Richtung der körperlichen und zwar nur in bestimmten Beziehungen ver- standenen körperlichen Ausbildung steht gegenüber eine fast gänzliche Abwesenheit positiver Disziplin nach andern z. B. moralischen Seiten; wogegen die eigentliche Schule die köst- liche Aufgabe hat, alle Seiten der menschlichen Ausbildung systematisch zu umspannen und in normale Beziehungen zu setzen.
Aus unserm Prinzip versteht sich die Notwendigkeit einer solchen Organisation, und zwar für eine bestimmte mittlere Stufe zwischen Kindheit und gereiftem Menschentum. Offen- bar reicht die allgemeine Erwägung dazu nicht aus, dass über- haupt ein geregeltes Thun des Erfolges sicherer ist. Dem stände gegenüber, dass Freiheit gerade in der Erziehung wahrlich auch ihr Recht hat; ein Bedenken, das mehrere grosse Theo- retiker sogar dahin geführt hat, den Schulbetrieb der Bildung, eben jene gepriesene äussere Regelung der Bildungsthätigkeit, überhaupt zu verwerfen oder doch auf ein kleinstes Maass zurückführen zu wollen. Die Rechtfertigung für die Schule liegt vielmehr eben darin, dass die Einlebung in einen der- artigen Organismus an sich pädagogisch wertvoll, ja not- wendig ist. Sie hat, auch ganz abgesehen von den besonderen Zwecken des Unterrichts, die möglicherweise auch anders er- reicht werden könnten, den erziehenden Wert, den Geist der
steht sich die ganze Eigentümlichkeit der Erziehung, welche die Schule leistet. Die Fügung des ganzen äusseren und selbst inneren Verhaltens in eine feste Gesetzesordnung, die den in die Schule Eintretenden gleich von der Schwelle an umfängt, genau so lange, als er ihr zugehört, festhält und während dieser Zeit fast unausgesetzt überwacht, findet in der That sonst nirgends ihresgleichen. Man mag den Waffendienst an- führen, der eine selbst noch straffere, bis ins Einzelste ausge- arbeitete Regelung aufweist, wo sozusagen kein Muskel zucken darf ausser auf Kommando. Aber teils fällt das ganz unter den Begriff Schule; es wird doch da jedes Einzelne gelehrt und gelernt, eingeschult, „exerziert“; teils ist es im Vergleich zu der hier gemeinten eine höchst einseitige Art der Schulung. Dem leicht übertriebenen Drill in der einzigen Richtung der körperlichen und zwar nur in bestimmten Beziehungen ver- standenen körperlichen Ausbildung steht gegenüber eine fast gänzliche Abwesenheit positiver Disziplin nach andern z. B. moralischen Seiten; wogegen die eigentliche Schule die köst- liche Aufgabe hat, alle Seiten der menschlichen Ausbildung systematisch zu umspannen und in normale Beziehungen zu setzen.
Aus unserm Prinzip versteht sich die Notwendigkeit einer solchen Organisation, und zwar für eine bestimmte mittlere Stufe zwischen Kindheit und gereiftem Menschentum. Offen- bar reicht die allgemeine Erwägung dazu nicht aus, dass über- haupt ein geregeltes Thun des Erfolges sicherer ist. Dem stände gegenüber, dass Freiheit gerade in der Erziehung wahrlich auch ihr Recht hat; ein Bedenken, das mehrere grosse Theo- retiker sogar dahin geführt hat, den Schulbetrieb der Bildung, eben jene gepriesene äussere Regelung der Bildungsthätigkeit, überhaupt zu verwerfen oder doch auf ein kleinstes Maass zurückführen zu wollen. Die Rechtfertigung für die Schule liegt vielmehr eben darin, dass die Einlebung in einen der- artigen Organismus an sich pädagogisch wertvoll, ja not- wendig ist. Sie hat, auch ganz abgesehen von den besonderen Zwecken des Unterrichts, die möglicherweise auch anders er- reicht werden könnten, den erziehenden Wert, den Geist der
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[204/0220]
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die Schule Eintretenden gleich von der Schwelle an umfängt,
genau so lange, als er ihr zugehört, festhält und während
dieser Zeit fast unausgesetzt überwacht, findet in der That
sonst nirgends ihresgleichen. Man mag den Waffendienst an-
führen, der eine selbst noch straffere, bis ins Einzelste ausge-
arbeitete Regelung aufweist, wo sozusagen kein Muskel zucken
darf ausser auf Kommando. Aber teils fällt das ganz unter
den Begriff Schule; es wird doch da jedes Einzelne gelehrt und
gelernt, eingeschult, „exerziert“; teils ist es im Vergleich zu
der hier gemeinten eine höchst einseitige Art der Schulung.
Dem leicht übertriebenen Drill in der einzigen Richtung der
körperlichen und zwar nur in bestimmten Beziehungen ver-
standenen körperlichen Ausbildung steht gegenüber eine fast
gänzliche Abwesenheit positiver Disziplin nach andern z. B.
moralischen Seiten; wogegen die eigentliche Schule die köst-
liche Aufgabe hat, alle Seiten der menschlichen Ausbildung
systematisch zu umspannen und in normale Beziehungen zu
setzen.
Aus unserm Prinzip versteht sich die Notwendigkeit einer
solchen Organisation, und zwar für eine bestimmte mittlere
Stufe zwischen Kindheit und gereiftem Menschentum. Offen-
bar reicht die allgemeine Erwägung dazu nicht aus, dass über-
haupt ein geregeltes Thun des Erfolges sicherer ist. Dem stände
gegenüber, dass Freiheit gerade in der Erziehung wahrlich
auch ihr Recht hat; ein Bedenken, das mehrere grosse Theo-
retiker sogar dahin geführt hat, den Schulbetrieb der Bildung,
eben jene gepriesene äussere Regelung der Bildungsthätigkeit,
überhaupt zu verwerfen oder doch auf ein kleinstes Maass
zurückführen zu wollen. Die Rechtfertigung für die Schule
liegt vielmehr eben darin, dass die Einlebung in einen der-
artigen Organismus an sich pädagogisch wertvoll, ja not-
wendig ist. Sie hat, auch ganz abgesehen von den besonderen
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/220>, abgerufen am 30.01.2025.
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