wussten und willentlichen Gebrauch seiner Glieder, mensch- lichen Gang und Handgeschicklichkeit, menschliches Gehaben und Sichgeberden, überdies das Verständnis und die eigene, selbstbewusste Teilnahme an all den gemütlichen Beziehungen, in die es mit seiner kleinen Seele so bald schon warm und kraftvoll, in der That mit einer Wahrheit, Energie und Rein- heit, wie ein Erwachsener sie selten aufbringt, hineinwächst und selbstthätig eingreift. Es bedarf keiner näheren Ausfüh- rung, dass jede einzelne dieser Leistungen den Willen ebenso- wohl wie den Intellekt unausgesetzt in Anspruch nimmt und also entwickeln hilft. Auch genügt der blosse Hinweis, dass diese Entwicklung, wie sehr immer Sache der "Natur", auf die Gemeinschaft mit den Erwachsenen und den zugleich Heran- wachsenden (Geschwistern, Kameraden) gänzlich angewiesen und durch die Art und Tiefe dieser Gemeinschaft, durch Ge- sinnung und Verhaltungsweise der Umgebung gegen das Kind durchaus bedingt ist, mithin unter pädagogische Erwägung selbst dann fiele, wenn man so seltsam wäre, davon alles aus- schliessen zu wollen, was Sache der "Natur", d. i. selbstthätiger, nicht von Andern (absichtlich und unabsichtlich) beeinflusster Entwicklung ist.
Vorzüglich aber gehört hierher eine Erwägung, die sich in entscheidender Weise dem Tiefblick Pestalozzis erschlossen hat. Von der Bedeutung der kindlichen Entwicklung ganz durchdrungen, unternahm er es, man muss wohl sagen, zum ersten Mal, ihren Grundgesetzen ernstlich nachzugehen. Da er mit seiner Analyse zunächst bei der Intellektbildung ein- setzte, geriet er auf seine bekannten drei "Elementarpunkte": die Zahl, die Form, d. i. die vom Punkt durch Linie und Fläche bis zum Raumgebild sich aufbauende körperliche Ge- stalt der sinnlichen Objekte, und die Sprache. Er fand weiter, dass dies alles sich hauptsächlich an die kombinierte Uebung der Sinne und der Hand anknüpft. Hier griff nun die sozio- logische Erwägung ein, dass alle Güter des gesellten Menschen auf Arbeit, zuletzt auf der schlichtesten Arbeit, auf dem Hände- werk beruhen und notwendig beruhen müssen. So wurde ihm die Arbeitsbildung, die Bildung durch Arbeit zur Arbeit,
wussten und willentlichen Gebrauch seiner Glieder, mensch- lichen Gang und Handgeschicklichkeit, menschliches Gehaben und Sichgeberden, überdies das Verständnis und die eigene, selbstbewusste Teilnahme an all den gemütlichen Beziehungen, in die es mit seiner kleinen Seele so bald schon warm und kraftvoll, in der That mit einer Wahrheit, Energie und Rein- heit, wie ein Erwachsener sie selten aufbringt, hineinwächst und selbstthätig eingreift. Es bedarf keiner näheren Ausfüh- rung, dass jede einzelne dieser Leistungen den Willen ebenso- wohl wie den Intellekt unausgesetzt in Anspruch nimmt und also entwickeln hilft. Auch genügt der blosse Hinweis, dass diese Entwicklung, wie sehr immer Sache der „Natur“, auf die Gemeinschaft mit den Erwachsenen und den zugleich Heran- wachsenden (Geschwistern, Kameraden) gänzlich angewiesen und durch die Art und Tiefe dieser Gemeinschaft, durch Ge- sinnung und Verhaltungsweise der Umgebung gegen das Kind durchaus bedingt ist, mithin unter pädagogische Erwägung selbst dann fiele, wenn man so seltsam wäre, davon alles aus- schliessen zu wollen, was Sache der „Natur“, d. i. selbstthätiger, nicht von Andern (absichtlich und unabsichtlich) beeinflusster Entwicklung ist.
Vorzüglich aber gehört hierher eine Erwägung, die sich in entscheidender Weise dem Tiefblick Pestalozzis erschlossen hat. Von der Bedeutung der kindlichen Entwicklung ganz durchdrungen, unternahm er es, man muss wohl sagen, zum ersten Mal, ihren Grundgesetzen ernstlich nachzugehen. Da er mit seiner Analyse zunächst bei der Intellektbildung ein- setzte, geriet er auf seine bekannten drei „Elementarpunkte“: die Zahl, die Form, d. i. die vom Punkt durch Linie und Fläche bis zum Raumgebild sich aufbauende körperliche Ge- stalt der sinnlichen Objekte, und die Sprache. Er fand weiter, dass dies alles sich hauptsächlich an die kombinierte Uebung der Sinne und der Hand anknüpft. Hier griff nun die sozio- logische Erwägung ein, dass alle Güter des gesellten Menschen auf Arbeit, zuletzt auf der schlichtesten Arbeit, auf dem Hände- werk beruhen und notwendig beruhen müssen. So wurde ihm die Arbeitsbildung, die Bildung durch Arbeit zur Arbeit,
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[201/0217]
wussten und willentlichen Gebrauch seiner Glieder, mensch-
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und Sichgeberden, überdies das Verständnis und die eigene,
selbstbewusste Teilnahme an all den gemütlichen Beziehungen,
in die es mit seiner kleinen Seele so bald schon warm und
kraftvoll, in der That mit einer Wahrheit, Energie und Rein-
heit, wie ein Erwachsener sie selten aufbringt, hineinwächst
und selbstthätig eingreift. Es bedarf keiner näheren Ausfüh-
rung, dass jede einzelne dieser Leistungen den Willen ebenso-
wohl wie den Intellekt unausgesetzt in Anspruch nimmt und
also entwickeln hilft. Auch genügt der blosse Hinweis, dass
diese Entwicklung, wie sehr immer Sache der „Natur“, auf die
Gemeinschaft mit den Erwachsenen und den zugleich Heran-
wachsenden (Geschwistern, Kameraden) gänzlich angewiesen
und durch die Art und Tiefe dieser Gemeinschaft, durch Ge-
sinnung und Verhaltungsweise der Umgebung gegen das Kind
durchaus bedingt ist, mithin unter pädagogische Erwägung
selbst dann fiele, wenn man so seltsam wäre, davon alles aus-
schliessen zu wollen, was Sache der „Natur“, d. i. selbstthätiger,
nicht von Andern (absichtlich und unabsichtlich) beeinflusster
Entwicklung ist.
Vorzüglich aber gehört hierher eine Erwägung, die sich
in entscheidender Weise dem Tiefblick Pestalozzis erschlossen
hat. Von der Bedeutung der kindlichen Entwicklung ganz
durchdrungen, unternahm er es, man muss wohl sagen, zum
ersten Mal, ihren Grundgesetzen ernstlich nachzugehen. Da
er mit seiner Analyse zunächst bei der Intellektbildung ein-
setzte, geriet er auf seine bekannten drei „Elementarpunkte“:
die Zahl, die Form, d. i. die vom Punkt durch Linie und
Fläche bis zum Raumgebild sich aufbauende körperliche Ge-
stalt der sinnlichen Objekte, und die Sprache. Er fand weiter,
dass dies alles sich hauptsächlich an die kombinierte Uebung
der Sinne und der Hand anknüpft. Hier griff nun die sozio-
logische Erwägung ein, dass alle Güter des gesellten Menschen
auf Arbeit, zuletzt auf der schlichtesten Arbeit, auf dem Hände-
werk beruhen und notwendig beruhen müssen. So wurde ihm
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/217>, abgerufen am 24.11.2024.
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