Also nur ein Leben, in dem das Bewusstsein, in dem die Ver- nunft herrscht und nicht bloss dient, kann als Endzweck gedacht werden. Folglich müssen die wirtschaftliche wie die regierende Thätigkeit sich als blosse Mittel dem höheren Zweck der Menschenbildung unterordnen. Bildung durch Arbeit und zur Arbeit, durch soziale Organisation und zur Teilnahme an ihr, ebenso wie durch und zu eigener bildender Thätigkeit, an sich selbst wie an Andern, diese drei müssen sich in harmo- nische Einheit fügen; es sind für den eigentümlichen Gesichts- punkt der bildenden Thätigkeit nur die notwendig zusammen- gehörenden Glieder eines Organismus, des Organismus der Menschenbildung. Im Ideal würden die wirtschaftliche Arbeit wie die soziale Organisation unmittelbar Faktoren der Bildung werden; d. h. sie müssten durchweg so geordnet sein, dass sie, nicht etwa bloss neben, sondern in der Erfüllung ihrer besonderen Aufgabe, dem einen letzten Zwecke der Menschenbildung gehorchen und an seiner Verwirklichung mitarbeiten müssten. Bis zu dieser Höhe hatte sich die Idee der menschlichen Bildung auf der Grundlage der Vernunft (unter dem Namen der "Philosophie") bereits in Plato erhoben, und von seiner daraus entsprungenen sozialpädagogischen Idee des Staats lässt sich, was die Grundidee betrifft, nichts ab- dingen. Nur begründet gerade die richtige Konsequenz dieser Idee eine andere, positivere Würdigung der wirtschaftlichen wie der politischen Thätigkeit, als Plato sie beiden gönnt. Ihm ist die wirtschaftliche Arbeit wie die soziale Organisation nur leidige Notsache, oberhalb deren erst das wahrhafte mensch- liche Leben beginnt. Nun erkennen auch wir an, dass beide zuletzt dem einzigen Zwecke der Höherbildung der Menschheit sich unterordnen müssen, aber eben diesem höchsten Zwecke dienstbar gemacht, gewinnen beide einen unangreifbaren Wert. Das ist es, was infolge der zu schroffen Auffassung des Rang- unterschieds der verschiedenen Grundthätigkeiten und der über- triebenen Schätzung der Arbeitsteilung (die ganz der schroffen Auseinanderreissung der seelischen Grundfunktionen im Indi- viduum entspricht) von Plato verkannt worden ist. Das ist das wirklich Utopische seines Entwurfs, der an sich durchaus
Also nur ein Leben, in dem das Bewusstsein, in dem die Ver- nunft herrscht und nicht bloss dient, kann als Endzweck gedacht werden. Folglich müssen die wirtschaftliche wie die regierende Thätigkeit sich als blosse Mittel dem höheren Zweck der Menschenbildung unterordnen. Bildung durch Arbeit und zur Arbeit, durch soziale Organisation und zur Teilnahme an ihr, ebenso wie durch und zu eigener bildender Thätigkeit, an sich selbst wie an Andern, diese drei müssen sich in harmo- nische Einheit fügen; es sind für den eigentümlichen Gesichts- punkt der bildenden Thätigkeit nur die notwendig zusammen- gehörenden Glieder eines Organismus, des Organismus der Menschenbildung. Im Ideal würden die wirtschaftliche Arbeit wie die soziale Organisation unmittelbar Faktoren der Bildung werden; d. h. sie müssten durchweg so geordnet sein, dass sie, nicht etwa bloss neben, sondern in der Erfüllung ihrer besonderen Aufgabe, dem einen letzten Zwecke der Menschenbildung gehorchen und an seiner Verwirklichung mitarbeiten müssten. Bis zu dieser Höhe hatte sich die Idee der menschlichen Bildung auf der Grundlage der Vernunft (unter dem Namen der „Philosophie“) bereits in Plato erhoben, und von seiner daraus entsprungenen sozialpädagogischen Idee des Staats lässt sich, was die Grundidee betrifft, nichts ab- dingen. Nur begründet gerade die richtige Konsequenz dieser Idee eine andere, positivere Würdigung der wirtschaftlichen wie der politischen Thätigkeit, als Plato sie beiden gönnt. Ihm ist die wirtschaftliche Arbeit wie die soziale Organisation nur leidige Notsache, oberhalb deren erst das wahrhafte mensch- liche Leben beginnt. Nun erkennen auch wir an, dass beide zuletzt dem einzigen Zwecke der Höherbildung der Menschheit sich unterordnen müssen, aber eben diesem höchsten Zwecke dienstbar gemacht, gewinnen beide einen unangreifbaren Wert. Das ist es, was infolge der zu schroffen Auffassung des Rang- unterschieds der verschiedenen Grundthätigkeiten und der über- triebenen Schätzung der Arbeitsteilung (die ganz der schroffen Auseinanderreissung der seelischen Grundfunktionen im Indi- viduum entspricht) von Plato verkannt worden ist. Das ist das wirklich Utopische seines Entwurfs, der an sich durchaus
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Also nur ein Leben, in dem das Bewusstsein, in dem die Ver-
nunft herrscht und nicht bloss dient, kann als Endzweck
gedacht werden. Folglich müssen die wirtschaftliche wie die
regierende Thätigkeit sich als blosse Mittel dem höheren Zweck
der Menschenbildung unterordnen. Bildung durch Arbeit und
zur Arbeit, durch soziale Organisation und zur Teilnahme an
ihr, ebenso wie durch und zu eigener bildender Thätigkeit,
an sich selbst wie an Andern, diese drei müssen sich in harmo-
nische Einheit fügen; es sind für den eigentümlichen Gesichts-
punkt der bildenden Thätigkeit nur die notwendig zusammen-
gehörenden Glieder eines Organismus, des Organismus der
Menschenbildung. Im Ideal würden die wirtschaftliche Arbeit
wie die soziale Organisation unmittelbar Faktoren der Bildung
werden; d. h. sie müssten durchweg so geordnet sein, dass
sie, nicht etwa bloss neben, sondern in der Erfüllung ihrer
besonderen Aufgabe, dem einen letzten Zwecke der
Menschenbildung gehorchen und an seiner Verwirklichung
mitarbeiten müssten. Bis zu dieser Höhe hatte sich die Idee
der menschlichen Bildung auf der Grundlage der Vernunft
(unter dem Namen der „Philosophie“) bereits in Plato erhoben,
und von seiner daraus entsprungenen sozialpädagogischen Idee
des Staats lässt sich, was die Grundidee betrifft, nichts ab-
dingen. Nur begründet gerade die richtige Konsequenz dieser
Idee eine andere, positivere Würdigung der wirtschaftlichen
wie der politischen Thätigkeit, als Plato sie beiden gönnt.
Ihm ist die wirtschaftliche Arbeit wie die soziale Organisation
nur leidige Notsache, oberhalb deren erst das wahrhafte mensch-
liche Leben beginnt. Nun erkennen auch wir an, dass beide
zuletzt dem einzigen Zwecke der Höherbildung der Menschheit
sich unterordnen müssen, aber eben diesem höchsten Zwecke
dienstbar gemacht, gewinnen beide einen unangreifbaren Wert.
Das ist es, was infolge der zu schroffen Auffassung des Rang-
unterschieds der verschiedenen Grundthätigkeiten und der über-
triebenen Schätzung der Arbeitsteilung (die ganz der schroffen
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/174>, abgerufen am 30.11.2024.
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