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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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und es bliebe, auch wenn man das Schlimmste darum leiden
müsste. Sein Satz von der porportionalen Gleichheit meinte
etwas ganz Anderes. Plato war allerdings der Ansicht, dass
der Tüchtige den Befehl haben, der Untüchtige gehorchen
müsse; aber nicht, weil jener grössere Ansprüche an "Gutes"
erheben dürfe, sondern aus dem ungefähr entgegengesetzten
Grunde: weil grössere Leistungen von ihm zu verlangen seien.
Nicht als der persönlich Tüchtigere soll er grössere persön-
liche Vorteile geniessen; das würde in kurzem seine Tüchtig-
keit zerstören; sondern damit das Werk gedeihe, soll der
Sachverständige befehlen. Der Vorteil, der dabei zu
suchen, ist nicht seiner, sondern derer, denen er befiehlt.
Er hat den Befehl, sofern er die Sache versteht; aber die
Sache ist gemeinsam. Eine Sache, welche es auch sei, aus-
schliesslich sein eigen nennen, ist ihm der Inbegriff des
sozialen Unrechts, ein auf diesen Begriff des Eigentums
gebauter Staat das Gegenteil des sittlich geforderten. Viel-
mehr sind beide, der Befehlende und der Gehorchende, Eigen-
tum der Gemeinschaft, ihr Befehlen und ihr Gehorchen Dienst
der Gemeinschaft. Das ist der Aristokratismus Platos, der
am Ende auch Demokratismus heissen könnte, sofern darunter
die Verneinung jedes Befehlsrechts einer Klasse als solcher und
nicht lediglich des Tüchtigeren verstanden wird. Dieser
Aristokratismus ist mit der sittlichen Gleichheit wohl im
Einklang; denn diese besagt die für alle an sich gleiche Ver-
pflichtung, seine Kräfte in den Dienst des Guten und, sofern
das Gute Gemeinschaftssache ist, in den Dienst der Gemein-
schaft zu stellen; welche an sich gleiche Pflicht sich empirisch
modifiziert nach dem Maasse der Fähigkeit der Einzelnen. Da
übrigens die menschlichen Fähigkeiten bildsam sind, so be-
steht auch wiederum die Verpflichtung, allen an sich gleiche
Möglichkeit zur Ausbildung ihrer Fähigkeiten zu schaffen.
Dabei aber stellt sich nun, merkwürdig genug, eine Art um-
gekehrter Proportion heraus: wie der Kranke mehr leibliche
Pflege für sich fordern darf als der Gesunde, so hat der
weniger Begabte Anspruch auf desto grössere Sorgfalt für seine
Bildung. Die Formel, dass dem Bessern Besseres gebühre,

und es bliebe, auch wenn man das Schlimmste darum leiden
müsste. Sein Satz von der porportionalen Gleichheit meinte
etwas ganz Anderes. Plato war allerdings der Ansicht, dass
der Tüchtige den Befehl haben, der Untüchtige gehorchen
müsse; aber nicht, weil jener grössere Ansprüche an „Gutes“
erheben dürfe, sondern aus dem ungefähr entgegengesetzten
Grunde: weil grössere Leistungen von ihm zu verlangen seien.
Nicht als der persönlich Tüchtigere soll er grössere persön-
liche Vorteile geniessen; das würde in kurzem seine Tüchtig-
keit zerstören; sondern damit das Werk gedeihe, soll der
Sachverständige befehlen. Der Vorteil, der dabei zu
suchen, ist nicht seiner, sondern derer, denen er befiehlt.
Er hat den Befehl, sofern er die Sache versteht; aber die
Sache ist gemeinsam. Eine Sache, welche es auch sei, aus-
schliesslich sein eigen nennen, ist ihm der Inbegriff des
sozialen Unrechts, ein auf diesen Begriff des Eigentums
gebauter Staat das Gegenteil des sittlich geforderten. Viel-
mehr sind beide, der Befehlende und der Gehorchende, Eigen-
tum der Gemeinschaft, ihr Befehlen und ihr Gehorchen Dienst
der Gemeinschaft. Das ist der Aristokratismus Platos, der
am Ende auch Demokratismus heissen könnte, sofern darunter
die Verneinung jedes Befehlsrechts einer Klasse als solcher und
nicht lediglich des Tüchtigeren verstanden wird. Dieser
Aristokratismus ist mit der sittlichen Gleichheit wohl im
Einklang; denn diese besagt die für alle an sich gleiche Ver-
pflichtung, seine Kräfte in den Dienst des Guten und, sofern
das Gute Gemeinschaftssache ist, in den Dienst der Gemein-
schaft zu stellen; welche an sich gleiche Pflicht sich empirisch
modifiziert nach dem Maasse der Fähigkeit der Einzelnen. Da
übrigens die menschlichen Fähigkeiten bildsam sind, so be-
steht auch wiederum die Verpflichtung, allen an sich gleiche
Möglichkeit zur Ausbildung ihrer Fähigkeiten zu schaffen.
Dabei aber stellt sich nun, merkwürdig genug, eine Art um-
gekehrter Proportion heraus: wie der Kranke mehr leibliche
Pflege für sich fordern darf als der Gesunde, so hat der
weniger Begabte Anspruch auf desto grössere Sorgfalt für seine
Bildung. Die Formel, dass dem Bessern Besseres gebühre,

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[123/0139] und es bliebe, auch wenn man das Schlimmste darum leiden müsste. Sein Satz von der porportionalen Gleichheit meinte etwas ganz Anderes. Plato war allerdings der Ansicht, dass der Tüchtige den Befehl haben, der Untüchtige gehorchen müsse; aber nicht, weil jener grössere Ansprüche an „Gutes“ erheben dürfe, sondern aus dem ungefähr entgegengesetzten Grunde: weil grössere Leistungen von ihm zu verlangen seien. Nicht als der persönlich Tüchtigere soll er grössere persön- liche Vorteile geniessen; das würde in kurzem seine Tüchtig- keit zerstören; sondern damit das Werk gedeihe, soll der Sachverständige befehlen. Der Vorteil, der dabei zu suchen, ist nicht seiner, sondern derer, denen er befiehlt. Er hat den Befehl, sofern er die Sache versteht; aber die Sache ist gemeinsam. Eine Sache, welche es auch sei, aus- schliesslich sein eigen nennen, ist ihm der Inbegriff des sozialen Unrechts, ein auf diesen Begriff des Eigentums gebauter Staat das Gegenteil des sittlich geforderten. Viel- mehr sind beide, der Befehlende und der Gehorchende, Eigen- tum der Gemeinschaft, ihr Befehlen und ihr Gehorchen Dienst der Gemeinschaft. Das ist der Aristokratismus Platos, der am Ende auch Demokratismus heissen könnte, sofern darunter die Verneinung jedes Befehlsrechts einer Klasse als solcher und nicht lediglich des Tüchtigeren verstanden wird. Dieser Aristokratismus ist mit der sittlichen Gleichheit wohl im Einklang; denn diese besagt die für alle an sich gleiche Ver- pflichtung, seine Kräfte in den Dienst des Guten und, sofern das Gute Gemeinschaftssache ist, in den Dienst der Gemein- schaft zu stellen; welche an sich gleiche Pflicht sich empirisch modifiziert nach dem Maasse der Fähigkeit der Einzelnen. Da übrigens die menschlichen Fähigkeiten bildsam sind, so be- steht auch wiederum die Verpflichtung, allen an sich gleiche Möglichkeit zur Ausbildung ihrer Fähigkeiten zu schaffen. Dabei aber stellt sich nun, merkwürdig genug, eine Art um- gekehrter Proportion heraus: wie der Kranke mehr leibliche Pflege für sich fordern darf als der Gesunde, so hat der weniger Begabte Anspruch auf desto grössere Sorgfalt für seine Bildung. Die Formel, dass dem Bessern Besseres gebühre,

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/139>, abgerufen am 26.11.2024.