sich, auch und vor allem diese durch und durch sittlich zu gestalten. Das darf nun wiederum nicht verleiten, den Grund und Wert dieser Tugend etwa ausschliesslich in ihrer sozialen Bedeutung zu suchen. Sie ist an sich selbst gefordert, auch mit gänzlicher Abstraktion davon, welchen Dienst sie dem Andern oder selbst dem Ganzen leiste. Aber freilich besteht das Gebot der Reinheit, wie jedes sittliche Gebot, aus gleichem Grunde wie für den Einzelnen auch für alle und erhält durch die gleichzeitige Beziehung auf die Gemeinschaft noch ver- tieften Sinn; ja es könnte überhaupt nicht davon die Rede sein, den Adel der Menschheit in der eigenen Person zu er- halten, wenn es keine Menschheit, keine menschliche Gemein- schaft gäbe. Auch ist diese höchste sittliche Beziehung für diese Tugend so unerlässlich wie für jede andre. Sie lässt sich, auf der Höhe ihrer Bedeutung, nicht lediglich auf den Naturtrieb zur Glückseligkeit (auch wenn er als zugleich sozialer Trieb verstanden wird), mit Umgehung eines Vernunft- grundes stützen.
Und so bestätigt sich auch wieder der unauflösliche Zu- sammenhang sämtlicher Grundtugenden, demzufolge keine ohne die andern bestehen kann, jede, je nachdem man es ansieht, jede der andern zur Voraussetzung hat. Die sittliche Ordnung des Trieblebens, wie sie sich uns darstellte, ist offenbar nicht zu erreichen ohne eine grosse Klarheit der sittlichen Einsicht und ohne voll entwickelte Kraft und Festigkeit des sittlichen Willens. Umgekehrt ist Regellosigkeit und Ungesundheit des Trieblebens das Haupthindernis, zu fester sittlicher Energie und unbeirrter sittlicher Einsicht und Wahrhaftigkeit jemals zu gelangen. Die Erziehung beginnt naturgemäss von unten auf, bei der Disziplinierung des Trieblebens; höhere Forderun- gen an die sittliche Energie und Erkenntnis lassen sich über- haupt erst stellen, nachdem der Hauptwiderstand gebrochen ist, der sich von dorther gegen beide erhebt. An der Ver- sittlichung des Trieblebens erstarkt die Kraft des sittlichen Wollens und der sittlichen Einsicht, die dann wieder zur feste- sten Stütze für jene wird. So helfen sich alle Tugenden und fördert jede die andere, indem sie zugleich aus jeder selbst
sich, auch und vor allem diese durch und durch sittlich zu gestalten. Das darf nun wiederum nicht verleiten, den Grund und Wert dieser Tugend etwa ausschliesslich in ihrer sozialen Bedeutung zu suchen. Sie ist an sich selbst gefordert, auch mit gänzlicher Abstraktion davon, welchen Dienst sie dem Andern oder selbst dem Ganzen leiste. Aber freilich besteht das Gebot der Reinheit, wie jedes sittliche Gebot, aus gleichem Grunde wie für den Einzelnen auch für alle und erhält durch die gleichzeitige Beziehung auf die Gemeinschaft noch ver- tieften Sinn; ja es könnte überhaupt nicht davon die Rede sein, den Adel der Menschheit in der eigenen Person zu er- halten, wenn es keine Menschheit, keine menschliche Gemein- schaft gäbe. Auch ist diese höchste sittliche Beziehung für diese Tugend so unerlässlich wie für jede andre. Sie lässt sich, auf der Höhe ihrer Bedeutung, nicht lediglich auf den Naturtrieb zur Glückseligkeit (auch wenn er als zugleich sozialer Trieb verstanden wird), mit Umgehung eines Vernunft- grundes stützen.
Und so bestätigt sich auch wieder der unauflösliche Zu- sammenhang sämtlicher Grundtugenden, demzufolge keine ohne die andern bestehen kann, jede, je nachdem man es ansieht, jede der andern zur Voraussetzung hat. Die sittliche Ordnung des Trieblebens, wie sie sich uns darstellte, ist offenbar nicht zu erreichen ohne eine grosse Klarheit der sittlichen Einsicht und ohne voll entwickelte Kraft und Festigkeit des sittlichen Willens. Umgekehrt ist Regellosigkeit und Ungesundheit des Trieblebens das Haupthindernis, zu fester sittlicher Energie und unbeirrter sittlicher Einsicht und Wahrhaftigkeit jemals zu gelangen. Die Erziehung beginnt naturgemäss von unten auf, bei der Disziplinierung des Trieblebens; höhere Forderun- gen an die sittliche Energie und Erkenntnis lassen sich über- haupt erst stellen, nachdem der Hauptwiderstand gebrochen ist, der sich von dorther gegen beide erhebt. An der Ver- sittlichung des Trieblebens erstarkt die Kraft des sittlichen Wollens und der sittlichen Einsicht, die dann wieder zur feste- sten Stütze für jene wird. So helfen sich alle Tugenden und fördert jede die andere, indem sie zugleich aus jeder selbst
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sich, auch und vor allem diese durch und durch sittlich zu
gestalten. Das darf nun wiederum nicht verleiten, den Grund
und Wert dieser Tugend etwa ausschliesslich in ihrer sozialen
Bedeutung zu suchen. Sie ist an sich selbst gefordert, auch mit
gänzlicher Abstraktion davon, welchen Dienst sie dem Andern
oder selbst dem Ganzen leiste. Aber freilich besteht das
Gebot der Reinheit, wie jedes sittliche Gebot, aus gleichem
Grunde wie für den Einzelnen auch für alle und erhält durch
die gleichzeitige Beziehung auf die Gemeinschaft noch ver-
tieften Sinn; ja es könnte überhaupt nicht davon die Rede
sein, den Adel der Menschheit in der eigenen Person zu er-
halten, wenn es keine Menschheit, keine menschliche Gemein-
schaft gäbe. Auch ist diese höchste sittliche Beziehung für
diese Tugend so unerlässlich wie für jede andre. Sie lässt
sich, auf der Höhe ihrer Bedeutung, nicht lediglich auf den
Naturtrieb zur Glückseligkeit (auch wenn er als zugleich
sozialer Trieb verstanden wird), mit Umgehung eines Vernunft-
grundes stützen.
Und so bestätigt sich auch wieder der unauflösliche Zu-
sammenhang sämtlicher Grundtugenden, demzufolge keine ohne
die andern bestehen kann, jede, je nachdem man es ansieht,
jede der andern zur Voraussetzung hat. Die sittliche Ordnung
des Trieblebens, wie sie sich uns darstellte, ist offenbar nicht
zu erreichen ohne eine grosse Klarheit der sittlichen Einsicht
und ohne voll entwickelte Kraft und Festigkeit des sittlichen
Willens. Umgekehrt ist Regellosigkeit und Ungesundheit des
Trieblebens das Haupthindernis, zu fester sittlicher Energie
und unbeirrter sittlicher Einsicht und Wahrhaftigkeit jemals
zu gelangen. Die Erziehung beginnt naturgemäss von unten
auf, bei der Disziplinierung des Trieblebens; höhere Forderun-
gen an die sittliche Energie und Erkenntnis lassen sich über-
haupt erst stellen, nachdem der Hauptwiderstand gebrochen
ist, der sich von dorther gegen beide erhebt. An der Ver-
sittlichung des Trieblebens erstarkt die Kraft des sittlichen
Wollens und der sittlichen Einsicht, die dann wieder zur feste-
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/133>, abgerufen am 26.11.2024.
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