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Nathusius, Hermann Engelhard von: Über die sogenannten Leporiden. Berlin, 1876.

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Es liegt hier dasselbe ungelöste Räthsel vor, welches ich oben
(Seite 25) bezüglich der Weite der Gaumenöffnung erörtert habe, wo
auch Hrn. Zürn's Messungen gerade das Gegentheil von seinen Be-
hauptungen nachwiesen. --

Am Schluss seiner Arbeit giebt Hr. Zürn 70 und einige Messungen
als "Grössenverhältnisse der einzelnen Skelettheile". Ich habe mich seit
mehr als 40 Jahren mit Messungen von Skelettheilen beschäftigt, habe
davon bis jetzt nur wenig veröffentlicht, halte mich aber zu einem Ur-
theil über die Methode hinlänglich orientirt. Ich meine, dass Messungen
nur dann komparabel, deshalb nur dann brauchbar sind,

1) wenn dieselben keinen Zweifel lassen über die Endpunkte der
Masse, über die Ansatzpunkte des Zirkels;

2) wenn dieselben in Bezug auf die gewählten Dimensionen diagnosti-
sche oder überhaupt morphologische Bedeutung haben;

3) wenn die gefundenen Zahlen verglichen werden, d. h. in Glei-
chungen ausgedrückt, welche Aehnlichkeit oder Differenz klar machen.

Hunderte von Zahlen, welche diese Bedingungen nicht erfüllen,
geben dem Leser doch niemals eine klare Anschauung, und so kann ich
denn die Meinung nicht zurückhalten, dass ein grosser Theil der vor-
liegenden Zahlen für die zu lösende Frage nicht brauchbar ist. Ich ver-
suche den Nachweis der Richtigkeit dieses Ausspruchs nur an einigen
wenigen Beispielen.

Zunächst die Länge des Schädels. Hr. Zürn misst "von der
vordern Fläche der Schneidezähne bis zur squama ossis occipitis". Es
fragt sich zunächst: was bedeutet "bis zur squama"? Ist damit die
mediane Gränze zwischen Interparietale und Hinterhaupt gemeint -- wie
man nach dem Wortlaut annehmen muss --, oder der nach hinten am
weitesten vorragende Theil der Schuppe, also überhaupt die hintere Ex-
tremität des Schädels? In jenem Falle ist ein Punkt gemeint, welcher
bei ältern Thieren nicht immer sicher erkennbar ist, abgesehen von
Hrn. Zürn's Behauptung, dass dem Hasen das Interparietale fehlt; in
diesem Fall ein Theil, welcher ungewisse Konturen hat und variabel ist,
je nachdem die Individuen knochenreich oder das Gegentheil sind, d. h.
entweder dicke, rauhe Knochen mit starken Höckern, oder dünne, glatte
mit schwachen Leisten und Höckern haben.

Die Abbildung Fig. 1 (pag. 45) der Anatomie des Kaninchens von
Krause macht den hier gemeinten Zweifel deutlich; es ist nicht zu
ermitteln, ob Hr. Zürn bis zum tuberculum occipitale (To) oder bis zur
protuberantia occipitalis externa (Po) gemessen hat.

Diese Ungewissheit schliesst aber eine Differenz von ungefähr
6 Procent der Messung ein.

Ferner fragt sich: was bedeutet das Wort "Mittelzahlen"? Aus
wie vielen einzelnen Messungen ist die Mittelzahl gefunden? Sind sehr
grosse und sehr kleine Individuen ausgeschlossen? Nach der Anmer-

Es liegt hier dasselbe ungelöste Räthsel vor, welches ich oben
(Seite 25) bezüglich der Weite der Gaumenöffnung erörtert habe, wo
auch Hrn. Zürn’s Messungen gerade das Gegentheil von seinen Be-
hauptungen nachwiesen. —

Am Schluss seiner Arbeit giebt Hr. Zürn 70 und einige Messungen
als „Grössenverhältnisse der einzelnen Skelettheile“. Ich habe mich seit
mehr als 40 Jahren mit Messungen von Skelettheilen beschäftigt, habe
davon bis jetzt nur wenig veröffentlicht, halte mich aber zu einem Ur-
theil über die Methode hinlänglich orientirt. Ich meine, dass Messungen
nur dann komparabel, deshalb nur dann brauchbar sind,

1) wenn dieselben keinen Zweifel lassen über die Endpunkte der
Masse, über die Ansatzpunkte des Zirkels;

2) wenn dieselben in Bezug auf die gewählten Dimensionen diagnosti-
sche oder überhaupt morphologische Bedeutung haben;

3) wenn die gefundenen Zahlen verglichen werden, d. h. in Glei-
chungen ausgedrückt, welche Aehnlichkeit oder Differenz klar machen.

Hunderte von Zahlen, welche diese Bedingungen nicht erfüllen,
geben dem Leser doch niemals eine klare Anschauung, und so kann ich
denn die Meinung nicht zurückhalten, dass ein grosser Theil der vor-
liegenden Zahlen für die zu lösende Frage nicht brauchbar ist. Ich ver-
suche den Nachweis der Richtigkeit dieses Ausspruchs nur an einigen
wenigen Beispielen.

Zunächst die Länge des Schädels. Hr. Zürn misst „von der
vordern Fläche der Schneidezähne bis zur squama ossis occipitis“. Es
fragt sich zunächst: was bedeutet „bis zur squama“? Ist damit die
mediane Gränze zwischen Interparietale und Hinterhaupt gemeint — wie
man nach dem Wortlaut annehmen muss —, oder der nach hinten am
weitesten vorragende Theil der Schuppe, also überhaupt die hintere Ex-
tremität des Schädels? In jenem Falle ist ein Punkt gemeint, welcher
bei ältern Thieren nicht immer sicher erkennbar ist, abgesehen von
Hrn. Zürn’s Behauptung, dass dem Hasen das Interparietale fehlt; in
diesem Fall ein Theil, welcher ungewisse Konturen hat und variabel ist,
je nachdem die Individuen knochenreich oder das Gegentheil sind, d. h.
entweder dicke, rauhe Knochen mit starken Höckern, oder dünne, glatte
mit schwachen Leisten und Höckern haben.

Die Abbildung Fig. 1 (pag. 45) der Anatomie des Kaninchens von
Krause macht den hier gemeinten Zweifel deutlich; es ist nicht zu
ermitteln, ob Hr. Zürn bis zum tuberculum occipitale (To) oder bis zur
protuberantia occipitalis externa (Po) gemessen hat.

Diese Ungewissheit schliesst aber eine Differenz von ungefähr
6 Procent der Messung ein.

Ferner fragt sich: was bedeutet das Wort „Mittelzahlen“? Aus
wie vielen einzelnen Messungen ist die Mittelzahl gefunden? Sind sehr
grosse und sehr kleine Individuen ausgeschlossen? Nach der Anmer-

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[37/0045] Es liegt hier dasselbe ungelöste Räthsel vor, welches ich oben (Seite 25) bezüglich der Weite der Gaumenöffnung erörtert habe, wo auch Hrn. Zürn’s Messungen gerade das Gegentheil von seinen Be- hauptungen nachwiesen. — Am Schluss seiner Arbeit giebt Hr. Zürn 70 und einige Messungen als „Grössenverhältnisse der einzelnen Skelettheile“. Ich habe mich seit mehr als 40 Jahren mit Messungen von Skelettheilen beschäftigt, habe davon bis jetzt nur wenig veröffentlicht, halte mich aber zu einem Ur- theil über die Methode hinlänglich orientirt. Ich meine, dass Messungen nur dann komparabel, deshalb nur dann brauchbar sind, 1) wenn dieselben keinen Zweifel lassen über die Endpunkte der Masse, über die Ansatzpunkte des Zirkels; 2) wenn dieselben in Bezug auf die gewählten Dimensionen diagnosti- sche oder überhaupt morphologische Bedeutung haben; 3) wenn die gefundenen Zahlen verglichen werden, d. h. in Glei- chungen ausgedrückt, welche Aehnlichkeit oder Differenz klar machen. Hunderte von Zahlen, welche diese Bedingungen nicht erfüllen, geben dem Leser doch niemals eine klare Anschauung, und so kann ich denn die Meinung nicht zurückhalten, dass ein grosser Theil der vor- liegenden Zahlen für die zu lösende Frage nicht brauchbar ist. Ich ver- suche den Nachweis der Richtigkeit dieses Ausspruchs nur an einigen wenigen Beispielen. Zunächst die Länge des Schädels. Hr. Zürn misst „von der vordern Fläche der Schneidezähne bis zur squama ossis occipitis“. Es fragt sich zunächst: was bedeutet „bis zur squama“? Ist damit die mediane Gränze zwischen Interparietale und Hinterhaupt gemeint — wie man nach dem Wortlaut annehmen muss —, oder der nach hinten am weitesten vorragende Theil der Schuppe, also überhaupt die hintere Ex- tremität des Schädels? In jenem Falle ist ein Punkt gemeint, welcher bei ältern Thieren nicht immer sicher erkennbar ist, abgesehen von Hrn. Zürn’s Behauptung, dass dem Hasen das Interparietale fehlt; in diesem Fall ein Theil, welcher ungewisse Konturen hat und variabel ist, je nachdem die Individuen knochenreich oder das Gegentheil sind, d. h. entweder dicke, rauhe Knochen mit starken Höckern, oder dünne, glatte mit schwachen Leisten und Höckern haben. Die Abbildung Fig. 1 (pag. 45) der Anatomie des Kaninchens von Krause macht den hier gemeinten Zweifel deutlich; es ist nicht zu ermitteln, ob Hr. Zürn bis zum tuberculum occipitale (To) oder bis zur protuberantia occipitalis externa (Po) gemessen hat. Diese Ungewissheit schliesst aber eine Differenz von ungefähr 6 Procent der Messung ein. Ferner fragt sich: was bedeutet das Wort „Mittelzahlen“? Aus wie vielen einzelnen Messungen ist die Mittelzahl gefunden? Sind sehr grosse und sehr kleine Individuen ausgeschlossen? Nach der Anmer-

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Zitationshilfe: Nathusius, Hermann Engelhard von: Über die sogenannten Leporiden. Berlin, 1876, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_leporiden_1876/45>, abgerufen am 24.04.2024.