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Nathusius, Hermann Engelhard von: Über die sogenannten Leporiden. Berlin, 1876.

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Hr. Darwin legt besonderes Gewicht auf die Umgestaltung des
dritten Halswirbels; er kommt am Schlusse des Kapitels über die Kanin-
chen nochmals darauf zurück, dass dieser Wirbel mit Zunahme der Körper-
grösse (des Thieres) Charaktere angenommen habe, welche dem vierten
eigen sind. Es bezieht sich dies hauptsächlich auf die Gabelung des
hintern, freien Theiles des processus transversus. An den von mir prä-
parirten Skeleten der grössten Kaninchenrassen ist diese Variation nicht
vorhanden, also jedenfalls nicht durch die Körpergrösse bedingt.

Besonders bezieht sich dies auch auf den processus transversus der
Lendenwirbel; bei den vordern Wirbeln sind die vordern Seiten oft tief
zweitheilig, fast gabelförmig, zuweilen asymetrisch, d. h. rechts und links
der Körperhälften verschieden.

Eine besondere Erwähnung verdienen die eigenthümlichen Fort-
sätze, welche das Skelet der Leporinen auszeichnen (pr. spinosi anteriores
Krause), Hypapophysen der Owen'schen Schule (Fower Osteology of
the Mammalia pag. 14 Fig. 3). Sie sind bei Hasen*) und verschiedenen
Kaninchen gleichmässig, bald nur am ersten und zweiten, bald am ersten
bis dritten Lendenwirbel entwickelt, kommen aber auch am letzten Rücken-
wirbel vor. An nicht sorgfältig präparirten Skeleten fehlen diese Fort-
sätze oft ganz oder theilweise.

Die Verschiedenheiten des Beckens, des processus xiphoideus des
Brustbeins und des processus hamatus des Akromions, stehen, ebenso
wie die oben erwähnten Differenzen in den Wirbelfortsätzen, in keiner
Beziehung zu Rasseeigenthümlichkeiten, auch nicht unbedingt zur Grösse
der Individuen. Es sind nach meiner Auffassung Variationen indi-
vidueller Art.

Hr. Darwin führt weiter aus, dass das Verhältniss der Längen
der Gliedmassen bei langohrigen fast ganz dasselbe geblieben wie bei
den wilden Kaninchen. (Seite 10.)

Schliesslich hat Hr. Darwin die Kapazität des Schädels einiger
Kaninchenrassen mit feinem Schrot gemessen und aus den Gewich-
ten desselben, verglichen mit verschiedenen Messungen und Körper-
gewichten, Schlüsse gezogen auf die Wirkungen des Gebrauchs und
Nichtgebrauchs von Organen. Ich gehe hier nicht ein auf diese Unter-
suchungen, die Resultate derselben liegen nicht im Bereich meiner vor-
liegenden Aufgabe; doch mag ich nicht verschweigen, dass ich Bedenken
gegen die angewandte Methode habe. --

Hr. Darwin hat bei seinen Beobachtungen den Hasen im Allge-
meinen nicht in Betracht gezogen, deshalb haben jene nur insofern Be-
deutung für die Leporidenfrage, als sie aufmerksam machen auf die
Formen der Kaninchen und deren Variationen, deren Kenntniss nöthig
ist zum Verständniss der sogenannten Leporiden.

*) In der Skeletkarikatur des Hasen bei Aldrovand (an. quadr. digit. vivip. Bonon.
1663, pag. 351) sind diese Fortsätze sichtbar.

Hr. Darwin legt besonderes Gewicht auf die Umgestaltung des
dritten Halswirbels; er kommt am Schlusse des Kapitels über die Kanin-
chen nochmals darauf zurück, dass dieser Wirbel mit Zunahme der Körper-
grösse (des Thieres) Charaktere angenommen habe, welche dem vierten
eigen sind. Es bezieht sich dies hauptsächlich auf die Gabelung des
hintern, freien Theiles des processus transversus. An den von mir prä-
parirten Skeleten der grössten Kaninchenrassen ist diese Variation nicht
vorhanden, also jedenfalls nicht durch die Körpergrösse bedingt.

Besonders bezieht sich dies auch auf den processus transversus der
Lendenwirbel; bei den vordern Wirbeln sind die vordern Seiten oft tief
zweitheilig, fast gabelförmig, zuweilen asymetrisch, d. h. rechts und links
der Körperhälften verschieden.

Eine besondere Erwähnung verdienen die eigenthümlichen Fort-
sätze, welche das Skelet der Leporinen auszeichnen (pr. spinosi anteriores
Krause), Hypapophysen der Owen’schen Schule (Fower Osteology of
the Mammalia pag. 14 Fig. 3). Sie sind bei Hasen*) und verschiedenen
Kaninchen gleichmässig, bald nur am ersten und zweiten, bald am ersten
bis dritten Lendenwirbel entwickelt, kommen aber auch am letzten Rücken-
wirbel vor. An nicht sorgfältig präparirten Skeleten fehlen diese Fort-
sätze oft ganz oder theilweise.

Die Verschiedenheiten des Beckens, des processus xiphoideus des
Brustbeins und des processus hamatus des Akromions, stehen, ebenso
wie die oben erwähnten Differenzen in den Wirbelfortsätzen, in keiner
Beziehung zu Rasseeigenthümlichkeiten, auch nicht unbedingt zur Grösse
der Individuen. Es sind nach meiner Auffassung Variationen indi-
vidueller Art.

Hr. Darwin führt weiter aus, dass das Verhältniss der Längen
der Gliedmassen bei langohrigen fast ganz dasselbe geblieben wie bei
den wilden Kaninchen. (Seite 10.)

Schliesslich hat Hr. Darwin die Kapazität des Schädels einiger
Kaninchenrassen mit feinem Schrot gemessen und aus den Gewich-
ten desselben, verglichen mit verschiedenen Messungen und Körper-
gewichten, Schlüsse gezogen auf die Wirkungen des Gebrauchs und
Nichtgebrauchs von Organen. Ich gehe hier nicht ein auf diese Unter-
suchungen, die Resultate derselben liegen nicht im Bereich meiner vor-
liegenden Aufgabe; doch mag ich nicht verschweigen, dass ich Bedenken
gegen die angewandte Methode habe. —

Hr. Darwin hat bei seinen Beobachtungen den Hasen im Allge-
meinen nicht in Betracht gezogen, deshalb haben jene nur insofern Be-
deutung für die Leporidenfrage, als sie aufmerksam machen auf die
Formen der Kaninchen und deren Variationen, deren Kenntniss nöthig
ist zum Verständniss der sogenannten Leporiden.

*) In der Skeletkarikatur des Hasen bei Aldrovand (an. quadr. digit. vivip. Bonon.
1663, pag. 351) sind diese Fortsätze sichtbar.
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[16/0024] Hr. Darwin legt besonderes Gewicht auf die Umgestaltung des dritten Halswirbels; er kommt am Schlusse des Kapitels über die Kanin- chen nochmals darauf zurück, dass dieser Wirbel mit Zunahme der Körper- grösse (des Thieres) Charaktere angenommen habe, welche dem vierten eigen sind. Es bezieht sich dies hauptsächlich auf die Gabelung des hintern, freien Theiles des processus transversus. An den von mir prä- parirten Skeleten der grössten Kaninchenrassen ist diese Variation nicht vorhanden, also jedenfalls nicht durch die Körpergrösse bedingt. Besonders bezieht sich dies auch auf den processus transversus der Lendenwirbel; bei den vordern Wirbeln sind die vordern Seiten oft tief zweitheilig, fast gabelförmig, zuweilen asymetrisch, d. h. rechts und links der Körperhälften verschieden. Eine besondere Erwähnung verdienen die eigenthümlichen Fort- sätze, welche das Skelet der Leporinen auszeichnen (pr. spinosi anteriores Krause), Hypapophysen der Owen’schen Schule (Fower Osteology of the Mammalia pag. 14 Fig. 3). Sie sind bei Hasen *) und verschiedenen Kaninchen gleichmässig, bald nur am ersten und zweiten, bald am ersten bis dritten Lendenwirbel entwickelt, kommen aber auch am letzten Rücken- wirbel vor. An nicht sorgfältig präparirten Skeleten fehlen diese Fort- sätze oft ganz oder theilweise. Die Verschiedenheiten des Beckens, des processus xiphoideus des Brustbeins und des processus hamatus des Akromions, stehen, ebenso wie die oben erwähnten Differenzen in den Wirbelfortsätzen, in keiner Beziehung zu Rasseeigenthümlichkeiten, auch nicht unbedingt zur Grösse der Individuen. Es sind nach meiner Auffassung Variationen indi- vidueller Art. Hr. Darwin führt weiter aus, dass das Verhältniss der Längen der Gliedmassen bei langohrigen fast ganz dasselbe geblieben wie bei den wilden Kaninchen. (Seite 10.) Schliesslich hat Hr. Darwin die Kapazität des Schädels einiger Kaninchenrassen mit feinem Schrot gemessen und aus den Gewich- ten desselben, verglichen mit verschiedenen Messungen und Körper- gewichten, Schlüsse gezogen auf die Wirkungen des Gebrauchs und Nichtgebrauchs von Organen. Ich gehe hier nicht ein auf diese Unter- suchungen, die Resultate derselben liegen nicht im Bereich meiner vor- liegenden Aufgabe; doch mag ich nicht verschweigen, dass ich Bedenken gegen die angewandte Methode habe. — Hr. Darwin hat bei seinen Beobachtungen den Hasen im Allge- meinen nicht in Betracht gezogen, deshalb haben jene nur insofern Be- deutung für die Leporidenfrage, als sie aufmerksam machen auf die Formen der Kaninchen und deren Variationen, deren Kenntniss nöthig ist zum Verständniss der sogenannten Leporiden. *) In der Skeletkarikatur des Hasen bei Aldrovand (an. quadr. digit. vivip. Bonon. 1663, pag. 351) sind diese Fortsätze sichtbar.

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Zitationshilfe: Nathusius, Hermann Engelhard von: Über die sogenannten Leporiden. Berlin, 1876, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_leporiden_1876/24>, abgerufen am 25.04.2024.