Mutter mußte ihr aber versprechen, zur Tante zu ge¬ hen und ihr zu sagen, wie unglücklich sie über ihres Bräutigams Brief gewesen; aber da sie ihn zu sehr liebe und auch das Beste von der Zukunft hoffe, müsse sie sich in seinen Willen fügen und den Umgang mit der Tante für jetzt abbrechen, -- doch nicht für lange, denn er werde gewiß bald seinen Fehler einsehen und die Tante um Verzeihung bitten.
Es war der 25. September. Klärchen stand vor dem Spiegel und legte die rosa Schürze um den wei¬ ßen Mullrock, setzte ein rosa Häubchen auf und war nun bereit, die Gäste zum Chokoladenfrühstück zu em¬ pfangen. Gestern hatte sie Hochzeit gehabt, war stolz im weißen Atlaskleide zur Kirche gefahren und war als schönste Braut bewundert. Herr Reinhard hatte darauf seinem Oberkellner ein Diner gegeben, und die Nachfeier dieses Diners war eine Abendgesellschaft in der Wohnung der Neuvermählten. Ein Privatsekretair mit seiner Frau, ein Detailhändler mit seiner Frau, ein Rendant, Gustchen Vogler, einige Handlungsdie¬ ner und Mutter Krauter waren die Mitglieder der Gesellschaft. Klärchen mußte sich gestehen, daß diese Leute nicht zu ihren eleganten Zimmern paßten, aber auch Günther war in dieser Gesellschaft ein Anderer, als gegen die vornehmen Leute im Hotel. Er lachte anders, er sprach anders und ließ sich in seinem gan¬ zen Wesen auf eine unangenehme Weise gehen. Frei¬ lich hatte er den Tag ungewöhnlich viel getrunken, und das ist bei so seltenen festlichen Gelegenheiten nicht zu
Mutter mußte ihr aber verſprechen, zur Tante zu ge¬ hen und ihr zu ſagen, wie unglücklich ſie über ihres Bräutigams Brief geweſen; aber da ſie ihn zu ſehr liebe und auch das Beſte von der Zukunft hoffe, müſſe ſie ſich in ſeinen Willen fügen und den Umgang mit der Tante für jetzt abbrechen, — doch nicht für lange, denn er werde gewiß bald ſeinen Fehler einſehen und die Tante um Verzeihung bitten.
Es war der 25. September. Klärchen ſtand vor dem Spiegel und legte die roſa Schürze um den wei¬ ßen Mullrock, ſetzte ein roſa Häubchen auf und war nun bereit, die Gäſte zum Chokoladenfrühſtück zu em¬ pfangen. Geſtern hatte ſie Hochzeit gehabt, war ſtolz im weißen Atlaskleide zur Kirche gefahren und war als ſchönſte Braut bewundert. Herr Reinhard hatte darauf ſeinem Oberkellner ein Diner gegeben, und die Nachfeier dieſes Diners war eine Abendgeſellſchaft in der Wohnung der Neuvermählten. Ein Privatſekretair mit ſeiner Frau, ein Detailhändler mit ſeiner Frau, ein Rendant, Guſtchen Vogler, einige Handlungsdie¬ ner und Mutter Krauter waren die Mitglieder der Geſellſchaft. Klärchen mußte ſich geſtehen, daß dieſe Leute nicht zu ihren eleganten Zimmern paßten, aber auch Günther war in dieſer Geſellſchaft ein Anderer, als gegen die vornehmen Leute im Hotel. Er lachte anders, er ſprach anders und ließ ſich in ſeinem gan¬ zen Weſen auf eine unangenehme Weiſe gehen. Frei¬ lich hatte er den Tag ungewöhnlich viel getrunken, und das iſt bei ſo ſeltenen feſtlichen Gelegenheiten nicht zu
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Mutter mußte ihr aber verſprechen, zur Tante zu ge¬
hen und ihr zu ſagen, wie unglücklich ſie über ihres
Bräutigams Brief geweſen; aber da ſie ihn zu ſehr
liebe und auch das Beſte von der Zukunft hoffe, müſſe
ſie ſich in ſeinen Willen fügen und den Umgang mit
der Tante für jetzt abbrechen, — doch nicht für lange,
denn er werde gewiß bald ſeinen Fehler einſehen und
die Tante um Verzeihung bitten.
Es war der 25. September. Klärchen ſtand vor
dem Spiegel und legte die roſa Schürze um den wei¬
ßen Mullrock, ſetzte ein roſa Häubchen auf und war
nun bereit, die Gäſte zum Chokoladenfrühſtück zu em¬
pfangen. Geſtern hatte ſie Hochzeit gehabt, war ſtolz
im weißen Atlaskleide zur Kirche gefahren und war
als ſchönſte Braut bewundert. Herr Reinhard hatte
darauf ſeinem Oberkellner ein Diner gegeben, und die
Nachfeier dieſes Diners war eine Abendgeſellſchaft in
der Wohnung der Neuvermählten. Ein Privatſekretair
mit ſeiner Frau, ein Detailhändler mit ſeiner Frau,
ein Rendant, Guſtchen Vogler, einige Handlungsdie¬
ner und Mutter Krauter waren die Mitglieder der
Geſellſchaft. Klärchen mußte ſich geſtehen, daß dieſe
Leute nicht zu ihren eleganten Zimmern paßten, aber
auch Günther war in dieſer Geſellſchaft ein Anderer,
als gegen die vornehmen Leute im Hotel. Er lachte
anders, er ſprach anders und ließ ſich in ſeinem gan¬
zen Weſen auf eine unangenehme Weiſe gehen. Frei¬
lich hatte er den Tag ungewöhnlich viel getrunken, und
das iſt bei ſo ſeltenen feſtlichen Gelegenheiten nicht zu
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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/98>, abgerufen am 15.08.2024.
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