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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

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Thee will er haben, so mach doch nur! Er ist
besoffen, hat aber noch so viel Verstand, daß er weiß,
was ihm noth thut.

Der kann was vertragen! entgegnete die andere
Stimme, ein anderer ehrlicher Mensch wäre den gan¬
zen Tag besoffen, wenn er so viel tränke wie der.

Und ein Spitzbube ist er dazu, sagte wieder die
erste Stimme; alle Monat hundert Thaler schlägt er
gewiß unter, und der alte Esel merkt's nicht und hat
den Narren an ihm gefressen.

Die Stimmen entfernten sich jetzt, Klärchen war
in besonderer Aufregung. Wen meinten sie? Wer war
der Spitzbube, der Betrunkene? Eine schreckliche Ah¬
nung ging durch ihre Seele. Sollte es Eduard sein?
Schon einigemal hatte er so nach Wein geduftet, daß
sie ihn darauf angeredet; er aber hatte gelacht und
gemeint, er wäre ein schlechter Kellner, wenn er den
Wein nicht probiren wolle, auch wäre es durchaus
nothwendig bei seiner anstrengenden Lebensweise, sich
zuweilen mit einem guten Schluck zu stärken. Daß
der Wein aber auch nur die geringste Wirkung auf
ihn geübt, hatte Klärchen noch nie gemerkt. Sie fing
an sich zu beruhigen: er ist es doch wohl nicht. Nun
gar der Spitzbube! das konnte ja nicht auf ihn gehen,
er sah so nobel aus, er sprach so schön. Freilich
leichtfertig konnte er auch zuweilen reden, und näher
kannte sie ihn nicht, und wußte nicht, wie es mit sei¬
ner Moral beschaffen. Dazu schlug ihr eignes Ge¬
wissen; ihre eigne Moral war doch eigentlich auch:
wenn es nur die Leute nicht wissen. Dieß, daß es
die Leute wußten, daß gewiß zwei Kellner die Reden¬

Thee will er haben, ſo mach doch nur! Er iſt
beſoffen, hat aber noch ſo viel Verſtand, daß er weiß,
was ihm noth thut.

Der kann was vertragen! entgegnete die andere
Stimme, ein anderer ehrlicher Menſch wäre den gan¬
zen Tag beſoffen, wenn er ſo viel tränke wie der.

Und ein Spitzbube iſt er dazu, ſagte wieder die
erſte Stimme; alle Monat hundert Thaler ſchlägt er
gewiß unter, und der alte Eſel merkt's nicht und hat
den Narren an ihm gefreſſen.

Die Stimmen entfernten ſich jetzt, Klärchen war
in beſonderer Aufregung. Wen meinten ſie? Wer war
der Spitzbube, der Betrunkene? Eine ſchreckliche Ah¬
nung ging durch ihre Seele. Sollte es Eduard ſein?
Schon einigemal hatte er ſo nach Wein geduftet, daß
ſie ihn darauf angeredet; er aber hatte gelacht und
gemeint, er wäre ein ſchlechter Kellner, wenn er den
Wein nicht probiren wolle, auch wäre es durchaus
nothwendig bei ſeiner anſtrengenden Lebensweiſe, ſich
zuweilen mit einem guten Schluck zu ſtärken. Daß
der Wein aber auch nur die geringſte Wirkung auf
ihn geübt, hatte Klärchen noch nie gemerkt. Sie fing
an ſich zu beruhigen: er iſt es doch wohl nicht. Nun
gar der Spitzbube! das konnte ja nicht auf ihn gehen,
er ſah ſo nobel aus, er ſprach ſo ſchön. Freilich
leichtfertig konnte er auch zuweilen reden, und näher
kannte ſie ihn nicht, und wußte nicht, wie es mit ſei¬
ner Moral beſchaffen. Dazu ſchlug ihr eignes Ge¬
wiſſen; ihre eigne Moral war doch eigentlich auch:
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[79/0085] Thee will er haben, ſo mach doch nur! Er iſt beſoffen, hat aber noch ſo viel Verſtand, daß er weiß, was ihm noth thut. Der kann was vertragen! entgegnete die andere Stimme, ein anderer ehrlicher Menſch wäre den gan¬ zen Tag beſoffen, wenn er ſo viel tränke wie der. Und ein Spitzbube iſt er dazu, ſagte wieder die erſte Stimme; alle Monat hundert Thaler ſchlägt er gewiß unter, und der alte Eſel merkt's nicht und hat den Narren an ihm gefreſſen. Die Stimmen entfernten ſich jetzt, Klärchen war in beſonderer Aufregung. Wen meinten ſie? Wer war der Spitzbube, der Betrunkene? Eine ſchreckliche Ah¬ nung ging durch ihre Seele. Sollte es Eduard ſein? Schon einigemal hatte er ſo nach Wein geduftet, daß ſie ihn darauf angeredet; er aber hatte gelacht und gemeint, er wäre ein ſchlechter Kellner, wenn er den Wein nicht probiren wolle, auch wäre es durchaus nothwendig bei ſeiner anſtrengenden Lebensweiſe, ſich zuweilen mit einem guten Schluck zu ſtärken. Daß der Wein aber auch nur die geringſte Wirkung auf ihn geübt, hatte Klärchen noch nie gemerkt. Sie fing an ſich zu beruhigen: er iſt es doch wohl nicht. Nun gar der Spitzbube! das konnte ja nicht auf ihn gehen, er ſah ſo nobel aus, er ſprach ſo ſchön. Freilich leichtfertig konnte er auch zuweilen reden, und näher kannte ſie ihn nicht, und wußte nicht, wie es mit ſei¬ ner Moral beſchaffen. Dazu ſchlug ihr eignes Ge¬ wiſſen; ihre eigne Moral war doch eigentlich auch: wenn es nur die Leute nicht wiſſen. Dieß, daß es die Leute wußten, daß gewiß zwei Kellner die Reden¬

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Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/85>, abgerufen am 25.11.2024.