Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.lief sie nach dem Vorsaal, um zu hören, ob auch Doch das Schloß wollte nicht weichen, der Wa¬ In ihrem Stübchen überlegte sie sich die Sache Am andern Morgen ging sie, wie gewöhnlich, im lief ſie nach dem Vorſaal, um zu hören, ob auch Doch das Schloß wollte nicht weichen, der Wa¬ In ihrem Stübchen überlegte ſie ſich die Sache Am andern Morgen ging ſie, wie gewöhnlich, im <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0060" n="54"/> lief ſie nach dem Vorſaal, um zu hören, ob auch<lb/> Niemand komme. Sie fühlte zum erſtenmal eine hef¬<lb/> tige Gewiſſensangſt, aber zum erſtenmal auch ging ſie<lb/> von der Stufe der Thorheit und des Leichtſinns eine<lb/> weiter hinunter zum Verbrechen. Gleich einem Diebe<lb/> ſtand ſie zitternd vor dem verſchloſſenen Tiſch, ſie war<lb/> ja wirklich im Begriff zu ſtehlen.</p><lb/> <p>Doch das Schloß wollte nicht weichen, der Wa¬<lb/> gen der Generalin kam zurück, Klärchen verließ haſtig<lb/> und ſcheu das Zimmer.</p><lb/> <p>In ihrem Stübchen überlegte ſie ſich die Sache<lb/> ruhiger, ja ſie machte ſich Vorwürfe über ihre Angſt,<lb/> beredete ſich, daß es gar nichts Großes ſei, einen<lb/> fremden Brief zu leſen, und hätte gern gleich ihre<lb/> Verſuche wiederholt. Sie mußte aber warten, bis<lb/> der Bediente fort fuhr, um ſeine Dame wiederzuholen.<lb/> Jetzt ging ſie ſchon getroſter daran. Uebung macht bei<lb/> ſolchen Dingen bald den Meiſter, darum heißt es:<lb/> Hüte dich vor dem erſten Tritte, mit ihm ſind bald<lb/> die anderen Schritte zu einem nahen Fall gethan!<lb/> Aber auch jetzt bei größerer Ruhe ging das Schloß<lb/> nicht auf, und Klärchen mußte die auf's Höchſte an¬<lb/> geregte und unbefriedigte Begierde mit zu Bett nehmen.</p><lb/> <p>Am andern Morgen ging ſie, wie gewöhnlich, im<lb/> Schlafzimmer der Generalin einzuheizen. Wie gewöhn¬<lb/> lich lag auf dem Tiſchchen neben der Nachtlampe der<lb/> Schreibtiſch-Schlüſſel. Ruhig hatte ihn Klärchen im¬<lb/> mer dort liegen ſehen, heute trieb ſie der Teufel an,<lb/> ſie nahm den Schlüſſel, verließ das Schlafzimmer,<lb/> ſchloß die Thür hinter ſich, auch die nach dem Vor¬<lb/> ſaal, obgleich der Bediente nie um dieſe Zeit hier et¬<lb/></p> </body> </text> </TEI> [54/0060]
lief ſie nach dem Vorſaal, um zu hören, ob auch
Niemand komme. Sie fühlte zum erſtenmal eine hef¬
tige Gewiſſensangſt, aber zum erſtenmal auch ging ſie
von der Stufe der Thorheit und des Leichtſinns eine
weiter hinunter zum Verbrechen. Gleich einem Diebe
ſtand ſie zitternd vor dem verſchloſſenen Tiſch, ſie war
ja wirklich im Begriff zu ſtehlen.
Doch das Schloß wollte nicht weichen, der Wa¬
gen der Generalin kam zurück, Klärchen verließ haſtig
und ſcheu das Zimmer.
In ihrem Stübchen überlegte ſie ſich die Sache
ruhiger, ja ſie machte ſich Vorwürfe über ihre Angſt,
beredete ſich, daß es gar nichts Großes ſei, einen
fremden Brief zu leſen, und hätte gern gleich ihre
Verſuche wiederholt. Sie mußte aber warten, bis
der Bediente fort fuhr, um ſeine Dame wiederzuholen.
Jetzt ging ſie ſchon getroſter daran. Uebung macht bei
ſolchen Dingen bald den Meiſter, darum heißt es:
Hüte dich vor dem erſten Tritte, mit ihm ſind bald
die anderen Schritte zu einem nahen Fall gethan!
Aber auch jetzt bei größerer Ruhe ging das Schloß
nicht auf, und Klärchen mußte die auf's Höchſte an¬
geregte und unbefriedigte Begierde mit zu Bett nehmen.
Am andern Morgen ging ſie, wie gewöhnlich, im
Schlafzimmer der Generalin einzuheizen. Wie gewöhn¬
lich lag auf dem Tiſchchen neben der Nachtlampe der
Schreibtiſch-Schlüſſel. Ruhig hatte ihn Klärchen im¬
mer dort liegen ſehen, heute trieb ſie der Teufel an,
ſie nahm den Schlüſſel, verließ das Schlafzimmer,
ſchloß die Thür hinter ſich, auch die nach dem Vor¬
ſaal, obgleich der Bediente nie um dieſe Zeit hier et¬
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