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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

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chern, die ihnen vom Pastor an der Stephans-Kirche
zugestellt wurden. Der Pastor an derselben war näm¬
lich ein Erzpietist, der predigte nichts weiter als vom
Heiland und machte den Leuten Himmel und Hölle
heiß. Klärchen aber, als sie merkte, wo hinaus ihre
Muhme jetzt wollte, schnitt das Gespräch ab und gab
gütlich nach. Sie wollte es doch mit Gretchen ebenso
wenig als mit Tante Rieke verderben, und beide hin¬
gen aneinander wie die Kletten. Klärchen dachte hoch¬
müthig: Ein jeder sehe wie er's treibe, und: Eines schickt
sich nicht für Alle. Gretchen ist nun mal ein haus¬
backenes Mädchen; sie mag sich drum gern ihre Hem¬
den selber spinnen, dunkelblaue Strümpfe, hohe lederne
Schnürschuhe und waschlederne Handschuh tragen, sie
macht auch keine Ansprüche für die Zukunft und ge¬
hört so recht in den Handwerkerstand hinein. Dagegen
Klärchen? Sie seufzt, -- ihr Herz schlägt gewal¬
tig, -- was wird aus ihr wohl werden? jedenfalls
etwas ganz Besonderes. O süße Zukunft: lachende
Kleider, lachende Gesichter, Liebe, Lust und Wonne!
Jetzt zog sie zur Frau Generalin: Da kam sie in feine
Kreise, vornehme Personen gehen aus und ein, es ist
so manches in der Welt passirt, es kann auch passiren,
daß sie ihr Glück macht. Es kann? nein, es muß,
es wird, sie hat eine selige Ahnung davon in ihrem
Herzen. Die nächste Seligkeit, die zu erringen, ist
ein seidenes Kleid, eine Brosche, ein unächter Shawl
und ein Eammethut -- dann aber kann es ihr ganz ge¬
wiß nicht fehlen; dann kommen die wunderbaren Be¬
gebenheiten! Und sie, die einem solchen Geschicke ent¬
gegen geht, sollte sich mit stopfen und sticken abgeben?

chern, die ihnen vom Paſtor an der Stephans-Kirche
zugeſtellt wurden. Der Paſtor an derſelben war näm¬
lich ein Erzpietiſt, der predigte nichts weiter als vom
Heiland und machte den Leuten Himmel und Hölle
heiß. Klärchen aber, als ſie merkte, wo hinaus ihre
Muhme jetzt wollte, ſchnitt das Geſpräch ab und gab
gütlich nach. Sie wollte es doch mit Gretchen ebenſo
wenig als mit Tante Rieke verderben, und beide hin¬
gen aneinander wie die Kletten. Klärchen dachte hoch¬
müthig: Ein jeder ſehe wie er's treibe, und: Eines ſchickt
ſich nicht für Alle. Gretchen iſt nun mal ein haus¬
backenes Mädchen; ſie mag ſich drum gern ihre Hem¬
den ſelber ſpinnen, dunkelblaue Strümpfe, hohe lederne
Schnürſchuhe und waſchlederne Handſchuh tragen, ſie
macht auch keine Anſprüche für die Zukunft und ge¬
hört ſo recht in den Handwerkerſtand hinein. Dagegen
Klärchen? Sie ſeufzt, — ihr Herz ſchlägt gewal¬
tig, — was wird aus ihr wohl werden? jedenfalls
etwas ganz Beſonderes. O ſüße Zukunft: lachende
Kleider, lachende Geſichter, Liebe, Luſt und Wonne!
Jetzt zog ſie zur Frau Generalin: Da kam ſie in feine
Kreiſe, vornehme Perſonen gehen aus und ein, es iſt
ſo manches in der Welt paſſirt, es kann auch paſſiren,
daß ſie ihr Glück macht. Es kann? nein, es muß,
es wird, ſie hat eine ſelige Ahnung davon in ihrem
Herzen. Die nächſte Seligkeit, die zu erringen, iſt
ein ſeidenes Kleid, eine Broſche, ein unächter Shawl
und ein Eammethut — dann aber kann es ihr ganz ge¬
wiß nicht fehlen; dann kommen die wunderbaren Be¬
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[10/0016] chern, die ihnen vom Paſtor an der Stephans-Kirche zugeſtellt wurden. Der Paſtor an derſelben war näm¬ lich ein Erzpietiſt, der predigte nichts weiter als vom Heiland und machte den Leuten Himmel und Hölle heiß. Klärchen aber, als ſie merkte, wo hinaus ihre Muhme jetzt wollte, ſchnitt das Geſpräch ab und gab gütlich nach. Sie wollte es doch mit Gretchen ebenſo wenig als mit Tante Rieke verderben, und beide hin¬ gen aneinander wie die Kletten. Klärchen dachte hoch¬ müthig: Ein jeder ſehe wie er's treibe, und: Eines ſchickt ſich nicht für Alle. Gretchen iſt nun mal ein haus¬ backenes Mädchen; ſie mag ſich drum gern ihre Hem¬ den ſelber ſpinnen, dunkelblaue Strümpfe, hohe lederne Schnürſchuhe und waſchlederne Handſchuh tragen, ſie macht auch keine Anſprüche für die Zukunft und ge¬ hört ſo recht in den Handwerkerſtand hinein. Dagegen Klärchen? Sie ſeufzt, — ihr Herz ſchlägt gewal¬ tig, — was wird aus ihr wohl werden? jedenfalls etwas ganz Beſonderes. O ſüße Zukunft: lachende Kleider, lachende Geſichter, Liebe, Luſt und Wonne! Jetzt zog ſie zur Frau Generalin: Da kam ſie in feine Kreiſe, vornehme Perſonen gehen aus und ein, es iſt ſo manches in der Welt paſſirt, es kann auch paſſiren, daß ſie ihr Glück macht. Es kann? nein, es muß, es wird, ſie hat eine ſelige Ahnung davon in ihrem Herzen. Die nächſte Seligkeit, die zu erringen, iſt ein ſeidenes Kleid, eine Broſche, ein unächter Shawl und ein Eammethut — dann aber kann es ihr ganz ge¬ wiß nicht fehlen; dann kommen die wunderbaren Be¬ gebenheiten! Und ſie, die einem ſolchen Geſchicke ent¬ gegen geht, ſollte ſich mit ſtopfen und ſticken abgeben?

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Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/16>, abgerufen am 23.11.2024.