Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.Klärchen war nun eine Waise. Und doch nicht, -- Sie ist jetzt Frau Meisterin, sie ist stolz auf ihren Klärchen war nun eine Waiſe. Und doch nicht, — Sie iſt jetzt Frau Meiſterin, ſie iſt ſtolz auf ihren <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0148" n="142"/> <p>Klärchen war nun eine Waiſe. Und doch nicht, —<lb/> die Tante nahm ſie nicht allein an ihr Herz, auch in<lb/> ihr Haus, und ward ihr eine wahrhafte Mutter. Als<lb/> der Frühling draußen ſproßte, ſaß Klärchen in Gret¬<lb/> chens Fenſter neben blühenden Schneeglöckchen. Der<lb/> alte Benjamin hatte ſie ihr gebracht; ja, ſeine Liebe<lb/> zu Gretchen war auf Klärchen übergegangen, und<lb/> Klärchen hatte mit ihm wieder ſcherzen und plaudern<lb/> und fröhlich ſingen gelernt. Der Staarmatz rief: „Klär¬<lb/> chen, ſo recht“, und mit dem Dompfaffen ſang ſie:<lb/> Lobe den Herrn, o meine Seele! — Fritz arbeitete<lb/> rüſtig in der Werkſtatt, lauſchte zum Fenſter hinaus,<lb/> und ſein Herz ſchlug hoch auf, wenn er Klärchens<lb/> blaue Augen ſah, ſo rein, ſo kindlich und verklärt,<lb/> wie ſie ihm auf ſeinen Wanderungen vorgeſchwebt.<lb/> Als aber der Frühling immer ſchöner hervorbrach,<lb/> Blüthen und Blumen ſich entfalteten, konnte ſich auch<lb/> Fritz nicht länger halten, und Klärchen durfte den gan¬<lb/> zen Himmel ſeiner Liebe ſchauen.</p><lb/> <p>Sie iſt jetzt Frau Meiſterin, ſie iſt ſtolz auf ihren<lb/> Stand und trägt nur dunkle Strümpfe, feſte Leder¬<lb/> ſchuh und ein einfaches Kleid. Sie iſt neu und ſchö¬<lb/> ner erblüht, iſt die Freude ihres Mannes und der Se¬<lb/> gen ihres Hausſtandes. Der alte Buchſtein ſitzt im<lb/> Lehnſtuhl und wiegt ſein jüngſtes Enkelchen auf den<lb/> Knieen, Benjamin führt ein kleines blondes Gretchen<lb/> zur Tante hinüber, Klärchen ſitzt unter dem offenen<lb/> Fenſter der Werkſtatt und ſingt mit ſchöner Stimme:</p><lb/> </body> </text> </TEI> [142/0148]
Klärchen war nun eine Waiſe. Und doch nicht, —
die Tante nahm ſie nicht allein an ihr Herz, auch in
ihr Haus, und ward ihr eine wahrhafte Mutter. Als
der Frühling draußen ſproßte, ſaß Klärchen in Gret¬
chens Fenſter neben blühenden Schneeglöckchen. Der
alte Benjamin hatte ſie ihr gebracht; ja, ſeine Liebe
zu Gretchen war auf Klärchen übergegangen, und
Klärchen hatte mit ihm wieder ſcherzen und plaudern
und fröhlich ſingen gelernt. Der Staarmatz rief: „Klär¬
chen, ſo recht“, und mit dem Dompfaffen ſang ſie:
Lobe den Herrn, o meine Seele! — Fritz arbeitete
rüſtig in der Werkſtatt, lauſchte zum Fenſter hinaus,
und ſein Herz ſchlug hoch auf, wenn er Klärchens
blaue Augen ſah, ſo rein, ſo kindlich und verklärt,
wie ſie ihm auf ſeinen Wanderungen vorgeſchwebt.
Als aber der Frühling immer ſchöner hervorbrach,
Blüthen und Blumen ſich entfalteten, konnte ſich auch
Fritz nicht länger halten, und Klärchen durfte den gan¬
zen Himmel ſeiner Liebe ſchauen.
Sie iſt jetzt Frau Meiſterin, ſie iſt ſtolz auf ihren
Stand und trägt nur dunkle Strümpfe, feſte Leder¬
ſchuh und ein einfaches Kleid. Sie iſt neu und ſchö¬
ner erblüht, iſt die Freude ihres Mannes und der Se¬
gen ihres Hausſtandes. Der alte Buchſtein ſitzt im
Lehnſtuhl und wiegt ſein jüngſtes Enkelchen auf den
Knieen, Benjamin führt ein kleines blondes Gretchen
zur Tante hinüber, Klärchen ſitzt unter dem offenen
Fenſter der Werkſtatt und ſingt mit ſchöner Stimme:
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