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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

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vernommen. Weil nun von einer Sache
die Rede war, die eigentlich in das Fach des
weiblichen Putzes einschlug, wollte sie hier
auch ein Wort mit einreden, thät ihr Buch
zu, und indem sie ihr Seheglaß in die Hö-
he hob, fiel sie urplötzlich ein: eine seltsa-
me Methode durch den Fächer sehen zu wol-
len, warum braucht das Wiener Frauen-
zimmer dazu nicht lieber ein Vergrößrungs-
glaß wie ich? Diese mütterliche Queerfrage
hemmte den Fluß der Beredsamkeit des Soh-
nes auf einmal, denn er wußte nicht gleich,
wie er sich mit der Beantwortung nehmen
sollte. Weil nun auch dieser Funktion Nie-
mand aus der Gesellschaft sich unterzog,
und bey Einigen der Anwesenden der Mund
sich sichtbar Ohrwärts dehnte, auch die
Wangenmuskeln unwillkührlich aufschwallen,
obgleich sich iedermann Gewalt anthat, die
Anwandelung des Lachens zu verbergen:
merkte die gute Dame, ihrer Aphysiognosie

unge-

vernommen. Weil nun von einer Sache
die Rede war, die eigentlich in das Fach des
weiblichen Putzes einſchlug, wollte ſie hier
auch ein Wort mit einreden, thaͤt ihr Buch
zu, und indem ſie ihr Seheglaß in die Hoͤ-
he hob, fiel ſie urploͤtzlich ein: eine ſeltſa-
me Methode durch den Faͤcher ſehen zu wol-
len, warum braucht das Wiener Frauen-
zimmer dazu nicht lieber ein Vergroͤßrungs-
glaß wie ich? Dieſe muͤtterliche Queerfrage
hemmte den Fluß der Beredſamkeit des Soh-
nes auf einmal, denn er wußte nicht gleich,
wie er ſich mit der Beantwortung nehmen
ſollte. Weil nun auch dieſer Funktion Nie-
mand aus der Geſellſchaft ſich unterzog,
und bey Einigen der Anweſenden der Mund
ſich ſichtbar Ohrwaͤrts dehnte, auch die
Wangenmuſkeln unwillkuͤhrlich aufſchwallen,
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Anwandelung des Lachens zu verbergen:
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[48/0056] vernommen. Weil nun von einer Sache die Rede war, die eigentlich in das Fach des weiblichen Putzes einſchlug, wollte ſie hier auch ein Wort mit einreden, thaͤt ihr Buch zu, und indem ſie ihr Seheglaß in die Hoͤ- he hob, fiel ſie urploͤtzlich ein: eine ſeltſa- me Methode durch den Faͤcher ſehen zu wol- len, warum braucht das Wiener Frauen- zimmer dazu nicht lieber ein Vergroͤßrungs- glaß wie ich? Dieſe muͤtterliche Queerfrage hemmte den Fluß der Beredſamkeit des Soh- nes auf einmal, denn er wußte nicht gleich, wie er ſich mit der Beantwortung nehmen ſollte. Weil nun auch dieſer Funktion Nie- mand aus der Geſellſchaft ſich unterzog, und bey Einigen der Anweſenden der Mund ſich ſichtbar Ohrwaͤrts dehnte, auch die Wangenmuſkeln unwillkuͤhrlich aufſchwallen, obgleich ſich iedermann Gewalt anthat, die Anwandelung des Lachens zu verbergen: merkte die gute Dame, ihrer Aphyſiognoſie unge-

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/56>, abgerufen am 29.03.2024.