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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

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ein Beweiß, daß sie sich noch in ihrer Kind-
heit befindet, selbst gar schwach und un-
vollkommen ist, und da hab ich allezeit ei-
nen Schwabenstreich begangen, daß ich
mich mit so kühnen Vertrauen mit verbunde-
nen Augen, von einem Kinde habe leiten und
führen lassen, ohne mit meinem Fuß zu
sichern, ob ich gleich so oft den Teller, wor-
unter Erbsen lagen, betreten hatte. Wahr-
lich! wenn sich einer dran gäb, der phy-
siognomischen Forderung des Artisten Gnü-
ge zu leisten, und eine Physiognomik für
Blinde zu schreiben, so schnackisch das auch
klingt, so wollt ich drauf pränumeriren oh-
ne mich viel zu besinnen. Nachdem ich
mich über den Punkt des Absagebriefes
wohl geprüft hatte, fand ich dennoch die
nämliche Anhänglichkeit an die Kunst in
meinem Herzen, die der Sempronius zu
seiner luftigen Gattin verspürte, die ihn
auch unzählichmal getäuscht und hintergan-

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T 5

ein Beweiß, daß ſie ſich noch in ihrer Kind-
heit befindet, ſelbſt gar ſchwach und un-
vollkommen iſt, und da hab ich allezeit ei-
nen Schwabenſtreich begangen, daß ich
mich mit ſo kuͤhnen Vertrauen mit verbunde-
nen Augen, von einem Kinde habe leiten und
fuͤhren laſſen, ohne mit meinem Fuß zu
ſichern, ob ich gleich ſo oft den Teller, wor-
unter Erbſen lagen, betreten hatte. Wahr-
lich! wenn ſich einer dran gaͤb, der phy-
ſiognomiſchen Forderung des Artiſten Gnuͤ-
ge zu leiſten, und eine Phyſiognomik fuͤr
Blinde zu ſchreiben, ſo ſchnackiſch das auch
klingt, ſo wollt ich drauf praͤnumeriren oh-
ne mich viel zu beſinnen. Nachdem ich
mich uͤber den Punkt des Abſagebriefes
wohl gepruͤft hatte, fand ich dennoch die
naͤmliche Anhaͤnglichkeit an die Kunſt in
meinem Herzen, die der Sempronius zu
ſeiner luftigen Gattin verſpuͤrte, die ihn
auch unzaͤhlichmal getaͤuſcht und hintergan-

gen
T 5
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[297/0305] ein Beweiß, daß ſie ſich noch in ihrer Kind- heit befindet, ſelbſt gar ſchwach und un- vollkommen iſt, und da hab ich allezeit ei- nen Schwabenſtreich begangen, daß ich mich mit ſo kuͤhnen Vertrauen mit verbunde- nen Augen, von einem Kinde habe leiten und fuͤhren laſſen, ohne mit meinem Fuß zu ſichern, ob ich gleich ſo oft den Teller, wor- unter Erbſen lagen, betreten hatte. Wahr- lich! wenn ſich einer dran gaͤb, der phy- ſiognomiſchen Forderung des Artiſten Gnuͤ- ge zu leiſten, und eine Phyſiognomik fuͤr Blinde zu ſchreiben, ſo ſchnackiſch das auch klingt, ſo wollt ich drauf praͤnumeriren oh- ne mich viel zu beſinnen. Nachdem ich mich uͤber den Punkt des Abſagebriefes wohl gepruͤft hatte, fand ich dennoch die naͤmliche Anhaͤnglichkeit an die Kunſt in meinem Herzen, die der Sempronius zu ſeiner luftigen Gattin verſpuͤrte, die ihn auch unzaͤhlichmal getaͤuſcht und hintergan- gen T 5

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/305>, abgerufen am 23.04.2024.