bin rein ausgestohlen. Philipp stand wie versteint, wußt nicht ob er meinen Wor- ten Glauben beymessen sollt. Wie er aber den ledigen Mantelsack aufnahm, ließ er seinen ganzen Weidespruch von Jäger- flüchen hören, versucht auch augenblicklich eine Jägerkunst, das Diebsvolck wieder zu- rück zu bekommen, und ihnen eine solche Herzensangst einzuiagen, daß sie das ge- stohlne Gut von selbst wieder bringen müß- ten. Wär fürwahr eine herrliche Kunst, wenn sie nicht den Fehler hätte, daß sie so oft fallirt', wie auch diesmal geschah.
Jch verließ die Diebsherberge stehenden Fußes und eilte zu dem Patienten, bey dem das halbe Dorf versammlet war nebst Pfarrer und Küster, welches mich nicht we- nig beunruhigte: denn ich fürchtete, die Geistlichkeit würde mir die jura stolae ab- fordern wollen, und ich trug keinen Heller mehr im Sack. Es war aber dahin nicht
gemei-
bin rein ausgeſtohlen. Philipp ſtand wie verſteint, wußt nicht ob er meinen Wor- ten Glauben beymeſſen ſollt. Wie er aber den ledigen Mantelſack aufnahm, ließ er ſeinen ganzen Weideſpruch von Jaͤger- fluͤchen hoͤren, verſucht auch augenblicklich eine Jaͤgerkunſt, das Diebsvolck wieder zu- ruͤck zu bekommen, und ihnen eine ſolche Herzensangſt einzuiagen, daß ſie das ge- ſtohlne Gut von ſelbſt wieder bringen muͤß- ten. Waͤr fuͤrwahr eine herrliche Kunſt, wenn ſie nicht den Fehler haͤtte, daß ſie ſo oft fallirt’, wie auch diesmal geſchah.
Jch verließ die Diebsherberge ſtehenden Fußes und eilte zu dem Patienten, bey dem das halbe Dorf verſammlet war nebſt Pfarrer und Kuͤſter, welches mich nicht we- nig beunruhigte: denn ich fuͤrchtete, die Geiſtlichkeit wuͤrde mir die jura ſtolae ab- fordern wollen, und ich trug keinen Heller mehr im Sack. Es war aber dahin nicht
gemei-
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bin rein ausgeſtohlen. Philipp ſtand wie
verſteint, wußt nicht ob er meinen Wor-
ten Glauben beymeſſen ſollt. Wie er
aber den ledigen Mantelſack aufnahm, ließ
er ſeinen ganzen Weideſpruch von Jaͤger-
fluͤchen hoͤren, verſucht auch augenblicklich
eine Jaͤgerkunſt, das Diebsvolck wieder zu-
ruͤck zu bekommen, und ihnen eine ſolche
Herzensangſt einzuiagen, daß ſie das ge-
ſtohlne Gut von ſelbſt wieder bringen muͤß-
ten. Waͤr fuͤrwahr eine herrliche Kunſt,
wenn ſie nicht den Fehler haͤtte, daß ſie ſo
oft fallirt’, wie auch diesmal geſchah.
Jch verließ die Diebsherberge ſtehenden
Fußes und eilte zu dem Patienten, bey
dem das halbe Dorf verſammlet war nebſt
Pfarrer und Kuͤſter, welches mich nicht we-
nig beunruhigte: denn ich fuͤrchtete, die
Geiſtlichkeit wuͤrde mir die jura ſtolae ab-
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mehr im Sack. Es war aber dahin nicht
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/296>, abgerufen am 25.11.2024.
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