Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

daß ich diese Herberge nicht mit einem Pal-
last vertausche hätte, hieß dem Philipp den
Mantelsack abschnallen und sich mit den
Pferden ein Quartier im Dorfe suchen.
Die junge Frau war so ganz allein für
ihren Mann geschäftig, daß sie es kaum
zu bemerken schien, daß ihr trauter Va-
lentin einen Gast mitgebracht hatte. Sie
hing mit unverwandtem Gesicht an seinem
Halse, und das Kind an seinen Knie stam-
melte den süssen Vaternamen zu ihm hin-
auf; er aber erwiederte diese Empfindun-
gen mit so männlichen, treuherzigen und
innigen Gegengefühl, daß mich der Anblick
dieser Gruppe in himmlischer Entzücken hin-
riß. Gesegnet sey mir die Stunde, redet'
ich zu mir selbst, in welcher ich in diese Woh-
nung eingegangen bin! Was ist aller Flit-
terglanz von jedem Erdenglück, gegen das
reine goldlautere Gefühl wechselseitiger Lie-
be? Heil mir, ihr Lieblinge des Himmels,

daß

daß ich dieſe Herberge nicht mit einem Pal-
laſt vertauſche haͤtte, hieß dem Philipp den
Mantelſack abſchnallen und ſich mit den
Pferden ein Quartier im Dorfe ſuchen.
Die junge Frau war ſo ganz allein fuͤr
ihren Mann geſchaͤftig, daß ſie es kaum
zu bemerken ſchien, daß ihr trauter Va-
lentin einen Gaſt mitgebracht hatte. Sie
hing mit unverwandtem Geſicht an ſeinem
Halſe, und das Kind an ſeinen Knie ſtam-
melte den ſuͤſſen Vaternamen zu ihm hin-
auf; er aber erwiederte dieſe Empfindun-
gen mit ſo maͤnnlichen, treuherzigen und
innigen Gegengefuͤhl, daß mich der Anblick
dieſer Gruppe in himmliſcher Entzuͤcken hin-
riß. Geſegnet ſey mir die Stunde, redet’
ich zu mir ſelbſt, in welcher ich in dieſe Woh-
nung eingegangen bin! Was iſt aller Flit-
terglanz von jedem Erdengluͤck, gegen das
reine goldlautere Gefuͤhl wechſelſeitiger Lie-
be? Heil mir, ihr Lieblinge des Himmels,

daß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0280" n="272"/>
daß ich die&#x017F;e Herberge nicht mit einem Pal-<lb/>
la&#x017F;t vertau&#x017F;che ha&#x0364;tte, hieß dem Philipp den<lb/>
Mantel&#x017F;ack ab&#x017F;chnallen und &#x017F;ich mit den<lb/>
Pferden ein Quartier im Dorfe &#x017F;uchen.<lb/>
Die junge Frau war &#x017F;o ganz allein fu&#x0364;r<lb/>
ihren Mann ge&#x017F;cha&#x0364;ftig, daß &#x017F;ie es kaum<lb/>
zu bemerken &#x017F;chien, daß ihr trauter Va-<lb/>
lentin einen Ga&#x017F;t mitgebracht hatte. Sie<lb/>
hing mit unverwandtem Ge&#x017F;icht an &#x017F;einem<lb/>
Hal&#x017F;e, und das Kind an &#x017F;einen Knie &#x017F;tam-<lb/>
melte den &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Vaternamen zu ihm hin-<lb/>
auf; er aber erwiederte die&#x017F;e Empfindun-<lb/>
gen mit &#x017F;o ma&#x0364;nnlichen, treuherzigen und<lb/>
innigen Gegengefu&#x0364;hl, daß mich der Anblick<lb/>
die&#x017F;er Gruppe in himmli&#x017F;cher Entzu&#x0364;cken hin-<lb/>
riß. Ge&#x017F;egnet &#x017F;ey mir die Stunde, redet&#x2019;<lb/>
ich zu mir &#x017F;elb&#x017F;t, in welcher ich in die&#x017F;e Woh-<lb/>
nung eingegangen bin! Was i&#x017F;t aller Flit-<lb/>
terglanz von jedem Erdenglu&#x0364;ck, gegen das<lb/>
reine goldlautere Gefu&#x0364;hl wech&#x017F;el&#x017F;eitiger Lie-<lb/>
be? Heil mir, ihr Lieblinge des Himmels,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">daß</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0280] daß ich dieſe Herberge nicht mit einem Pal- laſt vertauſche haͤtte, hieß dem Philipp den Mantelſack abſchnallen und ſich mit den Pferden ein Quartier im Dorfe ſuchen. Die junge Frau war ſo ganz allein fuͤr ihren Mann geſchaͤftig, daß ſie es kaum zu bemerken ſchien, daß ihr trauter Va- lentin einen Gaſt mitgebracht hatte. Sie hing mit unverwandtem Geſicht an ſeinem Halſe, und das Kind an ſeinen Knie ſtam- melte den ſuͤſſen Vaternamen zu ihm hin- auf; er aber erwiederte dieſe Empfindun- gen mit ſo maͤnnlichen, treuherzigen und innigen Gegengefuͤhl, daß mich der Anblick dieſer Gruppe in himmliſcher Entzuͤcken hin- riß. Geſegnet ſey mir die Stunde, redet’ ich zu mir ſelbſt, in welcher ich in dieſe Woh- nung eingegangen bin! Was iſt aller Flit- terglanz von jedem Erdengluͤck, gegen das reine goldlautere Gefuͤhl wechſelſeitiger Lie- be? Heil mir, ihr Lieblinge des Himmels, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/280
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/280>, abgerufen am 24.05.2024.